Länder ringen um Lockerungen - Spahn mahnt zur Vorsicht

In der Hauptstadt ist die Inzidenz wieder leicht gestiegen, in den meisten Kreisen liegt sie noch über der Notbremsen-Schwelle. Doch immer heftiger wird über die nächsten Lockerungen debattiert.

Buntes Treiben im Frankfurter Hafenpark. Bundesgesundheitsminister Spahn mahnt, Lockerungsschritte müssten vorsichtig gegangen werden. Foto: Frank Rumpenhorst/dpa - dpa-infocom GmbH

Das Wichtigste in Kürze

  • Nach gut zwei Wochen mit der bundesweit geltenden Corona-Notbremse wird immer heftiger über Lockerungen und Öffnungen debattiert.

Bei der Corona-Inzidenz lagen allerdings nach dem jüngsten Tagesbericht des Robert Koch-Instituts (RKI) immer noch 242 von 412 Kreisen über der Schwelle von 100 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in sieben Tagen. «Das Gefühl ist im Moment besser als die Lage», sagte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) am Montag in Berlin. Während die Zahlen in der Hauptstadt wieder etwas stiegen und einer Ankündigung von Lockerungen eine Absage erteilt wurde, kündigte Bayern Erleichterungen für den Tourismus an. Neue Verabredungen von Bund und Ländern für einen einheitlichen Kurs bei den nächsten Öffnungsschritten sind vorerst nicht geplant.

Spahn mahnte, wenn überhaupt schon Öffnungsschritte beim Reisen gegangen werden, müsse dies sehr stark testgestützt gemacht werden. Auch aus Selbstschutz von Urlaubsregionen sei es sinnvoll, «nicht durch zu viel Mobilität es gleich schon am Anfang zu gefährden».

Aus den Ländern kamen unterschiedliche Signale. In Bayern beschloss das Kabinett bereits angekündigte Lockerungen für den Tourismus. Bei der Inzidenz sei nach einem Rückgang der vergangenen Tage allerdings «eine Seitwärtsentwicklung» zu verzeichnen, hiess es. In Berlin war erwartet worden, dass der Senat nach Inzidenzwerten unter 100 Öffnungsschritte verkünden könnte. Doch der Wert am Montag stieg wieder auf 100,8 - und der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) stellte Lockerungen erst ab Mitte nächster Woche in Aussicht.

Die niedersächsische Landesregierung beschloss einen Stufenplan für Lockerung - mit Etappen für Handel, Tourismus und das gesellschaftliche Leben. In Mecklenburg-Vorpommern dämpfte Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) Hoffnungen auf gelockerte Corona-Regelungen für die Wirtschaft.

Spahn mahnte, Lockerungsschritte müssten vorsichtig gegangen werden. «Wir lockern gerade bei deutlich höheren Inzidenzen, als die meisten anderen Länder bei höheren Impfquoten gelockert haben.» Das gelte etwa für Grossbritannien und Israel. Regierungssprecher Steffen Seibert verwies auf die Äusserungen von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) vom Wochenende, nach denen Reisen in diesem Sommer wieder so möglich sein könnten, wie sie es auch im vergangenen Sommer bereits waren.

Spahn sagte, es gebe eine ermutigende Entwicklung bei den Neuinfektionen und auch auf den Intensivstationen. «Aber wir sind immer noch auf sehr, sehr hohem Niveau.» Auch angesichts des schönen Wetters steige die Laune. «Jetzt darf aus der Zuversicht kein Übermut werden.» Seibert sagte, zwar seien es weniger als 5000 Menschen in intensivmedizinischer Behandlung. Man müsse sich aber klar machen, «dass auch 4800 eine gewaltig hohe Zahl von Menschen ist, die da um ihr Leben kämpfen».

Wenn geöffnet werde, solle dies im Freien geschehen, sagte Spahn. «Das Risiko draussen ist mindestens um den Faktor 10 geringer als drinnen.»

Den zum Wochenstart veröffentlichten RKI-Zahlen zufolge gab es 6922 Corona-Neuinfektionen binnen eines Tags. Vor einer Woche wurden 9160 Neuansteckungen gezählt. An Montagen sind die vom RKI gemeldeten Fallzahlen meist niedriger. Die Inzidenz liegt bundesweit noch deutlich über 100 - bei 119,1. Am Vortag lag sie etwas niedriger: Da waren es 118,6 binnen sieben Tagen gemeldete Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner. In der Vorwoche waren es 146,9.

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier warnte vor einem Flickenteppich bei den Öffnungen. Der CDU-Politiker plädierte am Sonntagabend in der ARD für abgestimmte Massnahmen, auch wenn diese dann je nach regionaler Infektionslage unterschiedlich schnell greifen. Seibert verwies am Montag auf die Frage, ob es neue Verabredungen für einheitliche Lockerungen geben solle, auf die bereits geltenden Regeln.

Im Gesetz für die Bundesnotbremse ist bereits geregelt, dass die Einschränkungen etwa bei den Kontakten oder dem abendlichen Rausgehen nach zwei Tagen ausser Kraft treten, wenn in einem Kreis oder einer Stadt die Inzidenz an fünf Werktagen hintereinander die Marke 100 unterschreitet.

Seibert sagte, über die bundeseinheitlichen Regeln hinaus träfen einzelne Länder sehr spezielle Regelungen. Die nächste reguläre Ministerpräsidentenkonferenz finde im Juni statt. Für ein früheres Treffen gebe es bisher keine konkreten Pläne.

Der Städte- und Gemeindebund forderte hingegen ein neues Konzept. «Im Hinblick auf die rasante Zunahme der Impfungen und den bevorstehenden Sommer mit vielen möglichen Aktivitäten im Freien sollten sich Bund und Länder bereits jetzt auf einen klaren Öffnungskatalog verständigen», sagte Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg den Zeitungen der Funke-Mediengruppe.

Der Berliner Virologe Christian Drosten ist für die Zeit ab Juni zuversichtlich, denn in dem Monat würden sich erstmals die Impfungen spürbar auswirken, sagte er am Sonntagabend im ZDF. «Der Sommer kann ganz gut werden in Deutschland.»

Die Mehrheit der Menschen im Land hält die seit Sonntag geltenden Corona-Lockerungen für Genesene und Geimpfte für gerechtfertigt. Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey im Auftrag des «General-Anzeigers». Knapp zwei Drittel der Befragten (64,1 Prozent) befürworteten demnach die Erleichterungen.