Coronavirus: Wie gefährlich sind Impftests am Menschen?
Russland ist sich sicher, dass sie das Rennen um einen Impfstoff gegen das Coronavirus gewonnen haben. Doch wie gefährlich ist das weltweite Wettrüsten?
Das Wichtigste in Kürze
- Russland möchte am 10. August einen Impfstoff gegen das Coronavirus lancieren.
- Zu den klinischen Studien ist jedoch noch nicht viel bekannt.
- Ein Bioethiker schätzt die Situation ein.
Russland hat vor einigen Tagen kommuniziert, als erstes Land weltweit einen fertigen Impfstoff gegen das Coronavirus zu haben. Demnach will Moskau den Impfstoff-Kandidaten bereits am 10. August offiziell zulassen. «Es ist ein Sputnik-Moment», jubelten die Russen.
Doch ganz geheuer scheint das russische Erfolgserlebnis den Experten doch nicht zu sein. Eine Reihe an Details werden kritisiert, darunter auch das zu bemängelnde Testverfahren. Es wurde in zu kurzer Zeit an zu wenig Menschen getestet, so Kritiker.
Das US-amerikanische Biotechunternehmen «Moderna» beispielsweise testete in der zweiten Phase der klinischen Studie an 600 Personen. In der dritten und letzten Phase plant das Unternehmen gar, den Impfstoff an 30'000 Personen zu testen.
Ob Russland zu wenig testet, ist jedoch nicht klar ersichtlich. Denn: Über die zweite Testphase ist für die Öffentlichkeit noch nichts bekannt, die dritte hat noch nicht einmal begonnen. Wie vertretbar ist es demnach, einen solchen Impfstoff auf den Markt zu bringen?
«Wissenschaftliche Beweise von höchster Wichtigkeit»
Dr. Marcello Ienca ist Bioethiker an der ETH Zürich. Er vermutet: «Wenn der Impfstoff tatsächlich so schnell auf den Markt kommen sollte, wurde wohl klar an Sicherheitsmassnahmen gespart.» Aber es lasse sich hier, aufgrund der fehlenden wissenschaftlichen Beweise, keine klare Vermutung anstellen.
«Generell ist es eher unwahrscheinlich, dass sämtliche Wirksamkeits- und Sicherheitsmassnahmen erfüllt wurden bei dieser Sache.» Man müsse aber bedenken: «Eine Pandemie ist kein normales Forschungsumfeld. Momentan werden Regeln etwas flexibler interpretiert.»
Nichtsdestotrotz seien wissenschaftliche Beweise von «höchster Wichtigkeit» und die Dringlichkeit der gegenwärtigen Pandemie keine Entschuldigung für geringe Qualität. «Im Gegenteil, sie erhöht die Verantwortung von Forschern und Gesundheitsbehörden, die wissenschaftlichen und ethischen Standards aufrechtzuerhalten.»
Freiwillige Infizierung mit Coronavirus stellt Problem dar
«Ein Grundproblem beim Testen ist das Infizieren von Freiwilligen.» Hier habe Russland mit dem Impfen von medizinischen Angestellten einen interessanten Ansatz geliefert, findet Ienca. «Wenn der Impfstoff wirksam ist und keine Nebenwirkungen auftreten, hat man immune ‹essential workers›. Das ist in einer Pandemie wie dieser äusserst hilfreich.»
Was, wenn unvorhergesehene Nebenwirkungen auftreten? «Dann hat das schwerwiegende Auswirkungen auf das russische Gesundheitssystem.» Daher sei das Impfen von Personen ausserhalb der dritten Testphase sehr riskant. Doch in einer solchen Ausnahmesituation eine Möglichkeit.
Coronavirus drängt Länder zu schneller Lösung
Ienca vermutet aber auch, dass der «Sputnik»-Vergleich nicht ohne Hintergedanken geschehen sei. «Viele Länder möchten die Suche nach einem Impfstoff immens beschleunigen. Daher ist es auch nicht auszuschliessen, dass die Aussage Russlands auch gesundheitspolitisch motiviert war.»
«Der Impfstoff ist für viele Experten die einzige Lösung zu dieser Pandemie. Daher pushen auch Oxford und Moderna so stark.» Beide möchten bis Ende dieses Jahres einen wirksamen Impfstoff-Kandidaten vorstellen können. Vielleicht sogar möglich, schätzt es Ienca ein.
«Ein Impfstoff bis Ende Jahr aus England oder den USA ist nicht abwegig, sondern sogar ganz gut möglich. Sofern alles nach Plan läuft.» Und je schneller man das Coronavirus eindämmen könne, desto besser.