Zwei Jahre nach «flöört.ch» kehrt Livia Anne Richard mit dem Theater Gurten zurück. Das neuste Stück «Da chönnt ja jede cho!» schrieb sie aber nicht allein.
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Am 27. Juni startet auf dem Gurten das Freilichttheater «Da chönnt ja jede cho!». Livia Anne Richard (links) und Christoph Keller haben das Stück verfasst. - Nau.ch

Das Wichtigste in Kürze

  • «Da chönnt ja jede cho!» heisst die neuste Produktion des Theater Gurten.
  • Vom 27. Juni bis 31. August wird das Stück auf dem Berner Hausberg aufgeführt.
  • Erstmals hat Regisseurin Livia Anne Richard das Skript nicht allein geschrieben.
  • Co-Autor ist Christoph Keller, der auf dem Gurten auch schon als Schauspieler mitwirkte.
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Ab dem 27. Juni findet auf dem Berner Hausberg wieder das Theater Gurten statt. Bei dem Freilichttheater, welches alle zwei Jahre inszeniert wird, treten sowohl Laienschauspielende als auch Profis auf.

Etwa anderthalb Monate vor der Uraufführung hat sich Nau.ch mit Co-Autorin Livia Anne Richard und Co-Autor Christoph Keller über das neuste Stück «Da chönnt ja jede cho!» unterhalten.

Nau.ch: Livia-Anne Richard und Christoph Keller, Sie präsentieren auf dem Gurten ab Ende Juni das Stück «Da chönnt ja jede cho!». Worum geht es?

Christoph Keller: Es geht um Einbürgerung in der Schweiz. Also die Frage, wie wird man Schweizerin beziehungsweise Schweizer. Was ist überhaupt die Schweiz und der Alltag hier? Geht es hierbei um mehr, als einfach nur darum, den Pass zu haben?

Livia Anne Richard: Es handelt sich um eine Realsatire. Wir haben uns intensiv mit dem schweizerischen Einbürgerungsverfahren, welches eines der strengsten in ganz Europa ist, befasst. Spannend ist dabei auch, dass die Schweiz sich oft damit schmückt, einen der grössten Ausländeranteile zu haben.

Das liegt aber auch daran, dass wir die Leute nur sehr ungern einbinden in unsere DNA und Kultur. Man soll hier arbeiten und Steuern zahlen – beim Einbürgern steht die Schweiz jedoch eher auf der Handbremse. Dies haben wir aufs Korn genommen.

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Die Hauptrolle in dem Stück spielt Theo Schmid als «Wale Wüthrich». - Nau.ch

Die Hauptfigur ist Wale Wüthrich aus der eher ländlichen, fiktiven Gemeinde Hinterschnösligen. Er ist Hauswart in einem Mietshaus, wo der Vermieter gerne ein Viertel Ausländer hätte – ähnlich dem Schnitt der Schweizer Bevölkerung. Dies passt Wale jedoch gar nicht. Dass einige sich sogar einbürgern lassen wollen, veranlasst ihn dazu, mit den «richtigen Leuten» zu jassen, um Einfluss zu nehmen.

Theater Gurten will zeigen, wie absurd Einbürgerungsverfahren ist

Nau.ch: Was soll das Stück vermitteln?

Keller: Man soll einerseits einen Einblick darin bekommen, wie absurd dieses Einbürgerungsverfahren ist. All die Zeit, Kosten, Tests und Unterlagen, die es braucht.

Das wollen wir den Menschen bewusst machen. Auch, dass der Schweizer Pass nicht nur ein «Gudeli» ist, sondern es reale Folgen hat, diesen nicht zu haben. Im schlimmsten Fall kann dies zur Ausschaffung führen.

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Teil des Ensembles sind sowohl Profis als auch Laiendarstellende. - Nau.ch

Andererseits wollen wir auch zeigen, dass die Schweiz ein diverser Ort ist. Wir sind nicht aufgrund von Ethnie oder Religion Schweizer. Eigentlich ist die Schweiz ein soziales Gefüge, das schon immer ganz vielen verschiedenen Menschen Schutz geboten hat. Dies wird immer wieder verklärt mit irgendwelchen patriotischen Bildern, entspricht aber nicht der Realität.

Dennoch sollen die Leute auch positiv herausgehen und merken, dass man nicht so schnell über andere urteilen sollte.

Richard: Mir ist die Meta-Ebene in dem Stück sehr wichtig – es hat eine Art thematische Klammer am Anfang und am Ende. Wir nehmen die Vogelperspektive ein und gehen in ein universelles Denken. Wer hat eigentlich die Grenzen gezogen auf dieser Erde?

Wer hat bestimmt, wer dazugehört und wer nicht? Weshalb gibt es «Wir» und ein «die Anderen»? Schlussendlich mündet das auch in der Frage: Nützt einem eigentlich post mortem der Schweizer Pass noch irgendetwas?

