Zu Besuch bei den Sgraffiti-Meistern im Engadin

Viele Fassaden alter Engadiner Häuser sind mit sogenannten Sgraffiti verziert. Diese sind wieder stark im Kommen, wie ein Besuch vor Ort zeigt.

Die Arbeiten von Paulin Nuotclà und Jorge da Silva sind sehr gefragt. - Dominik Buholzer

Das Wichtigste in Kürze

  • Alte Engadiner Häuser sind durch wuchtige Mauern und Zeichnungen an der Fassade geprägt.
  • Solche Verzierungen, die Sgraffiti, sind wieder stark im Kommen.
  • Wir haben zwei Sgraffiti-Meistern einen Besuch abgestattet.

Den aufmerksamen Augen von Jorge da Silva entgeht nichts. «Schau dir diesen hellen Streifen ganz oben an der Hauswand an. Das deutet darauf hin, dass es hinter dem Verputz noch ältere Verzierungen gibt», sagt er.

Da Silva ist Sgraffito-Künstler und weiss. Die Häuser im Engadin stecken voller Überraschungen. «Bei der Renovation von alten Gebäuden stossen wir regelmässig auf ganz alte Zeichnungen. Die können vor mehreren hundert Jahren entstanden sein».

Sgraffito heisst dieser Hausschmuck. Das Spezielle daran: Er wird in die feuchte Hauswand geritzt.

Von einer Engadiner Erfindung kann man nicht sprechen. Es handelt sich viel eher um eine kulturelle Aneignung. Ihren Ursprung haben die Sgraffiti im 14. Jahrhundert in Italien.

Sgraffiti an namhaften Gebäuden

Doch wie sonst nirgends tragen die Sgraffiti im Engadin zum unverwechselbaren Charakter der Dörfer bei. Es sind oft Ornamente oder spezielle Zeichen, die die Häuser schmücken.

Es lassen sich zum Teil auch bildliche Darstellungen des bäuerlichen Alltags oder kirchliche Motive ausmachen.

Jorge da Silva hat das Handwerk bei Paulin Nuotclà gelernt. Dieser hat mit seinen Sgraffiti der Region seinen Stempel aufgedrückt. Alleine in 17 Jahren hat er zusammen mit Da Silva über 100 Gebäude im Engadin verziert.

Sgraffiti zieren im Engadin zahlreiche Gebäude. - Dominik Buholzer

Nuotclà/Da Silva frischten unter anderem die Arabesken-Motive beim Badrutt’s Palace Hotel in St. Moritz auf und waren für die Verputz- und Malerarbeiten des Muzeum Susch zuständig.

Dazu kommen Arbeiten in Davos, Lenzerheide/Valbella, Ischgl/Paznaun, Portugal und Norditalien.

Gleiche Muster wie in Indien

Einem fixen Plan entsprang all dies nicht, genauso wenig wie es Nuotclàs Eltern anfänglich begrüssten. Sie hätten ihren Sohn lieber auf dem Bau oder dem Hof gesehen, aber nicht als Sgraffito-Künstler auf einem Gerüst.

Doch der heute 71-Jährige ging seinen Weg. Sein zeichnerisches Geschick machte schnell die Runde. «Und weil ich laufend neue Aufträge bekam, machte ich weiter», sagt er. So einfach kann es zuweilen gehen.

Sgraffiti-Meister Paulin Nuotclà bei der Arbeit. - Dominik Buholzer

Paulin Nuotclà braucht nicht viel, um sich entfalten zu können: Kratzer, Zirkel und eine Holzleiste genügen.

Alleine mit einem Zirkel könne man verrückte Dinge machen, sagt er: «Du findest auf indischen Möbelstücken zuweilen die gleichen Muster wie an Engadiner Häusern.»

Sgraffiti erleben einen Boom

Sgraffiti erlebten in den vergangenen Jahren wieder einen Boom. Entsprechend wenig mangelt es Nuotclà/Da Silva an Aufträgen, wohl aber an Mitarbeitern. Der Kalk, der auf die Hauswände aufgetragen wird und in den später die Sgraffiti gekratzt werden, setzt den Händen zu.

Zudem muss es schnell gehen. Die Kalkschicht darf nicht zu feucht, aber auch nicht zu trocken sein. «Wenn der richtige Zeitpunkt da ist, musst du vorwärtsmachen mit dem Zeichnen. Da bleibt dann manchmal nicht einmal Zeit zum Essen», sagt Nuotclà.

Drei Generationen, eine Leidenschaft: Paulin Nuotclà mit Jorge und André da Silva. - Dominik Buholzer

Mit André, dem Sohn von Jorge, zeichnet sich zumindest ab, dass ihr Handwerk eine Zukunft hat. André ist diesen Sommer bei den beiden eingestiegen: «Es gibt keine besseren Lehrmeister», sagt er.