Auch einen Monat nach dem Brücken-Unglück leiden die Genueser weiter

Genua versucht noch immer, die Katastrophe vom 14. August zu fassen. Erst allmählich wird klar, was das klaffende Loch in der Stadt bedeutet.

Ein Paar steht auf einer Brücke, von der man auf die Überreste des Polcevera-Viadukts in Genua sehen kann. - dpa

Das Wichtigste in Kürze

  • Auch einen Monat nach dem Brückeneinsturz in Genua leiden die Anwohner.
  • Hunderte Wohnungen sind noch immer zu gefährdet, um sie zu betreten.
  • Am Schlimmsten sei aber die Stille.

Etwa 180 Meter des Polcevera-Viadukts sind am 14. August 45 Meter in die Tiefe gestürzt. Mit ihnen Dutzende Fahrzeuge. Die Tragödie nahm 43 Menschen das Leben und einer ganzen Stadt ihre Routine. Einen Monat nach dem Unglück sind noch immer nicht alle Trümmer beseitigt, ganz zu schweigen vom Rest der Brücke. Bürgermeister Marco Bucci will, dass im Oktober mit der Zerlegung der zwei Teile des Viadukts begonnen wird. Ende 2019 soll eine neue Brücke stehen.

Genuas Bürgermeister Marco Bucci sitzt in seinem Büro. - dpa

Für Iris Bonacci hat die wahre Katastrophe von Genua erst angefangen, als die Brücke längst eingestürzt war. Sie ist eine der mehr als 550 Anwohner, die ihre Wohnungen verlassen mussten. Bonacci ist nicht danach, sich im Angesicht des Ortes der Tragödie zu treffen. Aber sie will darüber reden.

Erinnerungen sind noch dort

Weil ihr Haus direkt unter der Brücke steht, kann sie möglicherweise nie wieder auf ihre 103 Quadratmeter zurückkehren, die sie erst vor acht Monaten bezogen hat. «Aber Erinnerungen eines ganzen Lebens sind noch dort», sagt die Lehrerin. Es macht sie sauer, dass sie ihre liebsten Dinge nicht wenigstens kurz holen kann. Doch Experten stufen beide Seiten der Unglücksbrücke als bedenklich ein.

Francesco Ferrieri und Iris Bonacci, die wegen des Brücken-Einsturzes in Genua am 14. August ihre Wohnung verlassen mussten, blicken in die Kamera. - dpa

Der Viadukt, der einst als Allheilmittel der Verkehrsprobleme der zwischen Meer und Bergen eingepferchten Stadt galt, wurde gebaut, da waren die Häuser längst da. Die Konstruktion von Architekt Riccardo Morandi wurde 1967 eröffnet. Die Brücke verband die Stadt mit dem Meer, dem Hafen, der zu den wichtigsten in Südeuropa zählt. Aber auch mit Südfrankreich und anliegenden Regionen in Italien. Wer aus Genua kommt, ist womöglich Tausende Male über den Polcevera-Viadukt gefahren. Je älter die Brücke wurde, desto mehr mussten die in Beton eingepackten Stahlseile an den drei Pylonen tragen.

«Stille war das Schlimmste»

Mariella meidet die Brücke nicht. Sie kommt immer noch her in die Via Walter Fillak, in der sie zwar nicht mehr wohnen kann, aber vertraute Gesichter sieht. «Die ersten Tage nach dem Unglück war diese Stille das Schlimmste», sagt Mariella, die 38 Jahre dort wohnte. «Man hat ja nicht nur den Verkehr gehört. Sonst liefen immer die Fernseher, die Kinder schrien auf der Strasse. Dann war alles tot.»

Bürgermeister Bucci will nicht im Krisen-Narrativ verharren. Er sagt: «Wenn wir die Sache aus einer Höhe von zehntausend Metern betrachten, ist in Genua eine Brücke zusammengestürzt. That's it.» Auch wenn Bucci abgeklärt klingt: Er ist wohl der Letzte, der die Ereignisse vom 14. August herunterspielen würde. Am Freitag wird in Genua der 43 Opfer gedacht. Und die Liste an Problemen, die nun gelöst werden müssen, ist lang. Es fehlt nicht nur die Brücke. Unter dem Viadukt führten wichtige Verbindungsstrassen entlang, die nun blockiert sind.

Neu Brücke soll Ende 2019 entstehen

Diskret gibt er in Richtung der populistischen Regierung in Rom zu verstehen, dass ihn die Streitereien um den Wiederaufbau nicht weiterbringen. Die Fünf-Sterne-Bewegung will die neue Brücke nicht in die Hände des Autobahnbetreibers Autostrade per l'Italia legen, die sie unmittelbar nach der Katastrophe als Schuldigen benannt hat. In der Krise sieht Bucci sich als Verwalter. «Ich arbeite für die Brücke, nicht für die Politik.» Ende des nächsten Jahres soll eine von Star-Architekt Renzo Piano entworfene Brücke stehen.

Der italienische Architekt Renzo Piano posiert vor seinem «fliegenden Gebäude», dem Centro Botin in Santander (S). - dpa

Doch an eine neue Brücke in so kurzer Zeit glaubt in Genua so gut wie niemand. «Italien ist sehr gut darin, unmöglich zu machen, dass es schnell geht», sagt Giuseppe Costa. Der Unternehmer verwaltet das Aquarium am Hafen. Das Problem aus seiner Sicht: «Die Leute von ausserhalb denken, dass Genua nicht mehr erreichbar ist.» Er sieht das an den Besucherzahlen, die seit dem Unglück im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 40 bis 50 Prozent zurückgegangen sind. «Genua trauert jetzt wirtschaftlich», sagt Costa.

«In gewisser Weise ist der Einsturz für jeden hier ein Opfer», sagt Ludovica Migliorino. Sie schaut sich an diesem Tag die zerstörte Brücke erstmals aus der Nähe an. So lange sie noch stehen, sind ihre Überreste ein Mahnmal.