Krieg gegen die Ukraine: So ist die Lage
Das Wichtigste in Kürze
- Nach ihrer Ankunft in dem von Russland besetzten Atomkraftwerk Saporischschja in der Südukraine ist offen, wie lange die Inspekteure der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA dort bleiben werden.
IAEA-Chef Rafael Grossi schrieb in der Nacht im Kurznachrichtendienst Twitter, seine Organisation sei «hier, um zu bleiben» und weiterhin präsent zu sein.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj meinte, Russland versuche, die Mission in einer ergebnislosen Tour durchs Kraftwerk enden zu lassen. Moskau hatte von den Inspekteuren Objektivität verlangt.
Nach Selenskyjs Angaben verhinderte Moskau, dass internationale Medienvertreter die Atomexperten begleiten könnten. «Unabhängige Journalisten. Damit die Welt die Wahrheit sieht.» Leider hätten die «Besatzer» keine Journalisten hineingelassen, sagte er in einer in der Nacht veröffentlichten Videoansprache. Bei einem Statement Grossis vor dem AKW waren im russischen Staatsfernsehen lediglich Mikrofone russischer Medien zu sehen gewesen. Der IAEA-Chef hatte später auf Twitter ein eigenes Video veröffentlicht.
Heute ist der 191. Tag des Krieges. Zum Verlauf einer zu Wochenbeginn verkündeten Gegenoffensive gegen russische Truppen in der Südukraine hält sich das Militär in Kiew weiter bedeckt. In einem Interview der Deutschen Presse-Agentur vor seinem Deutschlandbesuch fordert der ukrainische Regierungschef Denys Schmyhal von der Bundesregierung Kampfpanzer zur Abwehr der russischen Angreifer.
Experten überprüfen Atomkraftwerk in Südukraine
Seit Donnerstag sind IAEA-Experten im Atomkraftwerk Saporischschja, um Schäden zu begutachten - auf Bildern waren sie trotz der gefährlichen Lage ohne Schutzweste und Helm zu sehen. Man wolle eine dauerhafte Mission etablieren, sagte IAEA-Chef Grossi. Er sprach von einem «lange erwarteten Besuch». Das AKW gerät seit Monaten immer wieder unter Beschuss. Moskau und Kiew machen sich gegenseitig dafür verantwortlich.
Russland hatte sich offen für eine dauerhafte IAEA-Mission am Kraftwerk gezeigt. Kiew besteht hingegen auf dem vollständigen Abzug der russischen Truppen und einer Demilitarisierung der Kraftwerksumgebung, was Moskau ablehnt. Die IAEA-Mission solle dafür den ersten Schritt darstellen. Am Mittwoch hatte Grossi noch gesagt, die Inspektion solle zunächst mehrere Tage dauern. Ein Vertreter der russischen Besatzer sagte im russischen Staatsfernsehen, dass die Inspekteure mindestens bis zum kommenden Samstag bleiben sollten.
Im ukrainischen Fernsehen schloss Energieminister Herman Haluschtschenko nicht aus, dass zwei der IAEA-Experten länger bleiben könnten. «Doch für uns ist in diesem Zusammenhang wichtiger, dass das Kraftwerk wieder unter die Kontrolle der Ukraine kommt», betonte er. Auch Selenskyj forderte in der Nacht einmal mehr den Abzug russischer Truppen. Nur so könne das AKW sicher arbeiten, meinte er.
Sowohl Vertreter Russlands als auch der Ukraine lobten die Atomexperten für ihre Entschlossenheit, trotz des Kriegs das Kraftwerk aufgesucht zu haben. Im Umfeld des Besuchs kam es laut ukrainischen Angaben erneut zum Beschuss. International ist die Sorge gross, dass es zu einer Atomkatastrophe kommen könnte.
Russland rief erneut den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in New York an und beantragte, dass die Mitglieder des mächtigsten UN-Gremiums am 6. September erneut über das AKW sprechen sollen.
Ukrainischer Regierungschef fordert deutsche Kampfpanzer
Vor seinem Deutschlandbesuch hat der ukrainische Ministerpräsident Schmyhal von der Bundesregierung Kampfpanzer zur Abwehr der russischen Angreifer gefordert. «Wir benötigen einen Wandel in der Philosophie der Waffenlieferungen. Damit meine ich: Es sollten auch moderne Kampfpanzer geliefert werden», sagte Schmyhal im dpa-Interview. «Wir erwarten von den USA, dass sie uns ihre Abrams-Panzer liefern und von Deutschland erwarten wir Leopard 2. Das sind die modernen Panzer, die die Ukraine auf dem Schlachtfeld braucht.» Schmyhal wird am Samstag in Berlin erwartet. Am Sonntag wird er von Bundeskanzler Olaf Scholz im Kanzleramt empfangen.
Deutschland will weiter russisches Gas nutzen
Russland pumpt deutlich weniger Gas nach Deutschland und hat erst am Mittwoch die Gaslieferung über die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 vorübergehend gestoppt. Dennoch will Kanzler Scholz nicht vollständig auf russisches Gas verzichten. «Das machen wir nicht von uns aus, das halte ich für nicht so verantwortlich», sagte der SPD-Politiker bei einem Bürgerdialog in Essen. Aber Deutschland sei so gut vorbereitet, dass man mit jeder Gegenreaktion umgehen könne, falls Russland selbst den Hahn zudrehe. «Selbst wenn es ganz eng wird, kommen wir wahrscheinlich durch den Winter.»
FDP-Bundestagsfraktion will «Rückbau» von Nord Stream 2
Die FDP-Bundestagsfraktion will das Kapitel der Ostseepipeline Nord Stream 2 endgültig schliessen. «Als Freie Demokraten fordern wir den Rückbau von Nordstream 2 sowie die schnellstmögliche Erarbeitung eines Konzepts zur rechtlichen, technischen und umweltfachlichen Absicherung», heisst es in einem auf der Herbstklausur in Bremen beschlossenen Positionspapier, das der Deutschen Presse-Agentur vorlag. Die FDP-Fraktion wolle so schnell wie irgend möglich alle Rohstoff- und Energiekäufe aus Russland und Belarus beenden, soweit dies die eigene wirtschaftliche Handlungsfähigkeit zulasse.
Das wird heute wichtig
Die IAEA-Experten setzen ihre Arbeit am Kraftwerk Saporischschja fort. Mit Spannung wird zudem erwartet, ob Russland die Gaslieferung über die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 wie angekündigt wieder aufnimmt. Sie war zu Wochenmitte gestoppt worden. Als Grund gab der russische Energieriese Gazprom planmässige Wartungsarbeiten an. Russlands Vize-Regierungschef Alexander Nowak sagte am Abend laut der Staatsagentur Tass, er gehe von einer Wiederaufnahme am heutigen Freitag aus.