Ich hoffe, wir können die Grenzen in den Köpfen der Menschen etwas aufsprengen. Es ist ein Stück, welches letztlich Menschlichkeit, Liebe und Toleranz postuliert.

«Das neue Stück ist ein persönliches, politisches Statement»

Nau.ch: Livia Anne Richard, es ist nicht das erste Mal, dass Sie ein Stück für das Theater Gurten geschrieben haben. Wie würden Sie das aktuelle einordnen im Vergleich zu anderen?

Richard: Es ist eine einzigartige neue Sache, weil ich erstmals das Stück nicht allein geschrieben habe. Somit gab es eine völlig neue Herangehensweise, da Christoph und ich verschieden viel Erfahrung mitbringen. Das war nicht immer einfach, aber sehr spannend.

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Das «Schweizerkreuz» auf der Bühne fungiert in dem Stück als Mehrfamilienhaus. - Nau.ch

Bezüglich der Einordnung: Es ist vermutlich irgendwas zwischen «Dällebach Kari», 2006, und «Einstein» aus dem Jahr 2010. Es gibt aber auch Parallelen zu «Paradies» von 2014, in dem ich das Thema «Multikulti» bereits aufgegriffen hatte.

Das neue Stück ist auch ein persönliches, politisches Statement. Wenn man schon so lange Theater macht wie ich, dann wird man mit der Zeit auch diesbezüglich mutiger.

«Geschrieben haben wir acht bis neun Monate – eine Schwangerschaft»

Nau.ch: Wie sind Sie zwei als Autoren zusammengekommen?

Keller: Wir arbeiten schon länger zusammen. Livia als Regisseurin, ich als Schauspieler. Dann ist Livia auf mich zugekommen und hat gefragt, ob wir dieses neue Stück gemeinsam kreieren und inszenieren wollen. Ich fühlte mich sehr geehrt, hatte aber auch Respekt.

Zwar hatte ich schon mal Regie gemacht, aber noch nie in einer solch grossen Produktion und auch noch nie mit Laien. Für mich ist das jedoch ideal, weil ich viel lernen kann. Dafür bin ich sehr dankbar.

Nau.ch: Wie lange dauert es, ein solches Stück zu produzieren?

Richard: Recherchiert und geschrieben haben wir an dem Stück etwa acht bis neun Monate – eine Schwangerschaft lang, sozusagen.

Nau.ch: Woher kommen die Schauspielerinnen und Schauspieler? Wie haben Sie diese gefunden?

Richard: Es gibt einen Pool an Darstellenden, die ich kenne und die immer wieder gern auf den Gurten kommen. Wir haben aber auch immer wieder ganz neue Leute dabei. Erst haben wir für uns überlegt, welche Typen wir im Stück haben wollten.

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Livia Anne Richard gibt während einer Probe Anweisungen an ihr Ensemble. - Nau.ch

Keller: Ja, und uns wurde dann beim Schreiben bewusst, wer ungefähr zu den entsprechenden Figuren passen könnte.

«Beim Freilichttheater sollte man den Sternenhimmel sehen können»

Nau.ch: Seit etwa anderthalb Monaten wird geprobt. Wie ist der Stand?

Richard: Wir sind auf Kurs. Am Samstag hatten wir einen «Brachialdurchlauf». Das heisst, man schneidet grob «Puzzlestücke» aus und hängt sie mal zusammen. Dann merkt man gleich, wo man mit der feineren Feile noch nachjustieren muss.

Grundsätzlich haben wir aber gestaunt, wie weit wir bereits sind. Man findet auch heraus, wie lang ungefähr das Stück wird. Geplant sind gut 90 Minuten Theater.

Es geht aktuell darum, dass sich die Darstellenden «freispielen». Es darf langsam nicht mehr nach Regieanweisung aussehen, sondern muss intrinsisch aus ihnen herauskommen.

Nau.ch: Als Freilichttheater sind Sie stets dem Wetter ausgesetzt. Wie gehen Sie damit um?

Keller: Solange es kein Gewitter gibt, wollen wir spielen. Während der Proben sind wir teilweise wegen der Kälte ins Büro ausgewichen.

Richard: Das Wetter ist immer ein Thema. Dennoch ist weder die Tribüne noch die Bühne überdacht. Bei einem Freilichttheater sollte man den Sternenhimmel sehen können.

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Weder Bühne noch Tribüne werden bei den Vorstellungen überdacht sein. - Nau.ch

Keller: Bei Regen versteht man auf einer überdachten Tribüne sowieso kein Wort mehr.

Richard: Sollte eine Vorstellung vorzeitig abgebrochen werden müssen, können Leute auch nochmals kommen, soweit es noch Karten hat. Es gibt auch Reservedaten. Wir haben diesbezüglich den Ruf, sehr kulant zu sein. Mir ist es einfach wichtig, dass die Leute unsere Botschaften bis zum Ende sehen können.

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Nau.ch ist Medienpartnerin des Theater Gurten.

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