Coronavirus: Kantone lagern doppelt so viele Dosen wie angenommen
Die Lager der Impfstoffe gegen das Coronavirus sind besser gefüllt, als es die Zahlen vermuten lassen. Das wirft Fragen bezüglich der Impfgeschwindigkeit auf.
Das Wichtigste in Kürze
- Berechnungen zeigen, dass noch rund 750'000 Impfstoff-Dosen in den Kantonen lagern.
- Dabei könnten die Kantone den Impfstoff theoretisch zeitnah verimpfen.
Die Ende März von Bundesrat Alain Berset angekündigten Gross-Lieferungen sind eingetroffen: Im April haben 1,5 Millionen Impfstoff-Dosen gegen das Coronavirus die Schweiz erreicht. In einem Monat hat sich damit die bisher erhaltene Impfstoff-Menge verdoppelt.
Doch Impfdosen nützen nur etwas, wenn sie auch verimpft werden können. Diesbezüglich zeigten sich die Kantone von Anfang an optimistisch: Man habe die Kapazitäten, es mangele nur am Impfstoff, heisst es seit Monaten. Doch einen Monat nach der Impfbeschleunigung zeigt sich: Die Kantone lagern deutlich mehr Impfstoff als eigentlich notwendig.
Mehr Impfdosen ausgeliefert als dargestellt
Vergangenen Sonntag waren gemäss BAG-Zahlen insgesamt rund 3,15 Millionen Impfstoff-Dosen an die Kantone verteilt worden. Demgegenüber standen 2,8 Millionen verimpfte Dosen – rund 350'000 lagerten demnach in den Kantonen.
Doch die Rechnung hat einen Haken: Das BAG verwendet bei der Berechnung der verteilten Dosen nach wie vor die ursprünglich vom Hersteller angegebene Dosen-Anzahl. Bei Pfizer können jedoch regelmässig 6 Personen mit 5 Dosen geimpft werden. Bei Moderna werden aus 10 Hersteller-Dosen 11 Impfungen gegen das Coronavirus.
Spätestens seit Februar werden meist mehr Dosen aus einem Fläschchen gewonnen. Damit können seitdem durchschnittlich rund 15 Prozent mehr Menschen geimpft werden, als es die Statistik der ausgelieferten Impfdosen vermuten lässt. Aus den 3,15 Millionen ausgelieferten Dosen werden so tatsächlich rund 3,55 Dosen.
Mehr Impfstoff verfügbar als ausgewiesen
Die Zahl der Impfdosen, die noch auf Lager sind, ist also nicht so leicht aus der BAG-Statistik ersichtlich. Dies lässt sich am Beispiel Basel aufzeigen: Die BAG-Statistik wies dort für letzten Sonntag theoretisch 12'000 Dosen auf Lager aus – das wären 15 Prozent aller erhaltenen Dosen.
«Wir haben im Moment 25 Prozent der erhaltenen Impfdosen noch nicht verimpft», erklärt Anne Tschudin, Sprecherin der Gesundheitsdirektion Basel-Stadt. Damit bestätigt sich, dass die Zahl der tatsächlich verwendbaren Dosen rund 15 Prozent höher ist als vom BAG angegeben.
Hohe Lagerbestände in den Kantonen
Die gute Nachricht ist also, dass mehr Impfstoff gegen das Coronavirus verfügbar ist, als die offiziellen Zahlen suggerieren. Doch die bereinigte Statistik wirft auch Fragen auf: Es lagern nämlich noch deutlich mehr Impfdosen in den Kantonen als vermutet.
Schweizweit wurden demnach erst 79 Prozent der ausgelieferten Impfstoff-Dosen verimpft. Rund 750'000 Dosen lagerten zuletzt schweizweit unverimpft in den Kantonen.
Spätestens seit März ist bekannt, dass in den kommenden Monaten immer mehr Impfstoff verfügbar sein wird: Von 1,5 Millionen Dosen im April soll sich die Menge im Mai auf 3 Millionen zusätzliche Dosen (gemäss Herstellerangaben) steigern. Das BAG beschloss daraufhin vor drei Wochen, dass die Kantone keine Rückstellungen für die zweite Dosis machen müssen.
Doch als einziger Kanton gelingt es bisher Genf, praktisch sämtlichen Impfstoff zeitnah zu verimpfen. Gemäss Berechnung lag der Anteil der verimpften Dosen dort zuletzt bei praktisch einhundert Prozent.
In Basel gesteht man ein, dass die Lagerbestände tiefer sein sollten. Ein kleines Sicherheitspolster sei aufgrund möglicher Lieferausfälle gerechtfertigt, erklärt Sprecherin Tschudin: «Wir möchten eine kleine Reserve für Zweitimpfungen behalten, jedoch nicht mehr in Höhe der oben genannten 25 Prozent.»
Zürich sitzt auf fast 200'000 Impfdosen
In Zürich reagiert man ausweichend. Im einwohnerreichsten Kanton lagerten zuletzt gemäss Berechnung fast 190'000 Impfdosen: Erst 68 Prozent der fast 600'000 Dosen, die der Kanton erhielt, wurden verabreicht.
Auf Anfrage bestätigt Patrick Borer, Sprecher der Zürcher Gesundheitsdirektion, den Erfolg der Impfkampagne: Man habe seit Mitte April die Rückstellungen für die Zweitimpfung aufgelöst. Ähnlich wie in Basel wolle man zwei Tageskontingente als Sicherheitsreserve behalten – das wären beim aktuellen Impftempo rund 30'000 Dosen.
Ob die Lagerbestände mit der jüngst in Zürich beschlossenen Impfung für alle Erwachsenen sinken, werden die kommenden Wochen zeigen.