Angesichts von Protesten fordert Präsident Ruhani Politikwandel im Iran
Angesichts der Proteste im Iran hat Präsident Hassan Ruhani zu einem grundlegenden Wandel der Politik in seinem Land aufgerufen.
Das Wichtigste in Kürze
- Ayatollah Chamenei will erstmals seit acht Jahren Freitagsgebet leiten.
«Die Menschen wollen mit Aufrichtigkeit, Anstand und Vertrauen behandelt werden», erklärte Ruhani am Mittwoch in einer live im Fernsehen übertragenen Ansprache. Wenig später verkündete die staatliche Nachrichtenagentur Irna, dass Irans geistliches Oberhaupt Ayatollah Ali Chamenei erstmal seit 2012 das Freitagsgebet in Teheran leiten werde.
Ruhani räumte indirekt ein, dass die Flugzeugkatastrophe vor einer Woche und der Umgang der politischen Führung damit bei der Bevölkerung zu einer Vertrauenskrise geführt hätten. Sollte es eine bewusste Verzögerung bei der Bekanntgabe der Absturzursache gegeben habe, müssten sich die Streitkräfte «entschuldigen». Der Iran hatte erst nach tagelangen Dementis und massivem internationalen Druck den versehentlichen Abschuss der ukrainischen Passagiermaschine zugegeben, bei dem vor einer Woche alle 176 Insassen getötet worden waren.
Die meisten Opfer waren Iraner oder iranisch-stämmige Staatsbürger anderer Länder. Der Iran hatte zum Zeitpunkt des Abschusses der Maschine mit Raketenangriffen auf US-Stützpunkte im Irak auf die Tötung des iranischen Generals Kassem Soleimani durch die USA reagiert. Das ukrainische Flugzeug sei in diesem Zusammenhang versehentlich abgeschossen worden, hiess es.
Seit Bekanntwerden der wahren Absturzursache gibt es wütende Proteste der Bevölkerung gegen die Führung des Landes. Dagegen schritten die Sicherheitskräfte nach Angaben von Amnesty International massiv ein. Im ganzen Land seien friedliche Demonstranten durch «illegale Gewaltanwendung» verletzt worden, berichtete die Menschenrechtsorganisation am Mittwoch. Die Sicherheitskräfte hätten unter anderem Schrotkugeln, Tränengas und Gummigeschosse eingesetzt.
Nach iranischen Justizangaben wurden bislang rund 30 Menschen festgenommen. Am Dienstag hatte Teheran zudem erklärt, es habe erste Festnahmen von Verantwortlichen des Flugzeugabschusses gegeben. Details dazu wurden nicht genannt.
Inmitten der angespannten Lage will nun Ayatollah Chamenei am Freitag das zentrale Gebet in Teheran leiten. Das geistliche Oberhaupt des Irans ist offiziell der Imam von Teheran, üblicherweise übernehmen aber andere Geistliche die Leitung der Freitagsgebete. Zuletzt hatte das geistliche Oberhaupt am 3. Februar 2012 anlässlich des 33. Jahrestags der Islamischen Revolution das Freitagsgebet geleitet.
Ruhani seinerseits forderte die Iraner zur «nationalen Einheit» auf. «Das Volk ist unser Meister, und wir sind seine Diener», erklärte er in seiner Fernsehansprache. «Der Diener muss den Meister mit Bescheidenheit, Genauigkeit und Ehrlichkeit ansprechen.» Ein erster Schritt hin zur «nationalen Versöhnung» könnten die Parlamentswahlen im Februar sein, erklärte der Präsident. Die Menschen wollten «Vielfalt».
Ruhani forderte die Wahlbehörde deshalb auf, alle Kandidaten zur Wahl zuzulassen. «Lasst alle Parteien und Gruppen zu, es gibt sicher nichts zu verlieren.» Das Land könne «nicht nur von einem politischen Flügel regiert» werden, da das Land allen Menschen gehöre. Die bedingungslose Zulassung aller Kandidaten wäre eine einschneidende Veränderung im Vergleich zu bisherigen Wahlen im Iran.
Ruhani warf den USA und ihren Verbündeten zugleich vor, «Unsicherheit» in der Region zu schüren. Zu den «Fehlern» zählten die Tötung Soleimanis, Einsätze im Irak, Jemen und Libyen sowie der US-Ausstieg aus dem internationalen Atomabkommen und die Wiedereinführung von Sanktionen.
«Die Sicherheit in dieser sensiblen und wichtigen Region wird auf Kosten der ganzen Welt gehen», warnte Ruhani. «Heute ist der amerikanische Soldat nicht sicher, morgen könnte der europäische Soldat an der Reihe sein.» Die USA und ihre Verbündeten sollten die Region verlassen.