Das sind die grössten Baustellen an den Schulen

Der Schulbetrieb hat unter Corona gelitten. Langfristig gibt es an Deutschlands Schulen aber noch mehr Probleme, die dringend gelöst werden müssen, sagen Bildungsexperten.

Absperrungen vor einer maroden Wand an einer Berliner Schule. Foto: Jens Kalaene/dpa-Zentralbild/dpa - dpa-infocom GmbH

Das Wichtigste in Kürze

  • Die Corona-Krise hat viele Probleme an den Schulen aufgedeckt und manche verschärft: fehlende Technik, wackeliger Online-Unterricht, lückenhafte Kommunikation.

Manche Schülerinnen und Schüler wurden nur schlecht erreicht, Lernrückstände haben sich vergrössert.

Bund und Länder steuern mit einem sogenannten Aufholprogramm dagegen. Doch daneben gibt es andere Grossbaustellen im deutschen Schulsystem, die durch Corona überdeckt wurden, auf denen aber unbedingt auch weitergearbeitet werden muss, fordern Bildungsgewerkschaften mit Blick auf die Bundestagswahl und die kommenden vier Jahre.

«Lehrermangel dramatisch»

«Der Lehrkräftemangel ist in Deutschland seit Jahren dramatisch», erklären die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) und der Verband Bildung und Erziehung (VBE) in einer gemeinsamen Stellungnahme gegenüber der Deutschen Presse-Agentur. Nach Berechnungen der Kultusministerkonferenz der Länder (KMK) dürfte vor allem im Sekundarbereich I, also oberhalb der Grundschule, und an den Berufsschulen bis 2030 Lehrermangel herrschen.

Als Gegenmassnahme fordern die Gewerkschaften eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen, um mehr Menschen für den Beruf zu gewinnen. Konkret: die Bezahlung aller Lehrkräfte mit Hochschulabschluss nach Tarif A13 bei Beamten und nach E13 bei Angestellten. Viele Lehrkräfte an Grundschulen werden etwa schlechter bezahlt als ihre Kolleginnen und Kollegen an weiterführenden Schulen.

VBE und GEW setzen sich ausserdem für bessere Arbeitsbedingungen durch «multiprofessionelle Teams» ein. An Schulen sollten demnach zur Unterstützung der Lehrkräfte je nach Bedarf Gesundheitsfachkräfte, IT-Administratoren, Schulsozialarbeiter und Sozialpädagogen, Psychologen oder auch Integrationshelfer eingesetzt werden.

Der Deutsche Lehrerverband fordert eine grundsätzliche Verbeamtung aller Lehrkräfte, den Abbau befristeter Arbeitsverhältnisse und den Aufbau einer «Unterrichtsreserve im Umfang von 10 Prozent aller Lehrerstellen», wie Verbandspräsident Heinz-Peter Meidinger auf Anfrage mitteilte.

Toiletten, Fenster, Turnhallen

Marode Turnhallen, kaputte Schultoiletten oder Fenster in Klassenräumen, die sich nicht öffnen lassen, sind ein Dauerthema. 2017 hatte die damalige grosse Koalition ein Schulsanierungsprogramm aufgelegt: 3,5 Milliarden Euro für Schulgebäude in finanzschwachen Kommunen. Doch die Bildungsgewerkschaften sehen weiterhin einen «Modernisierungs- und Sanierungsstau» und verweisen auf Zahlen der Kreditanstalt für Wiederaufbau, wonach es bei den Schulen einen «Investitionsrückstand» von 46,5 Milliarden Euro gibt.

GEW und VBE fordern daher ein «Zehn-Jahresprogramm» für die Modernisierung der Schulen. Der Lehrerverband ist für «eine Neuauflage eines umfassenden Schulsanierungsprogramms».

