Sieg oder Schuss ins Knie? Orban und Co feiern von der Leyen

Woher bekommt Ursula von der Leyen ihre Mehrheit für die Wahl zur Kommissionspräsidentin? Nationalkonservative aus Osteuropa äussern sich sehr freundlich - was für die Deutsche voller Tücken ist.

Ungarns rechtsnationalistischer Regierungschef Viktor Orban hält die Nominierung von Ursula von der Leyen für einen «wichtigen Sieg». Foto: Geoffroy Van Der Hasselt/AFP Pool/AP - dpa-infocom GmbH

Das Wichtigste in Kürze

  • Viktor Orban konnte seine Begeisterung kaum zügeln.

«Wir haben eine deutsche Familienmutter, die Mutter von sieben Kindern an die Spitze der Kommission gewählt», jubelte der ungarische Ministerpräsident vor einer Woche nach der Nominierung von Ursula von der Leyen für den EU-Spitzenjob.

Nun sei in Europa eine Wende zu erwarten, meinte der Rechtsnationalist. «Wir haben einen wichtigen Sieg errungen.»

Der Überraschungskandidatin, derzeit auf Werbetour in Strassburg und Brüssel unterwegs, dürfte derlei Lob eher unangenehm sein. Denn Orbans Politik einer «illiberalen Demokratie» wird in der Europäischen Union sehr kritisch beäugt.

Auf der Suche nach einer Mehrheit im Europaparlament wird von der Leyen jeden Eindruck vermeiden, Protegé der Quertreiber in der EU zu sein. Ob sie letztlich ohne die Stimmen der Nationalisten aus Osteuropa gewählt werden kann, bleibt aber bis zum Wahltermin am 16. Juli offen.

Das Kuriose an der Auswahl der deutschen Verteidigungsministerin ist vielleicht, dass viele sich als Erfinder dieser Idee präsentieren. Orbans Sprecher reklamierte den Vorschlag noch während der Verhandlungen beim Sondergipfel diese Woche für die vier Visegrad-Staaten Ungarn, Polen, Tschechien und Slowakei. Diplomaten sagen dagegen, der französische Präsident Emmanuel Macron habe die CDU-Politikerin ins Spiel gebracht.

Orban und Macron - gewöhnlich eint fast nichts den Nationalisten aus Budapest und den Europavisionär aus Paris. Nun aber ziehen sie gemeinsam den Zorn derjenigen auf sich, die statt dieser Entscheidung hinter verschlossenen Türen ein offenes Verfahren wollten und einen der Spitzenkandidaten zur Europawahl als Kommissionschef. «In meinen Augen war es ein Sieg von Viktor Orban und seinen Verbündeten», wütete der frühere EU-Parlamentspräsident Martin Schulz in «Bild» und rügte Macron als «knochenharten französischen Machtpolitiker».

Manfred Weber, der als Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei selbst Kommissionschef werden wollte, äusserte sich im selben Blatt ganz ähnlich: «Dass Emmanuel Macron und Viktor Orban das Wahlergebnis einfach vom Tisch wischen, hätte ich nicht erwartet.»

Der Unmut über das Verfahren ist so gross, dass die auf diese Weise nominierte von der Leyen heftigen Gegenwind bekommt. Bisher hat nur ihre eigene Parteienfamilie EVP ihr eindeutige Unterstützung zugesagt. Sozialdemokraten, Liberale und Grüne, die sie für eine «proeuropäische» Mehrheit im Parlament bräuchte, zeigen der Deutschen vorerst die kalte Schulter. «Ich sehe überhaupt keinen Grund, warum wir sie wählen sollten», bekräftigte am vergangenen Donnerstag die Grüne Ska Keller im SWR.

Freundliche Töne kommen indessen aus der rechten Fraktion EKR, wo die rechtsnationale polnische Regierungspartei PiS zuhause ist. «Als Gruppe müssen wir die Nominierungen des Rats noch intern beraten, aber ich selbst bin offen», erklärte der polnische Vizefraktionschef Ryszard Legutko. «Das schliesst Frau von der Leyen ein, die wir nächste Woche zu unserem Fraktionstreffen einladen möchten für eine Diskussion über Ansichten und Prioritäten.»

Sollte von der Leyen nur mit den Stimmen der EU-kritischen EKR ins Amt kommen, könnte sich dies als Hypothek für die neue Kommissionschefin erweisen. Denn das hiesse: Wacklige Mehrheiten auch bei Gesetzesvorhaben in den nächsten fünf Jahren und eine mögliche Abhängigkeit von Parteien, die die EU am liebsten stutzen und die Nationalstaaten stärken würden. Der Einsatz der jetzigen Kommission für Rechtsstaat und Grundwerte in Ländern wie Polen oder Ungarn wäre womöglich schwer durchzuhalten.

Der polnische Regierungschef Mateusz Morawiecki äusserte jedenfalls schon die klare Erwartung einer «sehr guten Zusammenarbeit» mit von der Leyen und zeigte sich hochzufrieden mit dem Ausgang des Personalpokers. Auch Orbans Kanzleramtsminister Gergely Gulyas äusserte die Erwartung, dass man mit von der Leyen besser auskäme als mit Amtsinhaber Jean-Claude Juncker.

Vor der Abstimmung im Parlament in einer Woche dürfte sie alles daran setzen, die bisher skeptischen Sozialdemokraten, Liberalen und Grünen für sich zu gewinnen und eine breite Allianz zu schmieden. Das wiederum könnte Ergebnisse zeitigen, die Orban und Co. nicht lieb wären.

Eine Mehrheit in der Mitte des EU-Parlaments will zum Beispiel ein klareres Verfahren für Rechtsstaatsverstösse, wie sie Ungarn und Polen angekreidet werden. Und die finnische Regierung, die bis Jahresende den Vorsitz der EU-Länder führt, machte sich dafür stark, dass auch EU-Gelder an die Einhaltung der gemeinsamen Werte gekoppelt werden.

Ungarische Kommentatoren warnen schon, dass sich Orbans «Erfolg» als Pyrrhussieg erweisen könnte. Von der Leyen sei unabhängig, schrieb zum Beispiel das Portal «hvg.hu»: «Mit ihr wird Orban nicht kungeln können, es wird keine Hinterzimmer-Kumpanei, keine Witzeleien wie mit Juncker geben.» Die Zeitung «Hospodarske noviny» aus Prag sieht es so: «Der Visegrad-Gruppe ist es gelungen, sich ins eigene Knie zu schiessen.»