Tausende Ukrainer fliehen aus belagerten Städten

Tausende Menschen sind am Dienstag aus belagerten ukrainischen Städten in nicht umkämpfte Gebiete geflohen.

Soldaten helfen einer alten Frau bei Irpin - AFP

Das Wichtigste in Kürze

  • Dutzende Tote und enorme Zerstörung durch russischen Beschuss.

Aus dem nordöstlichen Sumy brachte eine lange Kolonne von Bussen Zivilisten über einen eingerichteten Evakuierungskorridor Richtung Westen. Im bombardierten Irpin bei Kiew ging die gefährliche Flucht vieler Bewohner über eine improvisierte Brücke weiter. Im südlichen Mariupol machten sich Kiew und Moskau weiterhin gegenseitig für gescheiterte Evakuierungsversuche verantwortlich.

In Sumy öffneten die russischen Streitkräfte einen offiziellen Fluchtkorridor und stellten dafür den Beschuss ein. Dutzende von Bussen fuhren nach ukrainischen Angaben von Sumy in Richtung Lochwyzja im Südwesten.

Am Montagabend waren in Sumy ukrainischen Angaben zufolge mindestens 21 Menschen bei einem russischen Luftangriff auf ein Wohngebiet getötet worden. Im ebenfalls seit Tagen heftig umkämpften Tschernihiw nördlich von Kiew wurden bei der Explosion einer Landmine drei Erwachsene getötet und drei Kinder verletzt. Die ukrainischen Behörden machten die russische Seite verantwortlich.

In Mariupol wurde die Evakuierung nach Angaben der ukrainischen Regierung erneut durch russische Angriffe blockiert. Das Verteidigungsministerium in Kiew sprach von «Völkermord». Die strategisch wichtige Hafenstadt wird seit Tagen von russischen Truppen belagert. Laut dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) befinden sich die Bewohner in einer «grauenhaften» Lage ohne Wasser, Strom oder medizinische Versorgung.

Hunderte Zivilisten versuchten derweil nahe Kiew, sich durch Schnee und Wind über eine inoffizielle Route in Sicherheit zu bringen, wie AFP-Reporter berichteten. In der Nähe explodierten Granaten - Russland hatte es nach ukrainischen Angaben abgelehnt, in den Hauptstadtvororten Irpin, Butscha und Hostomel einen humanitären Korridor einzurichten. Die Menschen warteten in einer langen Schlange, um den Fluss Irpin auf behelfsmässigen Stegen aus Brettern und Metallstücken zu überqueren.

Auch aus der Schwarzmeer-Metropole Odessa flüchteten tausende Menschen in überfüllten Zügen. Die wichtigste Hafenstadt des Landes ist bislang von den Kämpfen verschont geblieben, bereitet sich aber auf einen Angriff der russischen Truppen vor.

Russland ist nach US-Angaben inzwischen mit nahezu allen für den Einmarsch in die Ukraine vorgesehenen Truppen in das Land eingerückt. Nach westlichen Angaben hatte Russland vor Beginn seines Angriffs auf die Ukraine mehr als 150.000 Soldaten an den Grenzen aufmarschieren lassen.

Dem ukrainischen Generalstab zufolge zieht Russland Soldaten und militärische Ausrüstung an den Fronten nahe Kiew, Mariupol und Charkiw im Nordosten zusammen. Die ukrainische Regierung rechnet mit einem baldigen russischen Grossangriff auf die Hauptstadt.

Angaben zu Verlusten auf beiden Seiten sind kaum zu überprüfen. Kiew sprach zuletzt von mehr als 11.000 getöteten russischen Soldaten, macht aber keine Angaben zu eigenen militärischen Verlusten. Das Verteidigungsministerium in Moskau sprach vor knapp einer Woche von 498 getöteten russischen Soldaten. Die USA gehen von bisher 2000 bis 4000 getöteten russischen Soldaten aus, betonten aber die unsichere Datenlage.

Nach UN-Angaben stieg die Zahl der Flüchtlinge aus der Ukraine in die Nachbarländer inzwischen auf über zwei Millionen. Mindestens 406 Zivilisten seien seit Beginn des Krieges getötet worden. Die tatsächliche Opferzahl dürfte aber erheblich höher liegen.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sagte dem US-Sender ABC, dass sein Land nicht länger auf einer Nato-Mitgliedschaft beharre. Als weiteres Zugeständnis an Moskau erklärte er sich zu einem «Kompromiss» über den Status der Separatisten-Gebiete Luhansk und Donezk im Osten der Ukraine bereit.

Der von der Ukraine angestrebte Nato-Beitritt war nach Darstellung Russlands einer der Hauptgründe für die russische Invasion in der Ukraine. Kreml-Chef Wladimir Putin verlangt einen «neutralen» Status für die Ukraine. Moskau gibt an, sich durch die Nato-Osterweiterung bedroht zu fühlen.