Mindestens 12 Tote nach Hisbollah-Angriff auf Fussballfeld in Israel

Ein Geschoss iranischer Bauart reisst mindestens zwölf Kinder in den Tod. Israel ist entsetzt – und will die Hisbollah dafür teuer bezahlen lassen.

Bei einem Raketenangriff auf ein Fussballfeld in den von Israel besetzten Golanhöhen sind zwölf Kinder gestorben. - keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Am Samstagabend hat die Hisbollah rund 40 Raketen auf die Golanhöhen abgefeuert.
  • In einem Dorf schlug eine auf einem Fussballfeld ein - dabei starben zwölf junge Menschen.
  • Israels Ministerpräsident Netanjahu drohte der Schiiten-Miliz umgehend mit Vergeltung.
  • Die Hisbollah hingegen teilte mit, sie weise die Vorwürfe kategorisch zurück.

Ein tödlicher Raketenangriff, der der Hisbollah zugeschrieben wird, droht Israel und die libanesische Schiiten-Miliz an den Rand eines offenen Krieges zu bringen. Mindestens 12 Menschen, allesamt Kinder und Jugendliche im Alter zwischen 10 und 20 Jahren, kamen nach israelischen Militärangaben in der Ortschaft Madschd al-Schams auf den israelisch besetzten Golanhöhen ums Leben. Eine Rakete aus dem Arsenal der Hisbollah schlug dort am Samstagabend auf einem belebten Fussballplatz ein. 18 weitere Jugendliche wurden demnach verletzt.

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In einer Erklärung der Hisbollah hiess es, man habe mit dem Vorfall nichts zu tun. Man weise die Vorwürfe, Madschd al-Schams angegriffen zu haben, kategorisch zurück. Israels Armeesprecher Daniel Hagari bezeichnete dies als eine «Lüge». Bei dem Geschoss habe es sich um eine iranische Rakete vom Typ Farak-1 gehandelt, die nur die Hisbollah verwende. Das hätten forensische Untersuchungen ergeben. Die Schiiten-Miliz wird vom Iran unterstützt und teilt dessen israelfeindliche Haltung. «Die Hisbollah steckt hinter dieser Katastrophe und muss die Konsequenzen tragen», sagte Hagari.

Die israelische Militärexpertin Sarit Zehavi verwies darauf, dass die Schiiten-Miliz zuvor Angriffe auf eine israelische Militärbasis auf dem Berg Hermon für sich reklamiert habe. «Es ist sehr leicht, die Basis auf dem Berg Hermon mit ungenauen Raketen zu verfehlen», meinte sie. Madschd al-Schams liege unmittelbar darunter.

Der Raketenangriff traf einen Ort, in dem vor allem arabischsprachige Drusen leben. Die Religionsgemeinschaft ist im 11. Jahrhundert aus dem schiitischen Islam hervorgegangen und siedelt heute vor allem in Syrien, dem Libanon, Israel und Jordanien. In den jeweiligen Ländern legen ihre Angehörigen Wert auf inneren Zusammenhalt und Loyalität zum jeweiligen Staat.

Netanjahu: «Hisbollah wird hohen Preis zahlen»

Israels Präsident Izchak Herzog zeigte sich entsetzt. «Die Terroristen der Hisbollah haben heute Kinder brutal angegriffen und ermordet, deren einziges Verbrechen darin bestand, Fussball zu spielen», schrieb er auf X. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu drohte der Schiiten-Miliz am Samstag umgehend mit Vergeltung.

«Die Hisbollah wird einen hohen Preis dafür bezahlen, einen Preis, den sie bislang noch nicht bezahlt hat», zitierten Netanjahu israelische Medien. Der Regierungschef zog seine geplante Abreise aus den USA um mehrere Stunden vor, schrieb sein Büro auf X. Nach seiner Rückkehr werde der Regierungschef das Sicherheitskabinett einberufen, hiess es weiter.

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu (r) hat sich in den USA unter anderem mit Donald Trump getroffen. - keystone

Die israelische Militärführung trat unmittelbar nach dem tödlichen Raketenangriff zu Lagebesprechungen zusammen. Verteidigungsminister Joav Galant seien «mehrere Optionen für Operationen gegen die Hisbollah» vorgelegt worden, teilte das Ministerium mit. Der Minister habe den Ablauf der Operationen festgelegt und entsprechende Befehle erteilt, hiess es in der Mitteilung, die keine weiteren Einzelheiten nannte.

Aussenminister Katz sagte dem Fernsehsender Channel 12: «Es gibt keinen Zweifel, dass die Hisbollah alle roten Linien überschritten hat. Wir stehen vor einem umfassenden Krieg.» Das könne mit hohen Kosten für Israel verbunden sein, aber die Kosten für die Hisbollah würden noch höher sein, warnte der Chefdiplomat.

Hisbollah rechnet mit möglichem «harten Angriff» Israels

Nach dem tödlichen Raketenangriff wartet die libanesische Hisbollah auf einen möglicherweise schweren Angriff Israels. «Wir sind seit Monaten in Bereitschaft und halten Ausschau nach jeglichem Angriff des Feindes», erfuhr die Deutsche Presse-Agentur aus Kreisen der Hisbollah. «Dies ist nichts Neues, wir sind in ständiger Bereitschaft.» Jetzt erwarte man einen möglicherweise «harten Angriff», hiess es den Kreisen zufolge.

