Oberbaselbieter Bauern schufen rund um die Ruine Farnsburg ein überregional beachtetes Projekt. Ausgerechnet in der Heimat ist dies aber noch kaum bekannt.
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«Enorm wichtig»: Birdlife-Projektleiter Jonas Schälle mit Totholz. - OnlineReports.ch / Peter Knechtli

Das Wichtigste in Kürze

  • Seit 2004 gibt es den «Obstgarten Farnsberg».
  • Ziel des Projekts ist es, der dortigen diversen Flora und Fauna das Überleben zu sichern.
  • Heute gilt man als Vorzeigeprojekt. Exkursionsanfragen kommen aus der ganzen Schweiz.
  • In der heimischen Bevölkerung hingegen ist der «Obstgarten» überraschend unbekannt.
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Ueli Lanz (69) aus Buus versprüht plötzlich Aufregung, als ihn «OnlineReports» telefonisch erreicht. «Jetzt, da wir miteinander sprechen, höre ich gerade einen Wiedehopf rufen.» Gedämpft und in zügigem Rhythmus tönt es «Wu-wu-wu». Im Jahr 1965 hat der Vogel zum letzten Mal im Dorf gebrütet.

Der begeisterte Ornithologe, der schon die Vogelpflegestation seines Vaters Walter weitergeführt hat, steht jede Woche draussen im Feld und beobachtet am Fusse des Farnsbergs, was sich so tut.

Getan hat sich schon einiges. Im Jahr 2004 startete der Schweizer Vogelschutz (neu: Birdlife Schweiz) das Projekt «Obstgarten Farnsberg». Eingebunden sind die kommunalen Natur- und Vogelschutzverbände der fünf Gemeinden, die den 760 Meter hohen Farnsberg säumen: Ormalingen, Hemmiken, Buus, Rickenbach und Gelterkinden. Später kam aus der Nachbarschaft der aktive Verband Rothenfluh/Anwil hinzu.

Der «gute Draht» zu den Bauern

Im Fokus hatten die Initiatoren eine Fläche von zwölf Quadratkilometern, die dank extensiver Bewirtschaftung den Hochstammbäumen und einer diversen Fauna und Flora das Überleben sichern sollte. Das ging nur mit enger Beteiligung der Landwirtschaft.

Von Anfang an dabei war auch Ueli Lanz – er war damals Präsident des Natur- und Vogelschutzvereins Buus. «Ich hatte einen guten Draht zu den Bauern. Den machte ich mir zunutze», verrät er «OnlineReports». Anfänglich machten sechs Betriebe mit.

Heute sind es mehr als 30 Bauern, die den Berg mit seiner bewaldeten Kuppe zu einem sehr stark lokal verankerten «schweizweiten Vorzeigeprojekt» machten, wie Birdlife-Schweiz-Präsident Raffael Ayé (46) bilanziert. Exkursionsanfragen erreichen ihn gar aus dem Bündnerland.

Direktzahlung als Anreiz

Mussten die Bauern bei Beginn vom Sinn des Projekts überzeugt werden, meldeten sie sich zunehmend proaktiv für die Teilnahme an. Der Grund ist nicht nur auf selbstloses ökologisches Engagement zurückzuführen. Vielmehr werden die Landwirtschaftsbetriebe für ihre Leistungen über Direktzahlungen durch Bund und Kanton aufwandgerecht entschädigt.

Birdlife als operative Hüterin des «Obstgartens» steuert ihrerseits Projektbeiträge für Initialaufwand (etwa beim Setzen von Bäumen oder für das Saatgut für Buntbrachen) bei, die sie bei Geldgebern wie Stiftungen oder dem Swisslos-Fonds akquiriert.

Je nach Umfang der vertraglich vereinbarten Aufwertungs-Massnahmen kann ein Bauer mit Zahlungen von einigen Tausend bis rund 50'000 Franken rechnen. «Ohne diese Zahlungen würden die Bauern mit einem Defizit für ihr Engagement bestraft», sagt Raffael Ayé.

In der lokalen Bevölkerung kaum bekannt

Obschon an Wiesen und Weiden des Wandergebiets Farnsberg viele Informationstafeln auf das bedeutsame Projekt hinweisen (Bild), der nahen Bevölkerung ist es erstaunlicherweise kaum bekannt.

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Eine Informationstafel über den «Obstgarten Farnsberg». - OnlineReports.ch / Peter Knechtli

Dies hat damit zu tun, dass es weiterhin vor allem ein Projekt der Akteure ist, deren Interesse an einer «Völkerwanderung» (so ein Beteiligter) sich ebenso in Grenzen hält wie das Budget für PR-Offensiven.

