Barrierefrei? Im ÖV kommen Behinderte oft nicht weiter
Rampen werden falsch gebaut – oder ganz vergessen. Im öffentlichen Raum lässt die Barrierefreiheit noch immer zu wünschen übrig.
Das Wichtigste in Kürze
- Wer von Baden mit dem ÖV in die Rehaklinik Bellikon will, sollte nicht im Rollstuhl sitzen.
- Denn der Zugang zum Bus ist alles andere als barrierefrei.
- Trotz Behindertengleichstellungsgesetz ist das keine Seltenheit.
Eine Postautostation in Baden. Zum Einsteigen betritt der Reisende über einen kleinen Absatz eine Art «Warte-Insel». Von dieser aus geht es dann hinein ins Gefährt.
Wer hier auf den Bus geht, fährt unter anderem zur Rehaklinik Bellikon. Patienten der Klinik sind nicht selten gehbehindert. Sie gehen an Krücken oder sitzen im Rollstuhl.
Zum Postauto kommen? Für Gesunde ein kleiner Tritt. Für Menschen mit Gehbehinderung unmöglich.
Zugang zum ÖV selten barrierefrei
«Dass man nicht selbstständig in den Bus kommt, sind wir uns ja gewohnt. Aber dass ich Hilfe brauche, um an den Bus zu kommen, bei dem ich dann wieder Hilfe brauche, ist zu viel.» Das schreibt ein Patient in den sozialen Medien.
Was fehlt, ist eine kleine Rampe aus Beton. Darüber könnten Rollstuhlfahrer die Warte-Insel problemlos – und vor allem selbstständig – erreichen. Solche Rampen sollten seit 2004 selbstverständlich sein.
Seit fünfzehn Jahren erfordert nämlich das Behindertengleichstellungsgesetz (BehiG) den barrierefreien Zugang zu Arbeit, öffentlichen Gebäuden, Bildung oder dem ÖV. Klingt gut, ist aber kompliziert.
Spezialisten müssen beigezogen werden
«Es kommt immer wieder vor, dass wir ähnliche Beobachtungen machen, wie in oben genanntem Beispiel», erklärt Felix Schärer. Er ist Bereichsleiter am Zentrum für hindernisfreies Bauen.
Ein häufiges Problem: Rampen werden zwar gebaut. Allerdings sind sie zu steil, um von Rollstuhlfahrern benutzt werden zu können. Solche Fehler passieren immer dann, wenn beim Planen und Umsetzen keine Spezialisten – oder direkt Betroffene – hinzugezogen wurden.
Das geschieht trotz BehiG auch heute immer wieder. «Wir kriegen fast täglich Rückmeldungen von Menschen mit Behinderungen, die in ihrem Alltag mit Hindernissen jeglicher Art konfrontiert werden», sagt Silvia Raemy von agile.ch.
Hindernisse beim Arzt
Betroffene berichten von Arztpraxen, die sie im Rollstuhl nicht erreichen konnten. Von Billettautomaten, die Menschen mit Behinderung nicht bedienen können. Auch wer Sport treiben oder kulturelle Angebote nutzen wolle, sei sehr oft eingeschränkt, erklärt Raemy weiter.
Ist das Problem festgestellt, folgt allerdings selten sofort die Behebung. Oft ist nur schon die Abklärung der Zuständigkeit schwierig. Die Postautostation in Baden beispielsweise wird nicht von der Post betrieben. Sie hat keinen Einfluss auf die Bushaltekanten.
Barrierefreiheit wäre nicht schwer
In 300 «eigenbetriebenen Filialen» investiere die Post in den nächsten Jahren rund 40 Millionen Franken. Denn: «Neubauten der Post müssen grundsätzlich hindernisfrei gebaut sein», so die Post auf Anfrage von Nau. Doch wenn weder Post, noch Postauto AG, Eigentümer sind, sei ein Eingreifen nicht möglich.
Das ist schade, denn «meist wäre es nicht so schwer, hindernisfreie Massnahmen umzusetzen. Aber dafür muss zuerst ein Umdenken stattfinden», so Raemy. Und das brauche Zeit.