175 Jahre Bahngeschichte in der Schweiz
Das Wichtigste in Kürze
- Dampflokomotiven, Bergbahnen und die Geburt der SBB: die Anfangsjahre.
- Elefanten, Krokodile, Rote Pfeile und immer stärkere Lokomotiven: das 20. Jahrhundert.
- Taktfahrplan, Tempo 200 und eine Flachbahn durch die Alpen: Willkommen in der Zukunft.
- Feiern, schauen, staunen: die Jubiläumsevents des Verkehrshauses der Schweiz.
175 Jahre fahren schon Züge durch die Schweiz. Wir erzählen euch eine Geschichte, die älter ist als der Schweizer Bundesstaat, und das in einem angemessenen Tempo: schnell genug, um beizeiten ans Ziel zu kommen, und langsam genug, damit ihr etwas von der Reise habt. Wie eine richtige Zugfahrt halt.
Also bitte einsteigen, es geht los.
Die süssen Anfänge
1847 fuhr der erste Dampfzug der Schweizerischen Nordbahn (SNB) auf der Strecke Baden-Zürich. Heute sind die Züge dieser Linie besser bekannt unter dem Namen «Spanischbrötlibahn».
Ihren Namen haben sie von einem Süssgebäck, das sich die edlen Zürcher Herren jeweils aus Baden liefern liessen. Grund für die butterige Lieferung in den Morgenstunden war, dass die Brötchen im streng-reformierten Zürich schlicht nicht gebacken werden durften.
1852 beschloss das Parlament, dass der Ausbau des Schweizer Eisenbahnnetzes nicht Sache des Bundes sei, sondern die von Privatunternehmen. Und so begann eine ereignisreiche Pionierzeit im Schweizer Schienenbau. Unter der Aufsicht von Kantonen und Bund verlegten private Gesellschaften bis 1870 über 2700 km Schienen. Das ist ziemlich genau die Hälfte der heute gut 5300 km Gleislänge.
Als Mittelland und Voralpen mit Schienen versorgt waren, kam es zu einer Änderung im Eisenbahngesetz. Neu waren für Berg- und Lokalbahnen kleinere Spurweiten erlaubt. Im Verbund mit Zahnstangen und Standseilbahnen wurden mit diesen Schmalspurbahnen in der Folge auch die Voralpen und die Alpen erobert.
Absoluter Höhepunkt der Pionierjahre des Schweizer Bahnverkehrs ist mit Sicherheit der 1872 begonnene Bau des Gotthardtunnels. Siebeneinhalb Jahre schufteten hier im Durchschnitt zweieinhalbtausend Männer, vorwiegend Italiener, im Dreischichtbetrieb unter prekärsten Verhältnissen. Bis 1882, nach Fertigstellung der beiden Rampenstrecken, die erste Verbindung von Deutschland nach Italien durch die Schweiz endlich Realität war.
Auftritt SBB
In ein bisschen weniger als 40 Jahren hatte man in der Schweiz aus dem Nichts ein zusammenhängendes, dichtes Eisenbahnnetz geschaffen. Kehrseite dieses Erfolges waren die vielen Konkurse, welche die privaten Eisenbahngesellschaften gegen Ende des Jahrhunderts erlitten.
Deswegen beschloss das Schweizer Stimmvolk 1898 per Volksabstimmung, dass die wichtigsten Bahngesellschaften der Schweiz verstaatlicht werden sollten. Zu gross war die Angst, dass Spekulanten und Kapitalgeber diese Konkurse zuungunsten der hiesigen Verhältnisse ausnutzen könnten: «Die Schweizer Bahnen dem Schweizer Volk» lautete der dazugehörige Slogan.
Nachdem die Verstaatlichung der grossen Schweizer Bahngesellschaften beschlossen war, wurden 1902 die Schweizerischen Bundesbahnen gegründet. Die SBB übernahm nach und nach die Führung der wichtigen Hauptbahnen. Das Gros der regionalen Bahnen blieb aber in privater Hand bzw. unter der Führung der jeweiligen Kantone.
Speziell ist der Fall der Rhätischen Bahn, die sich 1897, um einer eventuellen Verstaatlichung zuvorzukommen, zur Bündner Staatsbahn erklären liess. So wurde sie nicht Teil der SBB und konnte bis in die 1910er Jahre ein 300 km langes Schmalspurnetz aufbauen.
Kohle oder Elektrizität?
Die Kohle-Engpässe im Ersten Weltkrieg machten deutlich, wie abhängig die Schweiz von Kohle-Importen war. Weil ausländische Parteien damit ein offensichtliches Druckmittel gegen die Schweiz hatten, mussten hier Alternativen gefunden werden.
Als Lösung bot sich elektrischer Strom an, den man in der Schweiz bereits seit den 1880ern aus Wasserkraft gewann. Es war aber nicht nur Rohstoffknappheit, die für die Elektrifizierung sprach. Ein Vergleich der dampfbetriebenen Gotthardroute und der über eine ähnliche Rampe führenden, elektrifizierten Lötschbergroute offenbarte nämlich: Die E-Lokomotiven waren nicht nur sauberer, sondern sie erlaubten auch höhere Geschwindigkeiten am Berg und waren ganz einfach wirtschaftlicher.
Die Schweizer Bahnen unternahmen in den 20er und 30er Jahren folgerichtig grossangelegte Elektrifizierungsmassnahmen. So waren schliesslich zu Beginn des Zweiten Weltkriegs schon über 70 %, 1946 mehr als 90 % des SBB-Netzes elektrifiziert.
