Die Schweizer Atombombe hätte es vor 50 Jahren geben können – wäre nicht der Reaktorunfall in Lucens VD.
Bilder nach dem Reaktorunfall in Lucens VD.
Bilder nach dem Reaktorunfall in Lucens VD. - Keystone
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Das Wichtigste in Kürze

  • Das schlimmste Atomunglück der Schweiz ereignete sich vor 50 Jahren.
  • Mit dem Reaktorunfall in Lucens VD starb auch der Traum von der Schweizer Atombombe.

Vor 50 Jahren ereignete sich in Lucens VD das schlimmste Atomunglück der Schweizer Geschichte: Im unterirdischen Versuchskraftwerk kam es zur Kernschmelze – ein Störfall des Schweregrads 5 von 7. Der Traum vom Reaktor Marke Eigenbau und von der Atombombe platzte.

Dem Strahlenschutzbeauftragten rutschte schier das Herz in die Hose, als er kurz nach der überraschenden Selbstabschaltung der Anlage seinen Kontrollgang machte. Am Eingang zur Reaktorkaverne hing eine Personen-Kontrollmarke. Mit solchen Plaketten zeigten in Lucens Arbeiter an, dass sie sich im jeweiligen Bereich aufhielten.

Bilder nach dem Reaktorunfall in Lucens VD.
Bilder nach dem Reaktorunfall in Lucens VD: Demonstrationen gegen den AKW. - Keystone

Hinter der Tür, in der Reaktorhöhle, war schon allein die Konzentration an ausgetretenem Kühlgas tödlich. Die Radioaktivität konnte erst gar nicht gemessen werden, weil sie über dem Maximum auf den Messinstrumenten lag. Doch Glück im Unglück: Der entsprechende Arbeiter wurde heil und munter anderswo aufgefunden. Er hatte vergessen, seine Marke abzuhängen.

Aber die Reaktorkaverne war nicht ganz dicht: Die Radioaktivität breitete sich bis zum 100 Meter entfernten Kontrollraum aus. Da die Dekontaminations-Duschen unbrauchbar waren, mussten die Arbeiter in einem Provisorium ohne Warmwasser duschen – eine recht prickelnde Erfahrung so mitten im Winter, wie ein Zeitzeuge 1972 auf einem Kongress in Karlsruhe (D) berichtete.

Regelmässige Nachmessungen

Gegen aussen war die Anlage auch nicht ganz hermetisch, aber zwei angeforderte Strahlenschutzbeauftragte der Eidgenössischen Kommission für die Überwachung der Radioaktivität konnten in den umliegenden Dörfern nur einen geringen Anstieg der Strahlung feststellen.

Die unterirdische Bauweise der Anlage hatte Bevölkerung und Umwelt vor dem schlimmsten bewahrt. Zugleich war sie wohl auch mit schuld an der Havarie: Von aussen eindringendes Wasser war immer wieder ein Problem gewesen.

So auch nach der ersten dreimonatigen Betriebsphase 1968, als die Anlage zwecks Revision stillgelegt wurde. Von der Belegschaft unbemerkt drang Wasser ein und brachte die Magnesiumummantelung der Brennstäbe zum Korrodieren. Nach 13 Stunden Kernschmelze, Brand und Explosion.

Die Schweiz war haarscharf an einem Gau vorbeigeschrammt – und schwieg hübsch still. Als zehn Jahre später in Three Mile Island bei Harrisburg ein Atomunfall vom selben Schweregrad vorfiel, ging ein Aufschrei um die Welt. Nicht so im Fall von Lucens.

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