Industrie rechnet mit Bundesregierung ab - Merkel kontert

Dass die Wirtschaft die Arbeit der Regierung kritisiert, ist nicht neu. Kurz nach dem Rücktritt von SPD-Chefin Nahles aber wird der Industriepräsident mehr als deutlich - die Kanzlerin allerdings auch.

Wegen ihrer Wirtschaftspolitik unter Beschuss: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) beim Tag der Deutschen Industrie. Foto: Wolfgang Kumm - dpa-infocom GmbH

Das Wichtigste in Kürze

  • Die deutsche Industrie hat mit der Wirtschafts- und Steuerpolitik der Bundesregierung abgerechnet.

Industriepräsident Dieter Kempf beklagte am Dienstag vor allem hohe Strompreise, zu viel Bürokratie und eine hohe Steuerlast.

Auch beim Mobilfunkausbau komme die schwarz-rote Koalition nicht schnell genug voran. «Die Regierung hat einen grossen Teil des in sie gesetzten Vertrauens verspielt», sagte Kempf. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) konterte - es kam zu einem Schlagabtausch. Auch Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) mischte mit.

Kempf kritisierte beim Tag der Industrie in Berlin, die Koalition stehe für das «mutlose Abarbeiten kleinteiliger Sozialpolitik» und ein ungesundes Mass an Umverteilung. Die Regierung schade mit ihrer Politik Firmen. Mit Blick auch auf den Rücktritt von SPD-Parteichefin Andrea Nahles nach parteiinterner Kritik sagte der BDI-Chef, parteitaktische Spielchen dürften nicht länger die Richtung bestimmen: «Die Wähler durchschauen das Feilschen wie auf dem Basar und wenden sich ab von einer Politik nach dem Motto: «Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung gegen Soli-Abbau für alle».»

Dies sind zwei Punkte, die in der Koalition umstritten sind - deren Zukunft nach dem Nahles-Rücktritt und der Turbulenzen in der SPD unsicher ist. Die SPD will eine Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung - die Union aber will, dass nur Menschen davon profitieren, die dies auch brauchen. Beim Solidaritätszuschlag lehnt die SPD eine vollständige Abschaffung ab, wie dies die Wirtschaft und Teile der Union fordern.

Kempf sagte, die wirtschaftliche Lage in Deutschland werde zunehmend zum Risiko. Es gebe grosse Unsicherheiten vor allem wegen der Handelskonflikte etwa zwischen den USA und China. Die Bundesregierung sowie Forschungsinstitute hatten ihre Wachstumsprognosen für dieses Jahr deutlich heruntergeschraubt. Die deutschen Firmen litten daneben unter einer im internationalen Vergleich hohen Steuerlast und den höchsten Energiekosten Europas, sagte Kempf. Er forderte erneut eine umfassende Reform der Unternehmenssteuern.

Die Bundeskanzlerin liess die Generalkritik nicht auf sich sitzen. «Wir haben ja hier heute offenbar den Tag der offenen Aussprache», sagte sie. Es folgte eine kämpferische Rede.

Merkel nahm sich zuerst die Industrie selbst vor. Seit ihrem Amtsantritt vor einem Jahr und drei Monaten habe sie sich lange mit dem verlorenen Vertrauen in die Automobilindustrie und Regelbrüchen beschäftigen müssen. Vertrauen in die Bundesregierung sei wichtig - genau so wichtig aber sei Vertrauen in die Wirtschaft. Politik und Wirtschaft hätten angesichts der grossen Herausforderungen durch den digitalen Wandel eine gemeinsame Verantwortung.

Die Kanzlerin zählte dann auf, was die Regierung getan habe und was auch der Wirtschaft nutze. So seien die staatlichen Ausgaben für Forschung erhöht worden. Die Regierung habe eine Strategie zum Zukunftsthema Künstliche Intelligenz mit Milliardeninvestitionen auf den Weg gebracht. Das Gesetz zur Einwanderung von Fachkräften werde bald vom Bundestag beschlossen. Der Digitalpakt Schule sorge für schnelles Internet in Schulen. Und die Koalition plane ausserdem eine milliardenschwere steuerliche Forschungsförderung für Unternehmen, die von der Wirtschaft seit langem verlangt werde.

Und die Kanzlerin setzte zu einem weiteren Seitenhieb Richtung Wirtschaft an. Sie kritisierte, der deutsche Mittelstand sei bei der Plattformwirtschaft nicht gut genug aufgestellt. Unter Plattformökonomie versteht man internetbasierte Geschäftsmodelle, bei denen es auch um die Speicherung von Daten etwa in Clouds geht.

Merkel wies ausserdem Kritik der Wirtschaft an der Industriestrategie von Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) zurück. Altmaier will, dass der Staat über einen Fonds für einen befristeten Zeitraum als Erwerber von Unternehmensanteilen auftreten kann. Merkel sagte, sie sei verwundert wegen der Kritik daran. Es gehe nicht um Verstaatlichungen. Der Staat müsse aber in der Lage sein, kritische Infrastrukturen wie Stromnetze zu schützen.

Die Kanzlerin räumte jedoch Defizite ein beim Ausbau der Stromnetze im Zuge der Energiewende. Die Bundesregierung könne das aber nicht alleine durchbringen, sagte die Kanzlerin. Sie verwies auf viele Klageverfahren und Probleme vor Ort. «Wir haben ein Akzeptanzproblem beim Ausbau erneuerbarer Energien.»

Gegenwind bekam der Industrieverband BDI auch von Finanzminister Olaf Scholz (SPD). «Die Grundlage des Kaufmanns ist das Nörgeln», sagte der Vizekanzler. Es könne aber nicht immer nur um ein «Wünsch-Dir-Was» von Verbandslobbyisten gehen. Auch Scholz nannte als Erfolge der Regierung gestiegene staatliche Ausgaben für Forschung sowie die geplante steuerliche Forschungsförderung. Der Vizekanzler wandte sich erneut gegen von der Wirtschaft geforderte massive Steuersenkungen - dies würde ohne zusätzliche Staatsschulden nicht gehen.