Zu den Toiletten oder Turnhallen kommen nun noch die Luftfilteranlagen hinzu, die durch Corona auf die Bau-Liste gekommen sind. Das Umweltbundesamt empfiehlt langfristig Wärmetauschanlagen, bei denen Frischluft von aussen angesaugt und gleichzeitig durch die nach aussen strömende Abluft erwärmt wird (Wärmerückgewinnung). Das sei die nachhaltigste Lösung für den Abtransport von Viren, Kohlendioxid und Feuchte. Das gilt auch dann, wenn Corona einmal vorbei ist.

Digitalisierung

In der Pandemie wurden Leihlaptops für bedürftige Schüler angeschafft und Dienstgeräte für Lehrkräfte. Dabei ging es aber vor allem darum, dass der sogenannte Fernunterricht halbwegs funktionierte. Bei der Schuldigitalisierung steht vor allem die Infrastruktur in den Schulen im Mittelpunkt: schuleigenes Wlan, Smartboards statt Kreidetafeln, Tablets für interaktiven Unterricht. Der Bund hatte ein massives Förderprogramm mit mehr als fünf Milliarden Euro (Digitalpakt Schule) aufgelegt, um das voranzutreiben.

Dies müsse durch einen «Digitalpakt 2» fortgeschrieben werden, fordert Lehrerverbandspräsident Meidinger. Auch VBE und GEW fordern eine «Verstetigung» und «erhebliche Aufstockung» der Mittel und mehr Fortbildungsangebote für Lehrkräfte in der Digitalisierung. Die Technik muss schliesslich auch bedient und im Unterricht sinnvoll eingesetzt werden können.

Die beiden Gewerkschaften sind ausserdem dagegen, dass Bildungsplattformen von privaten Anbietern genutzt werden. Stattdessen müsse sich der Staat um «datenschutzkonforme und hoch leistungsfähige Plattformen zum Lehren, Lernen und Kommunizieren» kümmern. 2,5 Milliarden Euro pro Jahr seien nötig, um Systeme und Geräte auf aktuellem Stand zu halten.

Mehr Berlin im Bildungssystem oder nicht?

Bildung ist ein heikles Thema in Deutschland: Das Grundgesetz schreibt vor, dass die Bundesländer für alles zuständig sind, was nicht ausdrücklich laut Grundgesetz in der Hand des Bundes liegt. Schulen sind damit Ländersache. Wenn Berlin zu viel reinredet, gibt es regelmässig scharfen Gegenwind aus den Ländern.

Allerdings hat der Bund die dickere Schatulle. Also müssen sich die Länder, wenn sie Fördergelder wie beim Digitalpakt Schule wollen, auf Vereinbarungen und Verträge mit dem Bund einlassen, die regeln, wo das Geld hinfliessen soll und wie kontrolliert wird, ob es auch dort ankommt. Das sind jedes Mal zähe und langwierige Verhandlungen.

VBE und GEW sind dafür, die strengen Zuständigkeitsregeln aufzubrechen und das sogenannte Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern in der Bildung abzuschaffen, «um die notwendigen Milliardenbeträge in Bildung investieren zu können und dem Bund eine dauerhafte Finanzierung des Bildungssystems zu ermöglichen». Der Lehrerverband ist der Ansicht, eine bessere Kooperation von Bund und Ländern wäre auch ohne Verfassungsänderung möglich.

Corona

Und auch Corona fehlt nicht in der Liste der Baustellen, denn so schnell dürften die Folgen an den Schulen nicht verdaut sein. Lehrerverbandspräsident Meidinger fordert ein «langfristig weiterfinanziertes, über das nächste Schuljahr hinausreichendes Aufholprogramm für Schüler, die in der Pandemie abgehängt worden sind.» Auch VBE und GEW kritisieren, das bisher aufgelegte zwei Milliarden Euro schwere Aufholprogramm des Bundes zur Finanzierung von Nachhilfekursen, Sozial- und Freizeitangeboten sei nur «ein Tropfen auf den heissen Stein». Es müsse grundsätzlich mehr Geld ins System Schule fliessen für eine langfristige Ausrichtung auf individuelle Förderung von Kindern und Jugendlichen.