Israel: Oberstes Gericht berät über umstrittene Justizreform

Das Oberste Gericht Israels berät über eine hochumstrittene Justizreform. Kritiker sehen in den Plänen der Regierung die Abschaffung der Gewaltenteilung.

20230913_Das Oberste Gericht Israels muss über seine eigene Zukunft beraten. - keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Israels Oberste Gerichts berät über eine Justizreform, die seine Macht einschränken soll.
  • Der Vorgang ist der erste seiner Art in der Geschichte des Staates.
  • Kritiker werfen der Regierung vor, mit der Reform den Rechtsstaat abbauen zu wollen.

Am Dienstag kam erstmals in der Geschichte Israels das Oberste Gericht zusammen, um über Petitionen gegen eine Gesetzesänderung zu beraten. Beobachter gehen davon aus, dass die Beratungen Wochen in Anspruch nehmen könnten. Ihr Ausgang scheint derweil gänzlich unklar.

Die rechts-religiöse Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahus Regierung hatte Ende Juli eine Änderung eines Grundgesetzes verabschiedet. Diese entzieht dem Obersten Gericht grosse Teile seiner Autorität. So soll es den Richtern nicht mehr möglich sein, gegen «unangemessene» Entscheidungen der Regierung oder einzelner Minister vorzugehen.

Justizreform spaltet Israel

Die Änderung gilt als ein erster Kernteil eines von der Regierung vorangetriebenen Justizumbaus. Dieser spaltet seit Jahresbeginn weite Teile der israelischen Gesellschaft. Am Montagabend gingen erneut Zehntausende Menschen gegen das Vorhaben der Regierung auf die Strassen.

Tausende protestierten vor dem Gericht gegen die umstrittene Justizreform. - keystone

Kritiker stufen das Vorgehen der Regierung als Gefahr für die Gewaltenteilung und damit Israels Demokratie ein. Netanjahus Regierung argumentiert, das Gericht sei in Israel zu mächtig und mische sich zu stark in politische Fragen ein.

Beobachter fürchten Staatskrise

Unklar ist, wie das Oberste Gericht sich verhalten wird. In Israels Geschichte wurde noch nie ein Grundgesetz oder eine Änderung des Grundgesetzes aufgehoben. Bislang betraf dies lediglich reguläre Gesetze, die gegen das Grundgesetz verstiessen.

Der Staat Israel hat keine schriftliche Verfassung und fusst stattdessen auf einer Sammlung von Grundgesetzen. Daher kommt dem Höchsten Gericht eine besondere Bedeutung bei der Wahrung von Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten zu.

Beobachter fürchten eine weitreichende Krise in Israel. (Archivbild) - keystone

Sollte sich das Gericht gegen das Gesetz stellen und die Regierung die Entscheidung nicht akzeptieren, könnte zu einer Staatskrise führen. Eine solche Entscheidung des Gerichts wäre auch nicht unumstritten.

Befürworter des Gesetzesvorhabens argumentieren immer wieder, den Richtern fehle die Befugnis, über Änderungen von Grundgesetzen zu entscheiden. Dies beruhe darauf, dass sie – anders als Abgeordnete oder Minister – nicht direkt vom Volk gewählt werden.

Ringen um Kompromisse

Unterdessen liefen im Hintergrund weiter Bemühungen um einen Kompromiss. Bisherige Gespräche mit der Opposition unter Leitung von Präsident Izchak Herzog waren bisher erfolglos geblieben. Israelische Medien berichteten, dass sich Netanjahu nun für eine einseitige Abschwächung des Gesetzes ohne Zustimmung der Opposition einsetzen könnte. Unklar war jedoch, ob er dafür innerhalb seiner Koalition genügend Unterstützung bekommen würde.

20230913_Ministerpräsident Netanjahu (M.) und seine Regierung haben die umstrittene Justizreform verabschiedet. (Archivbild) - keystone

Oppositionsführer Jair Lapid warf Netanjahu vor, vor einem möglichen Treffen mit US-Präsident Biden in den USA Zeit schinden zu wollen. Oppositionspolitiker Benny Gantz signalisierte, er wäre bereit, einen Kompromiss zu akzeptieren. «Wenn eine Lösung auf dem Tisch liegt, die die Demokratie schützt, werde ich da sein.» Dabei sei ihm egal, was Netanjahus Motiv sei.

Den Berichten zufolge sieht der mögliche Kompromissvorschlag unter anderem vor, das verabschiedete Gesetz zu überarbeiten. Weitere Teile des umfassendes Gesetzesvorhabens könnten für 18 Monate auf Eis gelegt werden.