China und Indien wollen Truppen zurückziehen
Getötete Soldaten, Warnschüsse und Feindseligkeit: Die beiden rivalisierenden Atommächte China und Indien streiten offen um ihre Grenzlinie im Himalaya. Können sie ihren Konflikt eindämmen?
Das Wichtigste in Kürze
- China und Indien haben sich auf erste Schritte geeinigt, um die neu aufgeflammten Spannungen an ihrer umstrittenen Himalaya-Grenze zu verringern.
Die Truppen beider Seiten sollten sich «schnell voneinander lösen, angemessenen Abstand halten», ihren Dialog fortsetzen und die Spannungen abbauen, heisst es in einer Vereinbarung beider Aussenminister bei einem Treffen in Moskau.
Chinas Chefdiplomat Wang Yi und sein indischer Kollege Subrahmanyam Jaishankar waren am Donnerstag am Rande des Aussenministertreffens der Shanghai Kooperationsorganisation (SCO) in der russischen Hauptstadt zusammengetroffen. Indien und China werfen sich gegenseitig Provokationen an der Grenzlinie vor. Erstmals seit mehr als vier Jahrzehnten sollen diese Woche Schüsse gefallen sein - beide Seiten haben einander vorgeworfen, Warnschüsse abgegeben zu haben.
Die Beziehungen der benachbarten Atommächte haben sich nach einem tödlichen Grenzzwischenfall vor gut drei Monaten verschlechtert. Dabei waren mindestens 20 indische Soldaten ums Leben gekommen. Anschliessende Deeskalationsgespräche von militärischen und diplomatischen Vertretern der beiden bevölkerungsreichsten Länder der Welt konnten die Spannungen bislang nicht vollends beruhigen.
Der Streit der asiatischen Rivalen um ihre gemeinsame Grenze dauert schon lange. In den 60er Jahren hatten beide Staaten einen kurzen Krieg geführt, den China gewann. Der tödliche Zusammenstoss im Juni war der schlimmste seit Jahrzehnten. Indiens Premierminister Narendra Modi steht innenpolitisch stark unter Druck, Peking eine harte Antwort zu geben. Sein Land ist China militärisch aber unterlegen.
Die indische Seite äusserte während des Aussenministertreffens «starke Bedenken» angesichts der vielen chinesischen Truppen an der Grenze, wie indische Medien, darunter der staatliche TV-Sender Doordarshan, mit Berufung auf Diplomatenkreise berichteten. Die Grösse dieser Truppen verstosse demnach gegen Abkommen aus den 1990ern und die chinesische Seite habe keine «glaubwürdige Erklärung» für diese Stationierung gegeben. Indien würde unilaterale Versuche, die Grenze zu ändern, nicht tolerieren, hiess es weiter.
Die Beziehungen zwischen beiden Ländern stehen nach den Worten von Chinas Aussenminister Wang Yi «wieder einmal an einem Scheideweg». Aber es sei «normal», dass zwei grosse Nachbarn Differenzen hätten. Wichtig sei, dass diese Meinungsunterschiede in einen angemessenen Kontext hinsichtlich ihrer bilateralen Beziehungen gestellt würden. «Was China und Indien jetzt brauchen, ist Kooperation, nicht Konfrontation, sowie gegenseitiges Vertrauen, nicht Argwohn», zitierte die Staatsagentur den Aussenminister. Auch indische Medien berichteten mit Berufung auf diplomatische Quellen, dass eine schnelle Lösung der Situation im Interesse beider Länder sei.
«Wann immer die Lage schwierig wird, ist es umso wichtiger, die Stabilität der gesamten Beziehungen zu sichern und gegenseitiges Vertrauen zu bewahren», gab Xinhua den Aussenminister wieder. Es sei zwingend eindringlich, «umgehend die Provokationen wie Schüsse und andere gefährliche Aktionen zu stoppen, die gegen Verpflichtungen beider Seiten verstossen», zitierte ihn Xinhua.
Auch sei wichtig, alles Personal und Ausrüstung zurückzuziehen, die die Grenzlinie verletzt hätten, forderte Wang Yi. Er ging nicht weiter darauf ein, dass beide Seiten unterschiedliche Vorstellungen vom Verlauf dieser sogenannten tatsächlichen Kontrolllinie (Line of Actual Control LAC) haben, was genau der Streitpunkt hinter den jüngsten Konfrontationen ist. «Die Grenztruppen müssen sich schnell voneinander lösen, damit die Lage deeskalieren kann», sagte Wang Yi. China wolle den Dialog mit Indien über militärische und diplomatische Kanäle fortsetzen.