Vielleicht wird auch der Begriff «Obstgarten» allgemein eher als etwas Privates, Kleinräumiges in der engen Umgebung eines Wohn- oder Bauernhauses aufgefasst.

Ein weiterer Grund: Die Aufwertungs-Massnahmen sind auf den ersten Blick unspektakulär. Beim Umwandern des Farnsbergs ist nur mit wachem Blick zu erkennen, dass sich diese Kulturlandschaft von anderen unterscheidet.

Im Gedenken an den Rotkopfwürger

Ich treffe mich deshalb mit Birdlife-Projektleiter Jonas Schälle (33) auf der Buuseregg zu einer kleinen Exkursion. Der in Arlesheim aufgewachsene, auf Agrarökologie spezialisierte Soziologe macht aus seiner Faszination für den «Obstgarten» keinen Hehl. Nach einer Viertelstunde verlassen wir auf der Nordseite den Wald – und da sprudelt es aus ihm heraus.

«Enorm wichtig» für die Biodiversität sei die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts durch industrialisierte Landwirtschaft und Siedlungsdruck verkümmerte Hochstammkultur-Landschaft.

Schälle erwähnt einen Vogel, dessen Bedrohung massgeblich zum «Obstgarten» beigetragen hat: Der Rotkopfwürger hat in der Schweiz 2009 zum letzten Mal am Farnsberg gebrütet. «Man versuchte, ihn zu erhalten, aber es kam für ihn leider zu spät.» Seither gilt er als ausgestorben.

Gefräste Wiese als Jagd-Raum

Und dann deutet sein Arm zur Beschreibung der Massnahmen immer wieder in die Landschaft: Hier eine kilometerlange Hecke von unterschiedlicher Höhe, dort ein Ast- oder ein Steinhaufen, der als Jagdsitz für Vögel oder sicherer Unterschlupf für allerlei Insekten und Kleingetier wie Spinnen, Mäuse, Eidechsen, Reptilien und Amphibien dient.

Wir gehen weiter ostwärts und treffen auf Wurzelstöcke und Totholz, von Bauern gepflegte Nistkästen für Höhlenbrüter wie den Gartenrotschwanz, den Wendehals, den Wiedehopf oder den Steinkauz. In einer gesonderten Parzelle treffen wir auf Sitzwarten für Greifvögel. Gelichtete Waldränder sollen einen «harten Schnitt» zum Kulturland aufweichen.

Im Gebiet «Mettli» weist Jonas Schälle auf eine für das Projekt «typische Situation» zwischen Wiese und einer nahen Hecke (Bild unten):

Ein wenige Meter breiter Streifen, auf dem das Gras dreimal jährlich abgefräst wird, bevölkert sich bei warmem Wetter mit Insekten – eine beliebte Nahrungsquelle für den Neuntöter, der auf der Hecke nebenan lauert. Der bedrohte Neuntöter gehört zu den Zielarten des Projekts wie der Gartenrotschwanz, der Wendehals oder der Trauerschnäpper.

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Links von der blühenden Hecke bräunlich erkennbar: der offene Bodenstreifen. - OnlineReports.ch / Peter Knechtli

Auffällig sind die kleinräumigen, abwechslungsreichen Strukturen mit ihrer unterschiedlich hohen Vegetation. Das hohe Gras wird räumlich gestaffelt geschnitten, um Vögeln stets einen Nahrungsplatz am flachen Boden zu bieten.

Die kleinräumige Bewirtschaftung ist aufwändig und beeinträchtigt den Ertrag, weshalb die Werktätigen auf dem Feld entschädigt werden. Laut Jonas Schälle beziffert das «Obstgarten»-Budget 2025–2028, Projektleitung inbegriffen, auf gegen 700'000 Franken.

Von Anfang an dabei

Einer der Bauern, die als Zugpferde agieren und von Anfang an dabei sind, ist Christian Weber, den auch ein unerwarteter Schneesturm im Frühling nicht davon abhält, eine Exkursionsgruppe mit Information zu versorgen. Er bewirtschaftet mit seiner Frau Stefanie den 1825 gegründeten «Baregg-Hof» auf dem Gemeindebann von Hemmiken. Auf seinen 27 Hektaren grossen Weiden und Wiesen stehen über 350 Hochstamm-Bäume.

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«Baregg»-Bauer und Biodiversitäts-Pionier Christian Weber. - OnlineReports.ch / Peter Knechtli

In seinem Obstgarten weiden 100 Galloway-Rinder, wie sie auch Markus Dettwiler vom benachbarten «Farnsberg-Hof» hält. Ihnen genügen die extensiven Weiden, die nicht gedüngt werden dürfen. Sie ernähren sich kraftfutterfrei von Gras und Heu.

