Russlands Mittelstand ist ein Verlierer des Krieges

Die russische Mittelschicht bekommt den Ukraine-Krieg zu spüren. Mit Geldentwertung und fallenden Realeinkommen muss sie selbst klarkommen.

Eine Passantin in Moskau. - AFP/Archiv

Das Wichtigste in Kürze

  • Wegen des Ukraine-Kriegs sind in Russland die Preise gestiegen.
  • Die Auswahl an Produkten wurde derweil schlechter.
  • Russinnen und Russen haben deshalb im 2022 ihren Konsum zurückgeschraubt.

Während Russland Teile der Ukraine in Schutt und Asche legt und Millionen Menschen in die Flucht treibt, ist in Moskau von Krieg nicht viel zu spüren. Doch die wirtschaftlichen Probleme belasten Russland immer stärker. Ein Jahr nach Beginn des Angriffskriegs gegen die Ukraine merken die Menschen in Russland die Folgen immer stärker auch beim eigenen Einkauf.

Laut dem russischen Einzelhandelsverband haben die Russen 2022 fünf Prozent weniger Lebensmittel gekauft als noch im Jahr zuvor. Das bestätigt auch eine Umfrage des staatlichen Meinungsforschungsinstituts WZIOM, wo 35 Prozent der Befragten angaben, sich beim Lebensmittelkauf einschränken zu müssen.

Einige Marken werden noch verkauft

Im Einkaufszentrum «Pawelezkaja Plaza» am Moskauer Pawelezki-Bahnhof geht es am Valentinstag denn auch eher gemächlich zu. Nur wenige Kunden tummeln sich in den Restaurants und Geschäften des mehrgeschossigen Neubaus. Dabei ist trotz der Sanktionen nicht alles weg. Unter den Markenläden befinden sich neben dem Bekleidungsgeschäft Lacoste auch ein Apple-Shop und ein Samsung-Laden. Beide Geschäfte bieten das volle Sortiment, obwohl die Konzerne schon im vergangenen Frühjahr den Rückzug aus Russland verkündet haben.

Frauen mit Einkaufstüten. (Symbolbild) - dpa/dpa/picture-alliance

Gerade bei der Computertechnik funktioniert der Grau-Import bestens. Russische Medien berichteten zuletzt, dass sich nach anfänglichen Importproblemen inzwischen mehr als eine Million Notebooks in den Lagern stapeln – und die Verkäufer nun zu Dumpingverkäufen gezwungen seien, um sie loszuwerden.

Auch bei einigen anderen Markenartikeln ist die Umgehung der Sanktionen – oft unter Einschaltung türkischer Firmen – problemlos gelungen.

Schlechtere Auswahl – höhere Preise

In vielen Bereichen haben Kopien das Original ersetzt. Statt Coca Cola gibt es nun Dobry Cola, statt MacDonalds die russische Eigenmarke Wkusno i Totschka. Bei Werkzeugen haben nach dem Rückzug von Bosch und Makita qualitativ minderwertige chinesische Plagiate den russischen Markt überflutet.

Die Preise hingegen sind deutlich gestiegen. Offiziell lag die Inflation 2022 bei zwölf Prozent, doch der russische Finanzexperte Maxim Kwascha ist davon überzeugt, dass sie höher war. Teurere und qualitativ hochwertigere Waren seien bei der Berechnung durch Billigprodukte ersetzt worden, sagt er.

Die Sanktionen wirken sich auf den russischen Rubel aus. - Pixabay

Schlechtere Auswahl zu höheren Preisen – so sieht auch die Wirtschaftswissenschaftlerin Natalja Subarewitsch die Lage der russischen Verbraucher. «Unter dieser Krise leidet die urbane gebildete Mittelschicht am meisten», sagt sie. Während die einkommensschwächsten Gruppen durch Rentenanhebungen und Sozialhilfen für geringverdienende Familien zumindest etwas entlastet worden seien, müsse die Mittelklasse mit Geldentwertung und fallenden Realeinkommen selbst klarkommen.

Im Januar wies der russische Haushalt daher ein Rekorddefizit von umgerechnet 23 Milliarden Euro auf. Das entspricht bereits 60 Prozent des für das Gesamtjahr veranschlagten Fehlbetrages.

Regierung erwägt Abgabe für Grosskonzerne

Zuletzt hatte die Zentralbank zur Deckung des Etatlochs schon einen Teil ihrer noch vorhandenen Gold- und Währungsreserven verkaufen müssen. Immer lauter denkt die Regierung aber auch darüber nach, die Unternehmer zur Kasse zu bitten. Offiziell ist bislang von einer «freiwilligen» Abgabe für Grosskonzerne – ausgerechnet ohne die Öl- und Gasbranche – die Rede. Doch Kremlsprecher Dmitri Peskow warnte bereits, dass «das Zusammenspiel zwischen der Führung des Landes und der Wirtschaft, zwischen Regierung und Wirtschaft keine Einbahnstrasse» sei. Neue Steuern dürften die Wirtschaft weiter schwächen.