Bistum Münster: Bis zu 6000 Missbrauchsopfer in den 60ern und 70ern
Sexueller Missbrauch war im katholischen Bistum Münster deutlich grösser als bisher bekannt. Bis zu 6000 Opfer gab es in den 60er- und 70er-Jahren.
Das Wichtigste in Kürze
- Im Bistum Münster kam es in den 60er und 70er Jahren zu zahlreichen Missbräuchen.
- Eine Studie schätzt die Dunkelziffer auf bis zu 6000 Betroffene ein.
- 610 der Missbrauchsopfer sind namentlich bekannt.
610 Missbrauchsopfer. Diese Zahl ergibt sich aus den Akten des Bistums Münster. Das ist über ein Drittel mehr, als in der MHG-Studie der Deutschen Bischofskonferenz aus dem Jahr 2018.
Die neuen Resultate hat die Westfälische Wilhelms-Universität Münster (WWU) am Montag veröffentlicht. Felix Genn, der Bischof von Münster, räumte eine Mitverantwortung für das Leid von Missbrauchsopfern ein.
Die fünf Forscher der WWU arbeiteten unabhängig. Im Unterschied zu Studien anderer Bistümer sind die Wissenschaftler keine Juristen, sondern Sozialanthropologen und Historiker. Studienleiter Thomas Grossbölting sagte, dadurch erhoffe er sich, einen besseren Blick auf die Zusammenhänge von Missbrauchstaten hergestellt zu haben. Dem Bistum bescheinigte Grossbölting, dass es bei der Studie «gut unterstützt» habe.
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Wird der Missbrauch in der katholischen Kirche gut genug aufgearbeitet?
Die Historikerin Natalie Powroznik sagte, die 610 Opfer seien nur das, was sich aus den Akten ergebe. Aus vergleichbaren Fällen sei von einem Dunkelfeld auszugehen, das acht- bis zehnmal so gross sei. Es gebe also «etwa 5000 bis 6000 betroffene Mädchen und Jungen» im Bistum Münster. Der Missbrauch habe flächendeckend in dem vom nördlichen Ruhrgebiet bis tief nach Niedersachsen reichenden Bistum stattgefunden.
Bistum Münster: 610 namentlich bekannte Opfer
An den 610 namentlich bekannten Opfern seien von insgesamt 210 Priestern mindestens 5700 Einzeltaten sexuellen Missbrauchs verübt worden. Es handle sich keineswegs nur um Einzeltaten, fünf Prozent der pädophilen Priester seien Serientäter mit mehr als zehn Opfern. Über 90 Prozent der pädophilen Täter seien strafrechtlich ungeschoren davon gekommen.
Die Hauptphase der Taten liegt in den 60er und 70er Jahre. Damals habe es in den Gemeinden des Bistums Münster im Durchschnitt zwei Missbrauchstaten durch Priester pro Woche gegeben.
Drei Viertel der Opfer seien Jungen, ein Viertel Mädchen, der Grossteil zwischen zehn und 14 Jahre alt. Zu vielen Taten sei es an Messdienern gekommen oder bei Kinder- und Jugendfreizeiten. Die Mehrheit der Opfer habe eine sehr enge kirchliche Bindung gehabt.
Massiver Missbrauch mit schweren psychischen Folgen
Die Studienmacher berichteten von zum grossen Teil massiven Missbrauchstaten. Diese haben bis ins hohe Erwachsenenalter erhebliche psychische Folgen für die Opfer, bis hin zu Depressionen und Suizidgedanken. Bei 27 der namentlich bekannten Missbrauchsopfer im Bistum Münster seien Hinweise auf Suizidversuche gefunden worden.
Powroznik sagte, immer wieder hätten Priester im Bistum Münster den Missbrauch zu einer «gottgefälligen» Handlung umgedeutet. Viele Opfer hätten sich nicht getraut, über die Taten zu reden. Der grösste Teil der Fälle sei erst ab dem Jahr 2010 im Zuge des Missbrauchskandals der katholischen Kirche bekannt geworden.
Der Münsteraner Bischof Felix Genn will sich am kommenden Freitag ausführlich zu der Studie äussern. In einer ersten Reaktion erklärte er: «Ich übernehme selbstverständlich die Verantwortung für die Fehler, die ich selbst im Umgang mit sexuellem Missbrauch gemacht habe. Ich war und bin Teil des kirchlichen Systems, das sexuellen Missbrauch möglich gemacht hat.»