Libanons Präsident: «Fahrlässigkeit oder Eingreifen von aussen» als Explosionsgrund
Wenige Tage nach der Explosionskatastrophe in Beirut hat Libanons Präsident Michel Aoun als Unglücksursache neben «Fahrlässigkeit» auch ein «Eingreifen von aussen» ins Spiel gebracht.
Das Wichtigste in Kürze
- Hisbollah weist Verantwortung zurück - UNO ruft zu Solidarität mit Libanon auf.
Forderungen nach einer internationalen Untersuchung wies er am Freitag aber zurück. Die schiitische Hisbollah-Miliz lehnte ihrerseits jegliche Verantwortung für die Explosionen ab. Derweil liefen im zerstörten Beirut die internationalen Hilfsbemühungen an, auch deutsche Einsatzkräfte suchten nach Vermissten unter den Trümmern.
Aoun äusserte sich am Freitag erstmals zu möglichen Unglücksursachen: Es sei möglich, dass die Explosionen durch «Fahrlässigkeit oder durch äussere Einwirkung, mit einer Rakete oder einer Bombe», ausgelöst wurden, sagte er im Fernsehen.
Auf die Frage, ob er gegen eine internationale Untersuchung sei, antwortete Aoun mit «natürlich». Eine solche Untersuchung würde «die Wahrheit verwässern». Zuvor gab es bereits von mehreren Seiten Rufe nach einer internationalen Aufarbeitung der Katastrophe. So forderte Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron bei einem Besuch am Donnerstag in Beirut eine «transparente» internationale Untersuchung.
Am Dienstagabend hatten zwei gewaltige Explosionen die libanesische Hauptstadt erschüttert. Nach jüngsten Angaben der Behörden wurden dabei mehr als 150 Menschen getötet und mehr als 5000 verletzt. Rund 300.000 Menschen wurden obdachlos. Dutzende Menschen werden weiterhin vermisst.
Nach Regierungsangaben waren 2750 Tonnen Ammoniumnitrat explodiert, das jahrelang ohne geeignete Vorsichtsmassnahmen gelagert gewesen war. Ammoniumnitrat kann für Düngemittel oder zur Herstellung von Sprengstoff verwendet werden. Die genauen Ursachen der Explosionen sind noch ungeklärt. 16 Hafen-Mitarbeiter wurden inzwischen in Gewahrsam genommen, wie die Militärstaatsanwaltschaft mitteilte.
Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah wies am Freitag Berichte zurück, dass seine Miliz Waffen am Ort der Explosionen gelagert habe. «Ich dementiere kategorisch», sagte Nasrallah im Fernsehen. «Wir haben nichts im Hafen: weder ein Waffen- noch ein Raketenlager, noch Raketen, Gewehre, Bomben oder Ammoniumnitrat.»
Unterdessen sagte die Europäische Union ihre Teilnahme an der von Frankreich organisierten internationalen Video-Geberkonferenz für den Libanon zu. EU-Ratspräsident Charles Michel will am Samstag nach Beirut reisen, um sich ein Bild von der Lage vor Ort zu machen.
Die Vereinten Nationen riefen die internationale Gemeinschaft zur Solidarität mit dem Libanon auf, nachdem die Organisation bereits neun Millionen US-Dollar an Hilfsgeldern freigegeben hatte. «Der Bedarf ist enorm», sagte eine Sprecherin des Kinderhilfswerks Unicef. Allein Unicef benötige mehr als acht Millionen Dollar um «bis zu 100.000 obdachlos gewordene Kinder» zu versorgen. Vor allem Medizin und Lebensmittel würden gebraucht, da bei den Explosionen Lagerhallen für Nahrungsmittel im Hafen sowie Krankenhäuser zerstört wurden.
Unter den Augen verzweifelter Angehöriger suchten Einsatzkräfte derweil den dritten Tag in Folge nach Überlebenden. Dabei bekamen die einheimischen Helfer Unterstützung von Bergungsteams aus dem Ausland - darunter aus Deutschland, Frankreich und Italien.
Ein Team von 50 Mitarbeitern des deutschen Technischen Hilfswerks (THW) suche bereits mit Spürhunden und Ortungsgeräten im Hafengebiet nach Verschütteten, teilte die Zentrale in Bonn am Freitag mit. Ein Teil des Teams unterstützte auch die deutsche Botschaft und untersuchte das Gebäude auf dessen Stabilität, nachdem es bei den Detonationen beschädigt worden war. Zudem nahmen Einsatzkräfte der Bundeswehr ihre Arbeit in Beirut auf.
Die USA schickten dem Libanon Hilfsgüter im Wert von 15 Millionen Dollar, darunter Lebensmittel für drei Monate für 50.000 Menschen sowie Medikamente für drei Monate für 60.000 Menschen.
Am Donnerstagabend war es in Beirut zu Zusammenstössen zwischen Sicherheitskräften und aufgebrachten Demonstranten gekommen. Die Demonstranten sehen die verheerenden Explosionen als Beleg für das Versagen und die Korruption der politischen Führung, die das Land heruntergewirtschaftet habe - ein Vorwurf, der in der libanesischen Bevölkerung weit verbreitet ist.
Schon vor der Katastrophe hatte es immer wieder Demonstrationen gegen die Regierung gegeben. Der Libanon steckt in der schwersten Wirtschafts- und Währungskrise seit Jahrzehnten. Die Corona-Pandemie hat die Lage in den vergangenen Monaten noch verschärft.