Balkonien statt Ballermann
Er ist in diesen Zeiten mindestens so begehrt wie Toilettenpapier. Aber hamstern lässt er sich nicht. Entweder man hat ihn schon - oder muss nun mit einem geöffneten Fenster als Ersatz vorliebnehmen.
Das Wichtigste in Kürze
- Mal reicht der Platz nur für einen kleinen Stuhl, mal für ein Open-Air-Wohnzimmer.
Doch jeder Quadratmeter ist in diesen Zeiten Gold wert. Wer einen Balkon hat, kann sich glücklich schätzen, denn die Corona-Epidemie bringt starke Einschnitte im Alltag mit sich.
Für Menschen in Quarantäne oder mit Ausgangssperre wird er zum einzigen Stück Freiheit ausserhalb der vier Wände. Und auch für viele andere ist der Balkon in der Krise ein besonderer Ort. Er hat nun viele Funktionen:
Musik und Applaus
Erst zwischen Mailand und Sizilien, inzwischen auch in Deutschland: Seit Beginn der Corona-Epidemie erklingt Musik von Balkonen und aus Fenstern. Menschen singen und musizieren gegen die Krise. Profimusiker und Hobbyspieler greifen zeitgleich zum Instrument, stimmen etwa Ludwig van Beethovens «Ode an die Freude» an. Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) ruft dazu auf, täglich um 19 Uhr auf dem Balkon, am Fenster oder im Garten «Der Mond ist aufgegangen» zu singen. Oder Menschen stehen auf ihrem Balkon, um gemeinsam symbolisch dem Pflegepersonal zu applaudieren. Und wie erfährt man von den Aktionen? Via Facebook, Instagram, WhatsApp oder - ganz klassisch - per Zettel im Hausflur.
Balkonien statt Ballermann
Ein Balkon mit Sonnenschirm, die Sonnenbrille auf der Nase und die Frühlingssonne gut zu erkennen - auf vielen Fotos oder Videos, die dieser Tage auf Facebook und Co. auftauchen, scheinen die Sorgen in den Hintergrund gerückt. Balkonien ist nun auch der Ort, an dem freie Tage oder gar Urlaube verbracht werden. Für Auslandsreisen hat die Bundesregierung bis mindestens Ende April eine Warnung ausgesprochen. Und ob Sylt, Rügen oder Föhr: Auch die beliebten deutschen Inseln sind für Urlauber gesperrt.
Ergometer statt Elbe
Not macht erfinderisch. Joachim Franke, erfolgreichster deutscher Eisschnelllauf-Trainer, wollte zum Beispiel seinen 80. Geburtstag im März eigentlich mit einem Dresden-Trip feiern. Doch daraus wurde nichts - wegen des Reiseverbots in Corona-Zeiten. «Jetzt werde ich wohl auf dem Ergometer sitzen und mich fit halten. Wenn das Wetter mitspielt, auf dem Balkon», sagte der Jubilar der dpa wenige Tage vor seinem Jubiläum.
Mini-Rennstrecke
Trotz Ausgangssperre einen Marathon laufen? Elisha Nochomovitz aus Toulouse fand eine Lösung: Sein Balkon wurde zur Laufstrecke. Sieben Meter lang, gut einen Meter breit - knapp sieben Stunden lief der Franzose beim «Marathon de mon balcon» auf und ab, wie er auf Instagram dokumentierte. «Der beste Weg, nicht betrübt zu werden ist, Sport zu treiben.» Der Ausdauersportler räumte aber auch ein: «Alles dreht sich in meinem Kopf und ich möchte mich übergeben.»
Tierisch spannend
Und wer sein Fenster zum Hof hat, erlebt mitunter Tierisches. Ein menschenleere Innenhof in Berlin-Kreuzberg: Der gehört nun ganz den Tieren. Kater Rudolf jagt ein Eichhörnchen. Es rettet sich auf einen Baum. Der Vierbeiner lässt nach einer Weile ab und läuft zu seinem Dosenfutter. Doch das Eichhörnchen ist weiter in Gefahr: Die Krähe naht. Und attackiert den flinken Nager. Immer und immer wieder. Dann kommt eine zweite Krähe hinzu - und beide Vögel hacken auf das Eichhörnchen ein, das sich mit Zickzacksprüngen auf das Nachbargrundstück rettet. Rudolf kehrt derweil vom Mittagessen zurück. Er knöpft sich einen anderen Kater vor. - Wer wegen Corona viel Zeit auf dem Balkon verbringt, sieht eine neue Welt.