Kontroverse um Flüchtlingspolitik: Es geht nicht nur um Geld

Wie lange sollen Schutzsuchende an den EU-Aussengrenzen festgehalten werden dürfen? Muss der Bund mehr Geld für die Unterbringung von Flüchtlingen geben? Bis zum Sommer sollten diese Fragen geklärt sein.

Ukrainische Flüchtlinge nach ihrer Registrierung in Potsdam. - Soeren Stache/dpa

Das Wichtigste in Kürze

  • Die Zahl unerlaubter Einreisen nach Deutschland steigt, bei der Unterbringung von Flüchtlingen gibt es Engpässe: Die Bundesregierung sieht sich deshalb wachsendem Druck ausgesetzt.

Die Zeit drängt wegen der im nächsten Jahr anstehenden Europawahl und lauter Klagen aus Kommunen. Nur in einem Punkt sind sich Regierungsvertreter und Opposition einig: Mit Geld alleine sind die Probleme nicht zu lösen.

Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Grüne) verlangte von Kanzler Olaf Scholz (SPD) am Wochenende eine dauerhafte finanzielle Beteiligung des Bundes an den Kosten für Flüchtlingsunterkünfte und Integration. «Es kann nicht sein, dass sich der Bundeskanzler seit Monaten um die Frage rumwindet, wie es mit der Finanzierung der Länder und Kommunen in dieser Frage weiter gehen soll», sagte sie den Zeitungen der Funke-Gruppe (Montag) weiter.

Auch die CDU/CSU-Fraktion forderte vom Bund mehr Geld für die Kommunen. «Sie sind die Leidtragenden der Migrationspolitik der Bundesregierung», sagte Parlamentsgeschäftsführer Thorsten Frei (CDU) im ARD-«Bericht aus Berlin». «Die 2,75 Milliarden Euro, die bisher für dieses Jahr vorgesehen sind, sind eindeutig zu wenig, denn die Herausforderungen beziehen sich ja auf die Integration insgesamt, auf Kitas auf Schulen, auf Wohnraum und vieles andere mehr.»

An Grenzen gestossen

Einige Kommunen stossen bei der Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen aus der Ukraine und Asylsuchenden aus anderen Staaten inzwischen an ihre Grenzen. Die dafür vom Bund zugesagte Pauschale von 2,75 Milliarden Euro für 2023 reicht ihrer Ansicht nach nicht aus, die Integrationskosten sind auch nicht berücksichtigt. Scholz hat Vertreter von Bund und Ländern für den 10. Mai zu einem Spitzentreffen dazu ins Kanzleramt eingeladen.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) will sich nicht darauf festlegen lassen, dass die Kommunen mehr Geld bekommen. «Es geht nicht immer nur um die Finanzfragen», sagte sie der ARD. Man sei dabei, «zusätzliche Unterbringungsmöglichkeiten zu schaffen». Als Unterkünfte für Asylbewerber und Flüchtlinge waren den Ländern bereits mehrfach bundeseigene Immobilien angeboten worden.

Bei der angestrebten Reform des EU-Asylsystems soll nach Faesers Angaben darüber verhandelt werden, ob Flüchtlinge an den Aussengrenzen für einen ersten Teil der Asylprüfung knapp drei Monate festgehalten werden dürfen. Man ringe mit den anderen EU-Staaten um die Zeit. «Wahrscheinlich geht es um zwölf Wochen», sagte sie in der ARD. «Wir müssen ja immer auch beachten, dass es für die Menschen auch menschenwürdig ist und wir damit auch umgehen können. Ich glaube, dass es wichtig ist, die Registrierung, die Identifizierung bereits zum frühestmöglichen Zeitpunkt durchzuführen, damit wir eben auch offene Grenzen in Europa haben können.»

Viele Fragen noch offen

Die EU-Staaten wollen das nicht funktionierende System der Verteilung und Aufnahme reformieren. Dabei steht im Raum, direkt nach der Registrierung in Aussengrenzstaaten zu prüfen, ob jemand Aussicht auf Schutz hat oder nicht. Ausserdem soll geschaut werden, in welchen Staat die einzelnen Schutzsuchenden womöglich weiterreisen sollten – etwa weil dort nahe Verwandte leben. Auch wird überlegt, ob es beim Festhalten womöglich Ausnahmen geben soll, etwa für Menschen mit Behinderungen oder Familien mit Kindern.

Das Deutsche Institut für Menschenrechte sprach sich gegen geschlossene Aufnahmezentren aus. «Ein System, das vorrangig auf Abschreckung und die Auslagerung von Asylprüfungen an die Aussengrenzen oder sogar in vermeintlich sichere Drittstaaten ausserhalb der EU setzt, ist mit Deutschlands flüchtlings- und menschenrechtlichen Verpflichtungen nicht vereinbar», hiess es am Montag in einer Stellungnahme.

Der CDU-Politiker Frei betonte dagegen: «Migration muss gesteuert und begrenzt werden.» Neben europäischen gehe es auch um nationale Massnahmen wie die Erweiterung der Liste sicherer Herkunftsländer um die nordafrikanischen Maghreb-Staaten und Georgien. Das würde helfen, Verfahren zu beschleunigen und damit für eine Entlastung der Kommunen sorgen. Sogenannte sichere Herkunftsstaaten sind Länder, bei denen vermutet wird, dass es in der Regel weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung gibt. Das soll schnellere Asylentscheidungen und Abschiebungen ermöglichen.

Die alte schwarz-rote Bundesregierung wollte Tunesien, Algerien, Marokko und Georgien als sichere Herkunftsstaaten einstufen. Der Vorschlag passierte 2019 den Bundestag, kam aber im Bundesrat wegen des Widerstands von Ländern, in denen Grüne oder Linke mitregieren, nicht voran. Von einem neuen Vorstoss halten die Grünen nichts.

Im ersten Quartal stellte die Bundespolizei 19 627 unerlaubte Einreisen fest. Im gleichen Zeitraum stellten nach Angaben des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge 80 978 Menschen erstmalig einen Asylantrag, davon 5817 Kinder unter einem Jahr. Ausserdem sind im laufenden Jahr bis 31. März laut Bundesregierung und Ausländerzentralregister 81 647 Menschen im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg eingereist. Sie müssen keine Asylanträge stellen.