Neue Züge braucht das Land
In den 1960ern war die Zuglandschaft in der Schweiz auf dem neuesten Stand. Lichtsignale hatten grösstenteils die mechanischen Signale ersetzt, das Elektrifizierungsprogramm war abgeschlossen, alles entsprach modernsten Ansprüchen. Allein das Rollmaterial war ein bisschen in die Jahre gekommen.
So beschaffte die SBB 1959 neue Hochleistungs-Triebwagen des Typs RBe 4/4. Sie übertrafen an Leistung sogar die alten Schnellzug-Lokomotiven Re 4/4 I und waren deswegen so etwas wie Lokomotiven mit Extra-Sitzplatz. So zogen sie auch lange Schnellzüge, bis sie diesen Dienst an die neuen Re-4/4-II-Lokomotiven abgeben konnten.
Grösseres Angebot und Züge im Takt
Die grosse Neuerung in den frühen 80ern hiess Taktfahrplan: Für Fahrgäste bedeutete das mindestens eine Verbindung zwischen den verschiedenen SBB-Bahnhöfen pro Stunde und kürzere Umsteigezeiten.
Für die SBB bedeutete es, dass die sogenannten Knotenbahnhöfe in Zukunft besonders wichtig waren. Denn hier kommen die Linien zusammen. Und von hier fahren die grossen Linien im Idealfall kurz vor der halben oder vollen Stunde ab.
Um den Takt zu wahren, sollten die Züge nämlich den nächsten Knotenbahnhof wieder um die volle oder halbe Stunde verlassen. Das heisst, ihre Fahrzeit zum nächsten Knotenbahnhof sollte ein bisschen weniger als 30, 60 oder 90 Minuten betragen. Entsprechend priorisiert wurden Streckenausbauten, welche Fahrzeiten von über einer halben oder vollen Stunde auf knapp darunter verkürzten.
Schliesslich konnte 2004 der neue Taktfahrplan angeboten werden, der im Fernverkehr auf Hauptstrecken einen Halbstundentakt ermöglichte. Dazu profitierten Reisende von besseren Anschlüsse an den Knotenbahnhöfen sowie kürzeren Reisezeiten für die ganze Schweiz.
Tempo und Tunnels
2004 war das wichtigste Element von Bahn 2000 fertiggestellt, die Schnellfahrstrecke zwischen Rothrist bei Olten und Mattstetten bei Bern. Ab 2007 verkehrten Züge hier mit satten 200 km/h. Wer von Bern nach Basel, Luzern oder Zürich wollte, hatte jetzt plötzlich nur knapp eine Stunde. In Olten war man neu in gerade mal 26 Minuten.
Möglich machte dies die Integration des europäischen Signal- und Sicherungssystems ETCS (Level 2). Es erlaubte auch, Züge im Abstand von zwei Minuten fahren zu lassen. Das ETCS-System basiert auf Digitalfunk (GTS-R) und zeigt dem Lokführer die Fahrerlaubnis direkt im Führerstand anstatt auf externen Signalen. Das funktioniert, weil alle mit ETCS ausgerüsteten Züge ihre genaue Position und Fahrrichtung an die Streckenzentrale melden.
Mit der Eröffnung der drei Basistunnels der NEAT markierten die Jahre 2007, 2016 und 2020 epochale Meilensteine der Bahngeschichte. Dank ihnen ist heute eine Flachbahn durch die Alpen Realität und Europas Norden und Süden so nah wie nie.
Jubiläum feiern im Verkehrshaus in Luzern und Bahngeschichte erleben
Damit ihr das 175-Jahr-Jubiläum richtig feiern könnt, hat sich das Verkehrshaus der Schweiz etwas ausgedacht. In Zusammenarbeit mit dem Verband öffentlicher Verkehr (VöV) und dessen Mitgliedern präsentiert man gleich drei Events.
Los geht es mit der Schwerpunktausstellung «175 Jahre Bahnverkehr» im Verkehrshaus der Schweiz in Luzern. Exponate sind eine Original-Fallblattanzeige, Plakate aus 175 Jahren Bahngeschichte und eine digitale Karte der Bahnlinien-Entwicklung in der Schweiz. Dazu gibt es Ausrüstungsgegenstände der Bähnler von damals und heute, ein originales Bahnwärterhäuslein und Objekte zum 50-jährigen Interrail-Jubiläum zu bestaunen.
Vom 16. bis am 19. Juni finden die Public Transportation Days statt; hier stehen die vielseitigen Berufe und zukünftige sowie vergangene ÖV-Projekte im Vordergrund. Dieses Jahr speziell im Fokus stehen die Berufe des Bahnverkehrs, von denen sich ein Grossteil normalerweise unserer Wahrnehmung entzieht.
ÖV-Angestellte profitieren hier von einem Kombiticket: Museumsbesuch, Besuch der Public Transportation Days, Eintritt ins Filmtheater und Bähnler-Lunch inklusive Getränk gibt es für sie zum Vorzugspreis. Als Zeichen der Wertschätzung für die täglich erbrachten Leistungen.
Schliesslich ist das Verkehrshaus mit einer Railshow am Samstag, 3. September 2022, am Zug-Fäscht mit dabei. Die 175 Jahre Schweizer Bahnverkehr fallen hier nämlich mit 125 Jahren Zuger Bahnhof zusammen.
Grund genug, die Stadt Zug und den Bahnhof in ein Festgelände zu verwandeln. Das Verkehrshaus ist mit einer eigens kreierten Zugkomposition, zwei Dampflokomotiven und einem Fahrzeugparcours aus den letzten 175 Jahren ÖV-Geschichte vertreten.