Warum sich Graz mit alten Waffen auskennt
Habsburger und Osmanen waren bis vor 300 Jahren tief verfeindet. Ein Waffenarsenal erinnert daran. Die Experten polieren auch die Rüstungen des Vatikans.
Das Wichtigste in Kürze
- Das Landeszeughaus in Graz (Ö) besitzt einer der grössten historischen Waffenarsenale.
- Mit dem Kriegswerkzeug schützen sich die Habsburger vor den Türken.
- Die Experten des Waffenhauses polieren auch die Rüstungen des Vatikans.
«Wir sind im Finale.» Der Grazer Büchsenmacher und Restaurator Thomas Köhler (58) deutet auf ein Schulterstück und einen Brustpanzer. Sie gehören zur Ausstattung der Schweizergarde im Vatikan. Fast 100 Harnische der Schutztruppe des Papstes hat das vierköpfige Team der Restauratoren im Grazer Landeszeughaus in den vergangenen Jahren wieder zum Glänzen gebracht: die jeweils 200 Nieten gelöst, die Metallplatten mit neuen Nieten und Lederriemen zusammengefügt und so die Rüstung der Leibwachen funktionsfähig gemacht. «Schweizer Rost und Schweiss» habe dem Metall 400 Jahre schwer zugesetzt, sagt Köhler. Bald soll alles erledigt sein.
«Kleinste Armee der Welt»
Ursprung der Arbeit war kein Auftrag des Vatikans. Es handelte sich um ein Gastgeschenk des Landes Steiermark und des Universalmuseums Joanneum an den Heiligen Vater vor rund zehn Jahren. Graz wollte für die «kleinste Armee der Welt» die fachgerechte Restaurierung ihres historischen Kampfschutzes übernehmen. Das hat seinen guten Grund.
Graz, Österreichs zweitgrösste Stadt unweit der Grenze zu Slowenien und Ungarn, kennt sich aus mit alten Waffen. Im Zentrum liegt das Landeszeughaus, ein schmales vierstöckiges Gebäude. Es beherbergt das mit 32'000 Objekten weltweit grösste historische Waffenarsenal, das unter den Kaiserdynastien der Habsburger angelegt wurde.
Im Depot lagern rund 8000 Gewehre und Pistolen, Tausende von Schwertern, Panzerstechern, Rapieren, Morgensternen, Hellebarden, Langmessern, Kanonen, Rüstungen und Rundschilden. Mit dem Kriegswerkzeug aus dem 16., 17. und 18. Jahrhundert wurden einst die Soldaten ausgestattet, um das Reich der Habsburger vor den Angriffen der Türken zu schützen.
Jährlich 45'000 Besucher
Vor 300 Jahren endete mit dem Frieden von Passarowitz im Juli 1718 die Feindschaft zwischen dem Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation und dem Osmanischen Reich - stattdessen wurden Handelsbeziehungen und viele diplomatische und kulturelle Kontakte geknüpft. Seitdem ist das Arsenal nur noch ein historischer Ort, alle Waffen wirken wie abholbereit eingelagert. Sie wurden nie mehr gebraucht.
Die jährlich etwa 45'000 Besucher reagierten oft mit «ungläubigem Staunen und distanzloser Überwältigung», sagt die Chefin des Hauses, Bettina Habsburg-Lothringen. Die 43-jährige Historikerin macht zugleich den grossen Unterschied zu einem Museum mit seinen sich ändernden thematischen Schwerpunkten, Zukäufen und Wechselausstellungen klar: «Wir sammeln nicht weiter. Das Haus ist wie eine Käseglocke, in der die Zeit fast stehengeblieben ist.» Aber sie will das Bewusstsein der Besucher dennoch schärfen. «Es handelt sich um Tötungswerkzeuge», erklärt Habsburg-Lothringen.
Wichtig ist ihr der differenzierte Umgang mit der Geschichte. «Wir wollen keine Feindbilder in die nächste Generation schleppen, sondern das menschliche Leid hinter den Kriegen sichtbar machen», beschreibt sie ihren selbst definierten Auftrag. Für sie selbst ist das Haus auch eine Art Familiengeschichte. Zur Verteidigung Wiens suchten die Habsburger die Zusammenarbeit mit den steirischen Landständen, die das Waffenlager bestücken liessen. In der Regierungszeit Maria Theresias (1717-1780) fiel dann der Entschluss, das nicht mehr gebrauchte Depot als Erinnerung an den Mut der Verteidiger fast unberührt die Zeiten überdauern zu lassen.
«Es ist schon eine besondere Geschichte: Die gleiche Familie, die einst kämpfen liess, kümmert sich nun um das historische Erbe», sagt Habsburg-Lothringen. Rund 500 Mitglieder umfasst heute die Familie, aus deren Reihen 600 Jahre lang die deutschen Kaiser stammten.
Sammlung als Sisyphus-Arbeit
Für die Restauratoren Köhler und Hans Weichart (61) bedeutet die Sammlung eine Sisyphus-Arbeit. Nicht zuletzt an den Gewehren ist fast immer etwas instand zu setzen. Bei einem Radschlossgewehr - um 1580 von einem Augsburger Büchsenmacher hergestellt – ist an der Unterseite, an der der Ladestock platziert wird, ein geschnitzter Knochen abgesplittert. Mit viel Erfahrung wird ein Ersatzteil handgefertigt - ebenfalls aus Knochen.
«Zum Laden eines solchen Gewehrs waren 27 Handgriffe nötig», sagt Köhler. Schon diese Waffen hatten eine Reichweite von rund einem Kilometer. Wenige Jahrzehnte später, im Dreissigjährigen Krieg (1618-1648), waren die Steinschloss-Gewehre nach nur noch zwölf Handgriffen schussbereit. «Das bedeutete zwei Schuss in der Minute.»
Die Expertise mit Rüstungen in der Werkstatt des Zeughauses war der Grund für das Geschenk durch den steirischen Ministerpräsidenten. Bei einem Besuch bot er dem inzwischen emeritierten deutschen Papst Benedikt XVI. das österreichische Know-how an. Das kam gut an. «Es war eines der Geschenke, über das sich der Vatikan besonders gefreut hat», so Habsburg-Lothringen.