Proteste legen öffentliches Leben im Irak zu Wochenbeginn lahm
Blockierte Strassen, leere Schulen, verwaiste Behörden: Die anhaltenden Proteste im Irak haben das öffentliche Leben am Sonntag weitgehend zum Erliegen gebracht.
Das Wichtigste in Kürze
- Erneut Tote bei regierungskritischen Demonstrationen.
Am ersten Tag der irakischen Arbeitswoche blieben in der Hauptstadt Bagdad sowie in Städten im Süden des Landes Bildungseinrichtungen und Verwaltungen erstmals flächendeckend geschlossen. Bei Zusammenstössen zwischen regierungskritischen Demonstranten und der Polizei wurden am Samstag erneut Menschen getötet.
Im Irak hat sich Anfang Oktober eine Protestbewegung gegen die Korruption und hohe Arbeitslosigkeit im Land formiert. Seitdem wurden mehr als 250 Menschen bei den Protesten getötet, die meisten davon Demonstranten. Trotz der Gewalteskalation und nächtlichen Ausgangssperren gehen die Iraker weiterhin auf die Strasse und fordern einen Wandel des politischen Systems.
Demonstranten legten am Sonntag in mehreren Städten den Verkehr durch Strassenblockaden lahm. In Bagdad parkten junge Iraker Autos auf den Hauptverkehrsstrassen, während Schüler und Studenten in Richtung des Tahrir-Platzes, dem Zentrum der Proteste, strömten. Die Polizei beobachtete die Situation, griff aber nicht ein, wie Journalisten der Nachrichtenagentur AFP berichteten.
In der Stadt Kut im Osten des Landes blockierten Demonstranten Strassen und Brücken. «Wir haben beschlossen, die Strassenverbindungen zu kappen, als Botschaft an die Regierung, dass wir weiter protestieren werden, bis die korrupten Menschen und Diebe vertrieben sind und das Regime fällt», sagte Tahseen Nasser, ein 25-jähriger Demonstrant, der Nachrichtenagentur AFP.
In der südlichen Stadt Um Kasr blockieren Demonstranten den Weg zum Hafen. Dutzende Schiffen wurden an der Entladung ihrer Waren gehindert, wie AFP aus Hafenkreisen erfuhr.
Am Samstag wurden bei Zusammenstössen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften in Bagdad zwei Menschen getötet, wie Rettungskräfte AFP mitteilten. Die Polizei hatte versucht die Menge mit Tränengas zurückzudrängen, die Demonstranten zogen sich hinter Barrikaden zurück. Neben den zwei Todesopfern gab es nach Angaben der Rettungskräfte Dutzende Verletzte.
Nach Angaben aus Sicherheitskreisen und von Rettungskräften wurden zuletzt mehrere Demonstranten durch Tränengas-Granaten der Sicherheitskräfte getötet. Diese seien deutlich gefährlicher als herkömmliche Tränengas-Granaten und können nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Amnesty International Schädel durchschlagen.
Die internationale Gemeinschaft hat wiederholt zur Untersuchung der Gewalt aufgerufen. Der ehemalige irakische Ministerpräsident Haider al-Abadi prangerte eine «neue Republik der Angst» an. Zuletzt wurden Pressevertreter angegriffen, Blogger und Aktivisten entführt.
Die Protestbewegung wendet sich mittlerweile gegen die gesamte politische und religiöse Führungselite und fordert den «Sturz des Regimes», wie die Menschen immer wieder auf der Strasse rufen. Studenten, Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen haben sich dem Protest angeschlossen.
Es ist das erste Mal seit dem Sturz des Diktators Saddam Hussein und seiner Baath-Partei im Jahr 2003, dass sich eine soziale Bewegung geformt hat, die nicht von Parteien angeführt wird. Laut Harit Hassan, Forscher der Denkfabrik Carnegie Centre, «erwacht die irakische Zivilgesellschaft, die durch die jahrzehntelange autoritäre Herrschaft der Baath-Partei und den Konfessionen untergraben wurde, wieder zum Leben».
Die von der Regierung angebotenen Reformen und Pläne für eine vorgezogene Parlamentswahl stellten die Demonstranten nicht zufrieden. «Wir haben seit 16 Jahren Wahlen und wir haben nichts bekommen», sagte der 30-jährige Demonstrant Haidar.
US-Aussenminister Mike Pompeo rief die irakische Regierung am Freitag zum Dialog mit den Demonstranten auf. Sie solle «den legitimen Forderungen der Iraker Gehör schenken», erklärte Pompeo in Washington.
Angesichts der heftigen Proteste hat Präsident Barham Saleh vorgezogene Wahlen und ein neues Wahlgesetz versprochen. Ministerpräsident Adel Abdel Mahdi kündigte laut Saleh an, zurückzutreten, sobald ein Ersatz für ihn gefunden sei. Das neue Wahlgesetz soll dem Parlament kommende Woche vorgelegt werden.