Hirten mit Herz: Ein Sommer auf Sloweniens Hochalm

Auf der Velika planina leben Hirten noch immer nach jahrhundertealten Bräuchen in runden Holzhütten, die im Alpenraum ihresgleichen suchen.

Die Velika planina befindet sich auf 1600 Meter Seehöhe und bietet spektakuläre Ausblicke auf die umliegenden Alpengipfel. - Arnita Arneitz/dpa-tmn

Das Wichtigste in Kürze

  • Auf der slowenischen Alm Velika planina weiden Hirten seit Jahrhunderten ihre Kühe.
  • Diese beinhaltet Riten, Rechte und Pflichten – es gibt sogar ein eigenes Parlament.
  • Für Aussenstehende besonders ist vor allem die Kultur, die heute dem Tourismus offen ist.
  • Hüttenarchitektur und Käsekunst gehören zu den Must-sees bei einem Besuch.

Es ist fünf Uhr morgens, als Žan Potočnik in seine Holz-Zockeln schlüpft und zu den Kühen geht. Noch bevor das Morgenessen für die Menschen auf dem Tisch steht, werden die Tiere versorgt und frische Milch gemolken.

Das war schon immer so auf der Velika planina, einem weitläufigen Hochalmplateau in den slowenischen Steiner Alpen, rund 40 Kilometer nördlich der Hauptstadt Ljubljana.

Hier auf über 1600 Meter Seehöhe wurde über Generationen hinweg eine besondere Hirtenkultur bewahrt.

Ein Sommer auf Sloweniens Hochalm" von Anita Arneitz vom 30. Mai 2022: Die Velika planina liegt in den Steiner Alpen. Von der Hauptstadt Ljubljana ist es nicht weit bis zu der Hochalm. - dpa_tmn

Sobald der Schnee geschmolzen ist, führen die Hirten aus den umliegenden Dörfern ihre Kühe hinauf in die Berge, damit diese bis in den September hinein die saftigen Kräuterwiesen abgrasen.

An die vier Stunden dauert der Aufstieg. Direkt am Hochplateau tummeln sich dann bis zu 500 Kühe. Die Hirten bleiben die ganze Zeit bei den Tieren.

«Früher gab es viele Hirten», sagt Žan. Mit Anfang 20 ist er mit Abstand der Jüngste in der Hirtengemeinschaft. Es fehlt an Nachwuchs. Kaum noch jemand möchte drei Monate mit harter Arbeit in den Bergen verbringen.

Žan Potočnik verbringt den Sommer als Hirte auf der Velika planina. Mit Anfang 20 ist er der Jüngste in der Gemeinschaft. - Arnita Arneitz/dpa-tmn

Schon gar nicht, wenn das Leben aufs Wesentliche reduziert ist. Es gibt weder Strom noch fliessend Wasser.

Regenwasser sickert in den Boden und wird in einem unterirdischen Reservoir aufgefangen. Solarkollektoren heizen das Wasser auf. Der Müll wird in einer Hütte gesammelt und regelmässig mit dem Traktor ins Tal gebracht. Sie wissen sich zu helfen hier oben.

Ein Privileg, Hirte zu sein

Mehr als 100 Hütten gibt es auf der Velika planina, aber nur mehr an die 20 Hirten sind aktiv. Während jeder von ihnen früher fünf bis zehn Kühe versorgte, sind es jetzt deutlich mehr.

Hirte auf der Velika planina zu werden, ist keineswegs einfach. Es gibt keine Ausbildung. Vielmehr ist es ein Privileg.

Im Preskar Museum auf der Velika planina erklärt Hirte Žan, wie das Leben auf der Hochalm in früheren Zeiten aussah. - Arnita Arneitz/dpa-tmn

Maria Theresia, einstige Erzherzogin von Österreich, gab den Bauern aus den umliegenden Dörfern das Recht, ihre Kühe hier auf der Velika planina weiden zu lassen.

Noch heute wird dieses Recht von Generation zu Generation weitergegeben. Damit verbunden sind einige Pflichten.

Wenn das Hirtenparlament tagt

Unter den Hirten gibt es eine klare Hierarchie und festgesetzte Regeln. Zu Beginn jedes Sommers wird ein eigenes Hirtenparlament abgehalten. Bei diesem werden Aufgaben und Arbeiten verteilt sowie der Milchpreis festgelegt. Jede Kuh bedeutet ein Stimmrecht.

Neben den Tieren kümmern sich die Hirten um die Pflege der Alm. Immerhin gibt es an die 500 Hektar Weidefläche – wer keine Idee hat, wie viel das ist: Das entspricht ungefähr 700 Fussballfeldern.

Die Hirten fällen kranke Bäume, kümmern sich um die Wege, mähen die Wiesen, halten die Hütten in Schuss, achten auf den Naturschutz und produzieren Milch- sowie Käseprodukte.