Libanesische Medien berichteten, die Miliz habe in Erwartung eines möglichen israelischen Angriffs rund 100 ihrer Posten in Vororten südlich der Hauptstadt Beirut geräumt. In diesen Gegenden ist die Hisbollah besonders aktiv. Hier könnte Israels Armee auch angreifen, sollte sie einen besonders schweren und erschütternden Gegenangriff landen wollen.

Libanons Regierung verurteilt «Attacken gegen Zivilisten»

Die geschäftsführende Regierung des Libanon hat «alle Gewalthandlungen und Attacken gegen Zivilisten» verurteilt. Sie rief zu einem «umgehenden Ende der Kampfhandlungen an allen Fronten auf», wie die geschäftsführende Regierung der Staatsagentur NNA zufolge mitteilte. Angriffe gegen Zivilisten seien ein «eklatanter Bruch des Völkerrechts».

In der US-Regierung nähre der Raketenangriff Befürchtungen, dass er zu einem offenen Krieg zwischen Israel und der Hisbollah führen könnte, schrieb der gut vernetzte israelische Journalist Barak Ravid im US-Portal «Axios». «Was heute geschehen ist, könnte der Auslöser werden von dem, was wir seit zehn Monaten befürchten und zu verhindern versuchen», zitierte Ravid einen US-Regierungsbeamten. Die USA sind Israels wichtigster Verbündeter. Amerikanische und französische Diplomaten bemühen sich seit Monaten um eine Entspannung des Konflikts zwischen Israel und der Schiiten-Miliz.

Ein Sprecher des Weissen Hauses verurteilte den Raketenangriff gegenüber Ravid als «schrecklich». «Unsere Unterstützung für Israels Sicherheit angesichts aller vom Iran unterstützten Terrorgruppen, darunter die libanesische Hisbollah, ist eisern und unerschütterlich», zitierte Ravid den Sprecher auf X.

Hektische Szenen nach dem tödlichen Raketenangriff: Anwohner kommen den Verletzten zu Hilfe. - Keysotne

UN-Vertreter riefen beide Parteien währenddessen nachdrücklich zu «grösstmöglicher Zurückhaltung» auf. «Wir fordern die Parteien nachdrücklich auf, grösstmögliche Zurückhaltung zu üben und die anhaltenden heftigen Feuergefechte zu beenden», hiess es in einer gemeinsamen Mitteilung des Chefs der UN-Friedenstruppe im Libanon, Aroldo Lázaro, und der Sonderkoordinatorin für das Land, Jeanine Hennis-Plasschaert.

Die Kämpfe «könnten einen grösseren Flächenbrand entfachen, der die gesamte Region in eine unvorstellbare Katastrophe stürzen würde», warnten die beiden UN-Vertreter. Der EU-Aussenbeauftragte Josep Borrell zeigte sich über den Angriff schockiert. «Wir rufen alle Seiten zu äusserster Zurückhaltung und zur Vermeidung jeglicher weiterer Eskalation auf», teilte er auf X mit.

Ständige Gefechte seit Ausbruch des Gaza-Kriegs

Schon in vergangenen Monaten lieferten sich die Hisbollah und Israels Armee die schwersten Kämpfe seit dem zweiten Libanon-Krieg 2006. Dabei kamen auf libanesischer Seite mindestens 100 Zivilisten ums Leben, zudem wurden rund 360 Hisbollah-Kämpfer getötet. Auch auf israelischer Seite gab es Tote. Auf beiden Seiten der Grenze wurden Zehntausende durch die Kämpfe vertrieben.

Eine weitere Ausweitung der Kämpfe zu einem umfassenden Krieg hätte unabsehbare Folgen für die Region, bei der auch die proiranischen Milizen im Irak, in Syrien und im Jemen ihre Angriffe auf Israel und dessen wichtigsten Verbündeten USA ausweiten dürften.

Auf einem Fussballplatz im Norden Israels ist eine Rakete eingeschlagen. - X/@JoeTruzman

Die Hisbollah verfügt über ein Arsenal von rund 150'000 Raketen und Drohnen und gilt als noch schlagkräftiger als die Hamas, gegen die Israel im Gazastreifen kämpft. Im Kriegsfall könnte die Hisbollah täglich Tausende Raketen in Richtung Israel abfeuern. Eine Art Raketenhagel könnte Israels Raketenabwehr überfordern. Einigen Schätzungen zufolge soll die Hisbollah über 40'000 bis 50.000 Kämpfer stark sein. Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah hat ihre Zahl dagegen mit 100'000 angegeben.

Der Raketenangriff folgte auf einen israelischen Angriff im Dorf Kfar Kila nahe der libanesisch-israelischen Grenze, bei dem nach Angaben der Hisbollah vier ihrer Mitglieder getötet wurden. Die vom Iran unterstützte Miliz handelt nach eigenen Aussagen aus Solidarität mit der Hamas, die auch im Libanon aktiv ist.