Was die Roller fürs Klima bedeuten (können)
Der frühere Verkehrsminister beschied E-Scootern einst ein «enormes Zukunftspotenzial». Doch immer mehr Studien zeigen, dass an den Umweltversprechen der Anbieter bislang nichts dran ist. Wie lassen sich die E-Tretroller in ein sinnvolles Verkehrskonzept integrieren?
Das Wichtigste in Kürze
- Mit dem E-Scooter herumzusausen kann zu Beginn eine wackelige Angelegenheit sein - doch unterm Strich macht es Spass.
Dem dürften wohl selbst Kritiker zustimmen - sofern sie sich dazu haben verleiten lassen, auf einen E-Roller zu steigen, sich vom Boden abzustossen und davon zu gleiten.
Immerhin berichten die Anbieter auch zweieinhalb Jahre nach der Zulassung für Scooter in Deutschland von einer hohen Nachfrage. Doch die Diskussionen und Streits rund um das junge Verkehrsmittel sind alles andere als verstummt. Vom Fahrspass haben andere Stadtbewohner angesichts zugestellter Gehwege und rücksichtsloser Nutzer wenig. Und auch aus Umweltsicht spricht für viele Fachleute bislang nichts dafür, die E-Scooter-Flotten in Deutschland weiter auszubauen.
Bilanz dürftig
So ist die Klimabilanz zumindest für die Leih-E-Scooter, die per App auf der Strasse für Fahrten angemietet werden, ziemlich dürftig. Das liege allein schon am Material, der Herstellung und der kurzen Lebensdauer, weil die Geräte selten pfleglich behandelt werden, heisst es in einer Studie der Universität North Carolina aus dem Jahr 2019.
Den grössten negativen Einfluss habe es demnach, wenn die Scooter mit Verbrenner-Autos zum Laden eingesammelt und wieder in der Stadt verteilt werden. Auf Kilometer pro Person berechnet sei selbst ein Dieselbus in der Stosszeit umweltschonender, schreiben die Autorinnen und Autoren.
Die Ergebnisse sind bereits einige Jahre alt und an vielen Punkten haben die Sharing-Dienste nachgebessert. «Die derzeitige Generation von E-Scootern hat mittlerweile herstellerseitig eine garantierte Lebensdauer von 5+ Jahren», teilt Sebastian Schlebusch mit, Sprecher der Plattform Shared Mobility, einem Lobbyverband der Sharing-Branche. Viele Flotten verfügen zudem inzwischen über austauschbare Batterien, so dass die Scooter nicht mehr eingesammelt werden müssen.
E-Scooter vor allem für Strecken, die man sonst zu Fuss geht
Auf diese Weise lasse sich die Ökobilanz von E-Scootern verbessern, sagt Kay Axhausen, Professor für Verkehrsplanung an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich.
Axhausen und sein Team haben aber kürzlich in einer eigenen Untersuchung weitere Schwachpunkte dargelegt. Sie bestätigten dabei Einschätzungen, wonach Menschen die öffentlich zugänglichen E-Scooter vor allem für solche Strecken nutzen, die sie sonst zu Fuss oder mit dem Fahrrad zurückgelegt hätten. Es fällt also mehr CO2 an, als wenn sie die Strecken auf gewohnte Weise zurückgelegt hätten.
Die Forscherinnen und Forscher werteten für die Untersuchung unter anderem GPS-Daten von 540 Nutzerinnen und Nutzern in Zürich aus und rekonstruierten 65.000 Fahrten mit verschiedenen Verkehrsmitteln. Die bezieht sich auf Zürich. Axhausen geht aber davon aus, dass die Resultate auf die meisten europäischen Städte mit gutem öffentlichen Nahverkehr übertragbar sind.
Flottenobergrenze für Sharing-Anbieter
«Städte müssen sich fragen: Ist dies ein Angebot, das wir haben müssen? Tendenziell sind E-Scooter eher problematisch, da sie keinen grossen Beitrag zur Verbesserung der Umweltbilanz schaffen», sagt Axhausen.
Mit dieser Einschätzung ist der Forscher nicht allein. «Als Leihfahrzeug in Innenstädten, wo ÖPNV-Netze gut ausgebaut und die kurzen Wege gut per Fuss und Fahrrad zurückzulegen sind, bringen die Roller eher Nachteile für die Umwelt», schrieb im Oktober 2021 das Umweltbundesamt. Und vor wenigen Wochen eine Flottenobergrenze für die Sharing-Anbieter.
Die sehen das naturgemäss anders. «Mikromobilität funktioniert in Wegeketten, also in Verbindungen verschiedener Verkehrsmittel, so dass längere Distanzen in Kombination zurückgelegt werden können und ein privater PKW obsolet wird», sagt Schlebusch von der Plattform Shared Mobility.
Sämtliche Angebote nutzbar über eine App
Lassen sich E-Scooter in solche Wegeketten sinnvoll integrieren, so dass sie am Ende tatsächlich einen Beitrag zur Verkehrswende leisten könnten? Aus Sicht vieler Fachleute fehlt dafür bislang in vielen Städten und Gemeinden ein umfassendes Verkehrskonzept.
«In einem solchen Verkehrskonzept muss der öffentliche Nahverkehr die Hauptrolle spielen», sagt Manuela Weber vom Öko-Institut, einem Umweltforschungsinstitut in Berlin. Wichtig sei zudem, dass sämtliche Angebote möglichst über eine App nutzbar seien. Es brauche «Mobilitätsstationen» etwa an Bahnhöfen, wo dann mehrere Verkehrsmittel für die sogenannte letzte Meile sichtbar zur Verfügung stünden. «Dabei muss man immer überlegen, welches Fahrzeug wird durch was ersetzt», sagt Weber.
Der Sharing-Verband selbst verweist auf Kooperationen mit der S-Bahn in Stuttgart oder auf ein Pilotprojekt bei der Hochbahn in Hamburg, wo E-Scooter-Angebote eng verzahnt seien mit dem ÖPNV.
«Vor allem Berlin ist da noch zu nachlässig»
Doch Fachleute bleiben skeptisch. «Für mich ist noch offen, welche Rolle die E-Scooter für die Verkehrswende spielen können», sagt Wulf-Holger Arndt, Verkehrsforscher an der TU Berlin. «Einen sinnvollen Einsatz über Spassmobilität hinaus sehe ich noch nicht.»
Arndt befürwortet strengere Regeln für die Sharing-Anbieter und ihre Nutzerinnen und Nutzer. «Vor allem Berlin ist da noch zu nachlässig.» Folgt man seiner Argumentation, könnten die Städte zumindest dafür sorgen, dass sich der Fahrspass bei den E-Scootern nicht nur auf Fahrerin oder Fahrer beschränkt. Zum Gelingen der Verkehrswende braucht es aber deutlich grössere Anstrengungen.