Christian Weber trägt auch mit Hecken- und Waldrandpflege zum Projekt bei, was er als «zum Teil kommerziell interessant» bezeichnet, während Getreideanbau in seinem Bann «nicht unbedingt attraktiv» sei. Ausserdem ist das geschäftliche Risiko der Aufwertungs-Arbeit deutlich geringer als im Ackerbau.

Der Initiative-«Baregg»-Betreiber hat es sich auch nicht nehmen lassen, landwirtschaftliche Produkte unter der Marke «Obstgarten Farnsberg» im Direktvertrieb ohne Zwischenhandel zu vermarkten. Am «Gnussmärt Lieschtel» bietet er Brote und Butterzöpfe an.

Kostenlose Beratung für Bauern

Den «Obstgarten Farnsberg» bezeichnet Weber als «Leuchtturm-Projekt». Er verweist auch auf die entscheidende Rolle der für den Bauern unentgeltlichen Beratung. Zuständig dafür ist seit zehn Jahren die im aargauischen Brugg domizilierte Firma «Agrofutura», die aus dem Projektfonds finanziert.

Sollte mehr für Bio-Diversität getan werden?

Der Biologe Manfred Lüthy (67) war Mitbegründer des heute 40 Mitarbeitende starken Beratungs-Unternehmens. «Unser Ziel ist es, vor Ort eine Vorstellung zu entwickeln, was die Bauern umsetzen können», sagt Lüthy zu «OnlineReports».

«Enorme Insekten-Vielfalt» durch Buntbrachen

Wichtig: Die gemeinsam mit den Bauern definierten Massnahmen «müssen Wirkung haben, dürfen aber nicht zu kompliziert» sein. Der Bauer setzt die Massnahmen sodann selbstständig um. Als Bewilligungs-, Kontroll- und Auszahlungsstelle firmiert das Landwirtschaftliche Zentrum Ebenrain in Sissach.

Anfänglich habe man sich darauf konzentriert, «einen möglichst grossen Anteil an Biodiversitäts-Flächen» aus Betrieben herauszuholen. Weil aber «die Vögel nicht reagierten», habe man sich «für möglichst viele Massnahmen auf kleinem Raum» entschieden. Dazu gehören auch sogenannte Buntbrachen – mit einheimischen Wildkräutern angesäte Flächen auf Ackerland –, die zu einer «enormen Vielfalt an Insekten» führen.

Stark erholter Neuntöter-Bestand

Die Erträge aus dem «Obstgarten»-Projekt, so Lanz, seien für die bäuerliche Betriebsrechnung «nicht vernachlässigbar». Eine Hektare Blumenwiese trägt rund 4000 Franken ein, 100 Hochstamm-Obstbäume etwa 5000 Franken.

Das Projekt hatte auch einige Rückschläge zu verzeichnen. So kehrten ihm anfänglich zwei Bauern den Rücken. Doch der Erfolg überwiegt bei Weitem: Neben der massiven Zunahme an Bauernbetrieben hat auch der Neuntöter seinen Bestand von acht auf 21 Brutpaare fast um das Dreifache erhöht, wie die letzte Kartierung im Jahr 2020 ergab. Derweil ist schweizweit ein Rückgang seiner Population im Gange.

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Ein Nistkasten - OnlineReports.ch / Peter Knechtli

Allein in der Periode 2015 bis 2018 wurden 502 Bäume und 750 Sträucher gepflanzt, 100 Nistkästen aufgehängt und vier Schürfflächen angelegt, wie aus dem Birdlife-Abschlussbericht hervorgeht. Dadurch werde die «schweizweite Vorreiterrolle des Obstgarten Farnsberg in der Verbindung von Landwirtschaft und Ökologie» gestärkt.

Das Projekt gilt als Referenz

Die Bilanz der beteiligten Akteure ist eindeutig. Simone Wenger, am Ebenrain-Zentrum zuständig für die Vollzugs-Leitung Biodiversität in der Landwirtschaft, spricht gegenüber «OnlineReports» von einem «riesigen Vorzeigeprojekt». Auch Agrofutura-Berater Manfred Lüthy nutzt den Oberbaselbieter Obstgarten im Gespräch mit auswärtigen Interessenten immer wieder mal als Referenz.

Kein Wunder, feiern Birdlife und seine Partner kommendes Wochenende das 20. Jubiläum am und auf dem Farnsberg. Vielleicht sogar unter dem Ruf des Wiedehopfs.

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Hinweis: Dieser Artikel wurde zuerst im Basler Newsportal «OnlineReports» publiziert.

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