«Nützliche Idioten»? Orban rudert zurück - ein wenig
Zwei Schritte vor, einen zurück - diese Taktik verfolgt Viktor Orban seit Jahren. Kommende Woche stimmt die Europäische Volkspartei über den Ausschluss der rechtsnationalen Fidesz-Partei ab. Verfängt Orbans Taktik noch?
Das Wichtigste in Kürze
- Der Druck auf Ungarns Ministerpräsidenten Viktor Orban war zuletzt immer grösser geworden.
Erstmals ist der Ausschluss seiner rechtsnationalen Fidesz-Partei aus der Europäischen Volkspartei eine realistische Option.
Erst goss Orban Öl ins Feuer - am Donnerstag ruderte er dann zurück. Zumindest ein bisschen.
In einem Schreiben an Mitglieder des Parteienverbunds, zu dem auch CDU und CSU gehören, bittet Orban um Entschuldigung dafür, dass er sie als «nützliche Idioten» bezeichnet hatte. «Hiermit möchte ich meine Entschuldigung ausdrücken, falls Sie sich durch mein Zitat persönlich angegriffen fühlten», heisst es in dem Brief, der der Deutschen Presse-Agentur vorliegt.
Zugleich macht Orban klar, dass er an seiner Politik nichts ändern werde. Kritiker werfen ihm seit Jahren vor, in Ungarn Demokratie und Rechtsstaat auszuhöhlen.
Zuletzt hatte Orban mit einer Anti-Brüssel-Kampagne für massiven Unmut gesorgt. Auf Plakaten, die er in Ungarn hatte aufhängen lassen, waren der von der EVP gestellte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sowie der liberale US-Milliardär ungarischer Herkunft George Soros in unvorteilhafter Pose zu sehen. Beide wurden zudem mit falschen Behauptungen zur EU-Einwanderungspolitik verunglimpft.
Gut ein Dutzend EVP-Parteien forderten daraufhin, den rechtsnationalen Fidesz auszuschliessen oder zumindest zeitweise zu suspendieren. Und Orban? Der verhöhnte seine Kritiker in einem Interview der «Welt am Sonntag» als «nützliche Idioten», die das Geschäft der Linken und Liberalen betrieben. Am kommenden Mittwoch soll der EVP-Vorstand über den weiteren Umgang mit der Fidesz-Partei entscheiden. Am Ende könnte ein Ausschluss stehen.
Der dpa liegen die Briefe Orbans, der zugleich Fidesz-Chef ist, an den Vorsitzenden der flämischen CD&V sowie an das EVP-Mitglied aus Luxemburg CSV vor. Es sei kein Geheimnis, dass es bei den Themen Migration, dem Schutz der christlichen Kultur und der Zukunft Europas ernsthafte Meinungsunterschiede zwischen Fidesz und den adressierten Parteien gebe, schreibt Orban. «Es ist ebenso kein Geheimnis, dass wir unsere Position bei diesen Themen nicht ändern wollen.» Fidesz aus der EVP auszuschliessen, sei jedoch keine vernünftige Lösung, heisst es weiter. «Deshalb möchte ich Sie respektvoll darum bitten, ihren Ausschlussantrag nochmal zu überdenken, wenn möglich.»
Kann Orban den Fidesz-Rauswurf damit abwenden? Juncker jedenfalls bleibt dabei, dass Orban in der EVP nichts mehr zu suchen hat, wie er am Donnerstag über seinen Sprecher mitteilte.
Manfred Weber (CSU), der als EVP-Spitzenkandidat in den Wahlkampf für die Europawahl im Mai geht, bezeichnete Orbans Entschuldigung am Donnerstag als «erstes Signal», forderte aber weitere Schritte.
CSU-Chef Markus Söder äusserte sich ähnlich: «Sich für Formulierungen zu entschuldigen, ist ein wichtiges Signal.» Aber die EVP sei eine Wertefamilie. «Und Werte sind nicht verhandelbar.» Orban müsse langfristig entscheiden, wohin ihn sein Weg führe. «Es macht keinen Sinn, dass wir jede Woche neue Debatten darüber führen.» Auch bei den anderen EVP-Partnern müsse wieder dauerhaft neues Vertrauen wachsen. Die Bundes-CDU wollte sich zum Orban-Schreiben zunächst nicht äussern.
Vertrauen ist der springende Punkt - und die hämischen Plakate sind nur die Spitze eines massiven Eisbergs, der auf zerbrochenem Vertrauen steht. Ein erfahrener europäischer Diplomat sagte am Donnerstag in Budapest, er habe es in seiner jahrzehntelangen Laufbahn noch nie erlebt, dass ein EU-Staat unumstrittene EU-Entscheidungen blockiert, wie es Ungarn immer wieder tut. Zuletzt, als es gegen ein gemeinsames Papier der EU und der Arabischen Liga seinen Einspruch einlegte, weil sich darin eine Formulierung befand, die vage auf den von Ungarn abgelehnten UN-Migrationspakt anspielte.
Aber auch die Blockadehaltung Ungarns in der Nato gegenüber der von einer russischen Aggression bedrängten Ukraine falle in diese Kategorie des Noch-Nie-Dagewesenen, so der Diplomat. Zum Konflikt mit der EVP sagte er: «Man hat den Ungarn viele Brücken gebaut, aber bisher ist keiner von ihnen drübergegangen.»
Weber, der sich selbst gerne als «Brückenbauer» sieht und Juncker im Herbst als Kommissionschef folgen will, hatte die EVP-Mitgliedschaft des Fidesz zuletzt an drei Bedingungen geknüpft: Orban solle die jüngste Kampagne gegen Juncker stoppen, er müsse sich bei den anderen EVP-Parteien entschuldigen, und die Zentraleuropäische Universität (CEU) müsse dauerhaft in Budapest bleiben. Zudem müsse die Hochschule wieder US-Diplome ausgeben können. Am Dienstag war Weber selbst zum Gespräch mit Orban nach Budapest gereist - ohne anschliessend eine Lösung zu präsentieren.
Die Entschuldigung liegt nun also vor. Die Plakate sollten ohnehin Mitte März abgehängt werden und verschwinden bereits nach und nach aus dem Stadtbild. Und für die CEU hatte Weber selbst eine Lösung vorgeschlagen: ein Teil-Finanzierung durch bayerische Stellen sollte ihren Fortbestand retten.
Für manche Orban-Kritiker in der EVP ist das einseitge Schreiben jedoch zu wenig. Der Vorsitzende der flämischen CD&V, Wouter Beke, akzeptierte nach Angaben aus Fraktionskreisen zwar den Brief. Das Schreiben ändere mit Blick auf Fidesz nichts an seiner Haltung.
Der Vorsitzende der finnischen Nationalen Sammlungspartei schrieb auf Twitter, seine Partei werden ihren Antrag auf Ausschluss nicht zurückziehen. Und auch der Luxemburger Parteichef Frank Engel kritisierte, dass Orban sich nicht für seine Politik entschuldigt. «Deshalb ist diese Entschuldigung nichts wert.»