Vieles wird noch mühsam mit der Hand gemacht. «Der ganze Tag ist mit Arbeit gefüllt», sagt Žan, der ausserhalb der Ferien Politikwissenschaft studiert.

Hütten, die an Jurten erinnern

Kreisförmig sind die Holzhütten am Plateau zu einer Siedlung angeordnet. Die Architektur der Hütten erinnert an die Form einer Jurte. Alle sind rund oder oval. Das Dach aus Fichtenholzschindeln reicht bis zum Boden. Sonst sind die Hütten in den Alpen rechteckig.

Seit wann genau es die Hirtenhütten in dieser Form auf der Velika planina gibt, ist nicht bekannt. Besiedelt ist das Plateau bereits lange, wie prähistorische Funde beweisen.

Die traditionellen Hirtenhütten sind im Schnitt rund zwei Meter breit. Im Zentrum der Hütte ist Platz zum Kochen und Schlafen, eingesäumt vom Stallbereich der Tiere.

Früher sorgten die Tiere in der Nacht für Wärme, dafür wurden sie von den Hirten vor Bären oder Wölfen beschützt. Manche verbrachten dafür die Nacht halbwach auf einem Stuhl. Drohte Gefahr, wurde ein Horn geblasen, sodass die anderen gewarnt waren.

Traditionelles Sennerhandwerk

Eine Hütte dient heute als Museum, mit Einrichtungsgegenständen und Werkzeugen von damals. Auf Schwarz-Weiss-Fotografien sind Hirten mit ihren langen Mänteln und bei der Herstellung des Trnič zu sehen.

Trnič ist ein typischer Hartkäse, der auf der Velika planina produziert wird. Ähnlich wie Parmesan wird er oft zum Würzen über die Speisen gerieben. Der Trnič schmeckt leicht salzig und ist sehr lange haltbar.

Der Trnič ist auf der Velika planina ein Symbol der Liebe. Wegen seiner, an die weibliche Brust angelehnten Form wird er auch «Busenkäse» genannt. - Arnita Arneitz/dpa-tmn

«Im Museum steht einer, der ist 30 Jahre alt. Aber essen würde ich den nicht mehr», sagt die Sennerin Rezka Malijeva und lacht. Sie ist schon über 90, packt aber weiter mit an.

Malijeva holt frischen Käse und geschnitzte Holzstäbe aus der Hütte. Mit den Holzstäben wird ein Muster in den Käse gedrückt: Es besteht aus Alpenblumen wie Edelweiss, Herzchen, Blätter und Kreuzen.

Der «Busenkäse» als Liebesschwur

Reich verziert ist der Trnič ein Symbol der Liebe. Er wird immer paarweise in Form einer weiblichen Brust hergestellt. Einst waren die Hirten monatelang alleine auf der Alm und hatten Zeit und Muse für solch aufwendige Schnitzereien.

Als Liebesschwur werden immer zwei Trnič an die Auserwählte überreicht. Gibt sie dem Burschen einen Trnič zurück, teilt sie seine Gefühle. Bekommt er beide Käselaibe zurück, wird es nichts aus seinem Liebesglück.

Hauptstadtnah und doch eine andere Welt

Seit 1964 fährt eine Seilbahn auf die Velika planina. Anfangs transportierte sie Arbeiter, jetzt vor allem Touristen. Wer keine vier Stunden den Berg hochlaufen will, nimmt Gondel und Sessellift.

Beide haben etwas Retro-Charme, sind aber renoviert.

Sterz, Quarkstrudel, Braten und mehr: So sieht es aus, wenn auf der Velika planina traditionell aufgetischt wird. - Arnita Arneitz/dpa-tmn

Wanderer im Sommer und Skifahrer im Winter sehen bei der Fahrt weit über tiefe Schluchten und grüne Wälder bis nach Ljubljana hinab. Die Hauptstadt Sloweniens ist gut 40 Minuten Autofahrt von der Talstation der Gondel entfernt.

Mystik der Hochalm

Trotzdem scheint die Welt auf der Hochalm eine andere zu sein. Wenn Tagesflügler die letzte Talfahrt nehmen, wird es friedlich am Berg. Bis auf das Läuten der Kuhglocken ist nichts mehr zu hören.

Dann ist sie langsam zu spüren, die besondere Energie, von der die Hirten erzählen.

Ihre Familien verbringen noch immer den Sommer mit den Kindern in den Hütten. Wenn nicht drei Monate, dann zumindest für ein paar Ferienwochen. Ein Bub folgt Žan auf Schritt und Tritt.

Neugierig lauscht er seinen Geschichten und fragt nach. Vielleicht ist es einer der Nächsten, der das Vermächtnis der Hirten bewahrt.