Arbeiten Flüchtlingsretter mit Schleppern zusammen?

Unter dem Vorwand von «Seenotrettung» sollen NGOs Flüchtlinge illegal übers Mittelmeer transportieren. Laut einem Bericht arbeiten sie mit Schleppern zusammen.

Matrosen des US-Marineschiffes USNS Trenton (T-EPF 5) reagieren auf einen Notruf vor der Küste Libyens. - dpa

Das Wichtigste in Kürze

  • Laut einem neuen Bericht arbeiten Flüchtlingshelfer teils mit Schleppern zusammen.
  • Unter dem Vorwand von «Seenotrettung» sollen NGOs Flüchtlinge übers Mittelmeer bringen.
  • Die italienischen Behörden klagen 21 Mitglieder von drei grossen Hilfsorganisationen an.

Ein Boot mit Flüchtlingen sticht am Mittelmeer vor Libyen in See. Weit muss das vollbeladene Gummiboot mit viel zu vielen Menschen an Bord aber nicht kommen. Nach wenigen Meilen treffen die Schlepper auf ein Schiff von Seenotrettern. Diese nehmen die Geflüchteten in Empfang und bringen sie weiter nach Italien.

Solche Szenen sind gemäss einem neuen Bericht keine Seltenheit. Die italienischen Behörden werfen verschiedenen NGOs vor, unter dem Vorwand von «Seenotrettung» Menschen über das Mittelmeer zu transportieren.

Das sollen neue explosive Dokumente zeigen, die «Focus» vorliegen: ein gut 650-seitiger Bericht der Staatsanwaltschaft Trapani aus dem Jahr 2020. Dieser beinhaltet auch einen Fall vom 4. Mai 2017.

Retter planen, Flüchtlinge abzuholen

An diesem Tag steuerte die Crew des Rettungsschiffs Vos Hestia von «Save the Children» die libysche Küste an. Unwissend darüber, dass die Justiz gegen Mitglieder ihrer Organisation ermittelt und ihre Kommunikation überwacht wird, spricht der Kapitän offen über seine Pläne. Er plant, am «Morgen früh um 6.00 Uhr» Menschen aus der libyschen Hafenstadt Sabratha abzuholen und nach Italien zu bringen.

Und dies ist kein Einzelfall. Die Ermittler listen zahlreiche Fälle auf, in denen Flüchtlingsretter mit libyschen Schleppern zusammengearbeitet haben sollen. Die Patrouillenaktivitäten der NGOs vor den libyschen Hoheitsgewässern seien zu einem Anziehungspunkt für Migranten geworden, so die Staatsanwaltschaft Trapani.

Die Hilfsschiffe hätten die Migranten dort aufgenommen und sie nach Italien gebracht. Nach den «Rettungsaktionen» seien dann oft falsche Dokumente erstellt worden. In diesen seien die Vorfälle als Seenotrettungen dargestellt worden.

Insgesamt werden 21 Personen der drei Hilfsorganisationen «Save the Children», «Jugend Rettet» und «Ärzte ohne Grenzen» angeklagt. Die Anschuldigungen basieren auf umfangreichem belastenden Video- und Fotomaterial, das während einer Razzia Ende 2017 auf den Schiffen sichergestellt wurde. Auch Telefone der Verdächtigen wurden abgehört und ein verdeckter Ermittler eingesetzt.

NGOs weisen Anschuldigungen zurück

Die drei NGOs weisen alle Anschuldigungen zurück und betonen ihre humanitären Ziele. «Jugend Rettet» wertet die Ermittlungen zudem als erneuten Versuch, die Flüchtlingsretter im Mittelmeer zu kriminalisieren. Die Deutsche Kathrin Schmidt, eine der Angeklagten, befindet in einer Pressemitteilung: «Ein Justizsystem, das unmenschliches Recht anwendet, kann niemals gerecht werden.»

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«Ärzte ohne Grenzen» betont ebenfalls, dass sie nie mit Schleppern kooperiert hätten. Und auch «Save the Children» erklärt gemäss «Focus» klar: «Wir weisen jede Andeutung zurück, dass wir wissentlich mit Schleusern kommuniziert oder sie unterstützt haben. Wir verurteilen ihr Verhalten öffentlich. Wir haben Vertrauen in die Arbeit der italienischen Justiz und sind überzeugt, dass die Rechtmässigkeit unserer Arbeit bestätigt wird, wenn alle Fakten geprüft worden sind.»