Justiz bestraft Drogendealer härter als Vergewaltiger

Vergewaltigung führt in der Schweiz selten zu mehr als drei Jahren Haft – Drogenbesitz zu deutlich mehr. Wieso bleiben die Urteile bei Sexualverbrechen so mild?

Gerichtsurteile fallen bei Vergewaltigungen häufig deutlich tiefer aus als bei Delikten wie dem Besitz von Drogen. (Symbolbild) - keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Die meisten der 2023 verurteilten Vergewaltiger dürften 2026 frei sein.
  • Bei Kokainbesitz fallen die Gefängnisstrafen laut Richtlinien deutlich höher aus.
  • Lange vermutete man, die milden Strafen bei Sexualdelikten lägen an einer Männerjustiz.
  • Es gibt jedoch bis heute, auch mit mehr Richterinnen und Anwältinnen, keine Besserung.

Höchstens drei Jahre Gefängnis: Das sei bei den meisten Verurteilungen wegen Vergewaltigung zu erwarten, berichtet die «Sonntagszeitung». Und das, obwohl Strafen von bis zu 10 Jahren verhängt werden dürften.

Doch selbst bei brutalsten sexuellen Übergriffen mit schweren Verletzungen fallen die Urteile meist deutlich unter dieser Limite aus. Bei weniger schweren Fällen wird häufig gar nur eine bedingte oder teilbedingte Gefängnisstrafe ausgesprochen. Dies traf 2023 auf fast die Hälfte der Urteile wegen Vergewaltigung zu.

Zum Vergleich: die Strafen bei Kokaindealern

Damit sind die Urteile häufig milder als bei Drogendealern. So wird man bei Besitz von drei Kilogramm Kokain mit fünf Jahren Haft bestraft. Wird man mit elf Kilogramm erwischt, so drohen acht Jahre Gefängnis. Dies laut einer Tabelle des Kommentars zum Betäubungsmittelgesetz.

Dabei wurde die Gesellschaft in den letzten Jahren eigentlich im Bereich sexueller Missbräuche stark sensiblisiert. Dies insbesondere aufgrund von zahlreichen Hollywood-Enthüllungen.

Ist die Männerjustiz schuld?

Lange hatte man sich erhofft, die mild ausfallenden Strafen für Vergewaltiger durch mehr weibliche Richterinnen korrigieren zu können. Feministinnen gingen davon aus, dass die Männerjustiz Frauen in Sexualdelikten unfair behandle – Stichwort «Victim-Blaming». So sei eine Vergewaltigung meist wie ein Kavaliersdelikt behandelt worden und Täter häufig lediglich mit einer «Verwarnung» davongekommen.

Doch auch als die Frauenquote in Strafverfolgungsbehörden stieg, änderte sich kaum etwas. Noch immer berichten Opfer, von der Justiz nicht ernst genommen zu werden. Und noch immer fallen die Strafen vergleichsweise milde aus.

So berichtet eine junge Frau, sie habe sich im Gerichtssaal «nicht als Opfer, sondern als Täterin» behandelt gefühlt. Und das, obwohl sie mit gerade einmal 14 Jahren von einem Mann mehrfach ausgenutzt wurde.

In einem anderen aktuellen Fall wurde die von der Staatsanwältin verlangte Strafe vom Gericht sogar als ungenügend erachtet. Der Täter wurde daraufhin zu einer längeren Freiheitsstrafe verurteilt.

«Frauen sind verständnisvoller» – auch bei Vergewaltigung

Die Vereinigung der Schweizer Richterinnen und Richter will sich gegenüber der Zeitung nicht äussern.

Daniel Jositsch, Strafrechtsprofessor und SP-Ständerat, erklärt sich die mangelnde Veränderung wie folgt: «Frauen sind grundsätzlich verständnisvoller Tätern gegenüber.» Somit würden sie auch weniger harte Strafen verhängen.

Umfrage

Kennst du dich mit dem Schweizer Justizsystem gut aus?

Ja
28%
Nein
72%

Das Problem sei nicht zwingend die Männerjustiz. Denn die angewandten Kriterien in den Prozessen seien für Richter und Richterinnen gleich, so Jositsch. Er habe nie verstanden, «wieso die Leute denken, Frauen und Männer würden eine Vergewaltigung unterschiedlich beurteilen».

Das Hauptproblem sei häufig, dass es sich um Vieraugendelikte handle. Heisst: Es gibt keine Zeugen und es steht Aussage gegen Aussage.