«Zahlen sind katastrophal»: Tschechien im Corona-Krisenmodus

Tschechien vermeldete am vergangenen Freitag mehr als 10'000 Neuinfektionen mit dem Coronavirus. Dabei galt das Land im Frühling noch als Vorbild.

Betende Gläubige während einer Messe auf dem Altstädter Ring in Prag. Derzeit hat Tschechien mit rasant steigenden Infektionszahlen zu kämpfen. Foto: Petr David Josek/AP/dpa - dpa-infocom GmbH

Das Wichtigste in Kürze

  • Die tschechischen Krankenhäuser könnten bald an ihre Grenzen stossen.
  • Im Land steigen die Corona-Neuinfektionen rasant an.
  • Erst am Freitag vermeldete das Gesundheitsministerium 11'105 Fälle innert 24 Stunden.

Noch vor Kurzem präsentierte sich Tschechien in Sachen Corona-Bekämpfung als Vorbild für andere. Doch nun steigen die Infektionszahlen so rasant wie in kaum einem anderen Land Europas. Die Krankenhäuser könnten schon bald an ihre Grenzen stossen.

Das Feldkrankenhaus der tschechischen Armee war schon in Konfliktgebieten wie dem Irak und Afghanistan im Einsatz.

Es leistete humanitäre Hilfe in der Türkei und in Albanien. Jetzt müssen die Soldaten nur rund 100 Kilometer zurücklegen, um ihren Einsatzort in den Messehallen in Prag zu erreichen.

Mehr als 10'000 Fälle innert 24 Stunden

Tschechien ist im Corona-Krisenmodus. «Der Kampf gegen die Pandemie ist jetzt nicht nur für die Armee die Aufgabe Nummer eins», sagt Verteidigungsminister Lubomir Metnar.

Die Sorge wächst, dass die Krankenhäuser bald mit Covid-19-Patienten überlastet sind. Das Feldlazarett - eine kleine Container-Stadt mit Operationssaal, Intensivstation, eigenem Labor und Röntgengeräten - soll als Reserve dienen. Kaum ein Tag vergeht, ohne dass Rekordzahlen vermeldet werden müssen.

Erst am Freitag wurde mit 11'105 Fällen erstmals die Schwelle von 10'000 Corona-Neuinfektionen binnen 24 Stunden überschritten. Auf die Bevölkerung umgerechnet nimmt Tschechien längst EU-weit einen traurigen Spitzenplatz bei der Infektionsrate ein.

Galt im Frühling noch als Musterland

Am meisten beunruhigt Experten, dass inzwischen fast jeder dritte Test im Land positiv ausfällt. Dabei hatte Ministerpräsident Andrej Babis noch im August auf einer internationalen Konferenz sagen können, Tschechien sei «best in Covid».

Aus dem Musterland, das im März als erstes in Europa eine Maskenpflicht eingeführt hatte, ist nun ein Sorgenkind geworden. «Die Zahlen sind katastrophal», räumt Babis ein. Der Unmut über das Krisenmanagement der Regierung wächst.

Was ist schiefgelaufen, fragen sich nun viele. «Der Fehler ist wahrscheinlich im Sommer geschehen, als die Massnahmen schnell gelockert wurden.» Dies sagt der Epidemiologe Petr Smejkal vom Prager Forschungskrankenhaus IKEM.

Haltung der Menschen hat sich verändert

Die Menschen hätten vergessen, dass das Virus immer noch unter uns ist. Auch die Regierung und verschiedene Experten hätten widersprüchliche Botschaften ausgesendet. Immerhin sei die Kommunikation inzwischen besser geworden.

18.10.2020, Tschechien, Prag: Polizsten und Demonstranten geraten auf dem Altstädter Ring bei Protesten gegen die Corona-Einschränkugen aneinander. - dpa

Verhalten sich viele Tschechen wie Schwejk, der Soldat aus dem Schelmenroman Jaroslav Haseks, der sich immer irgendwie durchmogelt? «Ja, das hängt damit zusammen», meint Smejkal. Was die Akzeptanz der Regeln angehe, habe sich die Haltung der Menschen seit dem Frühjahr geändert.

Das Vertrauen zwischen Regierung und Bevölkerung sei längst nicht so weit entwickelt wie in Deutschland oder Schweden. So kam es am Sonntag in Prag zu Ausschreitungen, als Hunderte Fussball- und Eishockey-Fans gegen die Einschränkungen im Sport protestierten.

Gesundheitspersonal geht ins Ausland

Inzwischen sind Schulen und Gastronomie geschlossen, Sport- und Kulturveranstaltungen ausgesetzt, Treffen von mehr als sechs Personen untersagt. Doch die Corona-Zahlen steigen und steigen. Damit wird der andauernde Personalmangel im Gesundheitswesen zu einem immer grösseren Problem.

«Eine Krankenschwester für die Intensivstation auszubilden, braucht Zeit», sagt Smejkal. Seit Jahren gehen jährlich Hunderte Ärzte, Medizinabsolventen und Pfleger auf der Suche nach höheren Gehältern und besseren Arbeitsbedingungen ins Ausland.

Die Ärztekammer hat an die Auswanderer appelliert, vorübergehend zurückzukehren, um ihren Landsleuten zu helfen. Der Biologe Jaroslav Flegr hat sogar vorgeschlagen, notfalls Veterinärmediziner einzusetzen. Wie ernst die Lage ist, zeigt auch, dass sich die Regierung bereits erkundigt hat, ob Nachbarländer Intensivpatienten aufnehmen könnten.

Zweiter Lockdown nicht ausgeschlossen

Mittlerweile wird selbst ein zweiter harter Lockdown mit Ausgangsbeschränkungen nicht mehr gänzlich ausgeschlossen. Die Entscheidung könnte Anfang November fallen. «Wenn man sich darunter vorstellt, dass alle zu Hause sitzen und nirgendwo hingehen, dann muss das einen wirksamen Effekt haben.» Dies sagte Gesundheitsminister Roman Prymula der Zeitung «Pravo».

Präsident Milos Zeman appellierte in einer Fernsehansprache an die Disziplin der Bevölkerung beim Maskentragen. Das Staatsoberhaupt empfahl den Menschen dabei, auf Fachleute zu hören und nicht auf weit verbreitete Verschwörungstheorien hereinzufallen. Der 76-Jährige sagte: «Uns steht nur eine Waffe zur Verfügung, solange es keine Impfung gibt: Diese Waffe ist ein kleines Stück Stoff.»

In Slowenigen wurde wegen der rasch steigenden Anzahl von Corona-Infektionen erneut ein 30-tägiger Pandemie-Notstand ausgerufen. Dies berichtete die slowenische Nachrichtenagentur STA in der Nacht zum Montag.

Oberstufenschüler wieder im Home-Schooling

Unmittelbare Konsequenzen hat dieser Schritt vorerst keine. Er bildet aber die Grundlage dafür, dass die Behörden auch lokal abgestufte neue Massnahmen und Einschränkungen anordnen können. Ein erster Corona-Notstand war in dem EU-Land vom 12. März bis Ende Mai verhängt worden.

Bereits seit letztem Freitag gilt ein teilweiser Lockdown. In neun von zwölf Regionen Sloweniens dürfen die Bewohner ihre jeweilige Region nicht verlassen. Es gibt allerdings Ausnahmen, wie etwa Fahrten zum Arbeitsplatz.

Ausserdem trat am Montag ein Plan in Kraft, dass Schüler ab der 6. Schulstufe nur noch im Fernunterricht unterrichtet werden.