Rollstuhlfahrer darf wegen Assi-Eltern nicht Tram fahren

Unschöne Szene in einem Berner Tram: Ein Paar mit Kinderwagen nimmt beim Einsteigen einem Rollstuhlfahrer den Vortritt. Dieser hat dann keinen Platz mehr.

Eine Leserin aus Bern beobachtete vor Kurzem einen Vorfall in einem Berner Tram, der sie sprachlos machte. (Symbolbild) - Bernmobil

Das Wichtigste in Kürze

  • Eine Nau.ch-Leserin beobachtet in einem gut gefüllten Tram in Bern eine unschöne Szene.
  • Ein Paar mit Kinderwagen nimmt einem Rollstuhlfahrer den Vortritt.
  • Da beim Eingang bereits vorher zwei Kinderwagen standen, hat der Mann dann zu wenig Platz.
  • Der Chauffeur bittet ihn, wieder auszusteigen, da er die Rampe so nicht runterlassen kann.

«Das hat mich sprachlos und hässig gemacht», sagt Leserin Martina Pulver* zu Nau.ch über das, was sie vor Kurzem in einem Bernmobil-Tram in Bern erlebt hat.

Was ist passiert?

Als sie kurz vor 17 Uhr in Richtung Worb unterwegs ist, hält das Tram wie üblich bei der Haltestelle Zytglogge an. Dort wollen unter anderem ein Paar mit Kinderwagen und ein Rollstuhlfahrer einsteigen.

«Das Tram war bereits sehr voll. An der Tür des Rollstuhleingangs auf der freien Fläche am Fenster standen zwei Kinderwagen.» Genau dort will nebst dem Rollstuhlfahrer nun zusätzlich das weitere Paar mit Kinderwagen einsteigen.

Paar mit Kinderwagen nimmt Rollstuhlfahrer den Vortritt

In diesem Moment sei der Tramchauffeur erschienen und habe dem Paar erklärt, dass sie sich gedulden müssten. Er müsse zunächst die Rollstuhlrampe ausklappen.

Den beiden offenbar egal.

«Über die ausgeklappte Rampe stieg das Paar zuerst ein – vor dem Rollstuhlfahrer! Und blockierte so den letzten freien Raum an diesem Türeingang», nervt sich Pulver.

«Auf einen Hinweis des Chauffeurs, sie mögen doch bitte Platz machen, taten sie dies dann.» Als dann der Rollstuhlfahrer ins Tram einsteigt, kann er sich wegen des Platzmangels aber nicht parallel zum Fenster platzieren. Aus diesem Grund habe sich die Rollstuhlrampe nicht mehr verstauen lassen.

Die Folge: «Der Chauffeur bat den Rollstuhlfahrer, das Tram zu verlassen. Alle Kinderwagen durften aber drin bleiben!», erzählt Martina Pulver hässig.

Dabei habe es sich um ein Tram mit mehreren niedrigen Einstiegen ohne Stufen gehandelt. Für die Passagiere mit Kinderwagen wäre es also ihr zufolge kein Problem gewesen, auszusteigen und an einer anderen Türe wieder einzusteigen.

«Verhalten ist bedauerlich»

«Das Verhalten des Paars mit dem Kinderwagen, das dem Rollstuhlfahrer den Vortritt nimmt, ist bedauerlich», sagt Bernmobil-Sprecher Rolf Meyer auf Anfrage von Nau.ch.

«Grundsätzlich erwarten wir, dass die Fahrgäste gegenseitig Rücksicht nehmen und einander Platz machen, insbesondere für Menschen mit eingeschränkter Mobilität.»

Bernmobil habe eine Transportpflicht: Alle Fahrgäste, die ein gültiges Ticket aufweisen, haben also das Recht, mit einer fahrplanmässigen Fahrt transportiert zu werden.

«Dabei gibt es keinen Vorrang, das heisst: Alle Fahrgäste sind gleichgestellt.» Es sei nicht am Chauffeur, zu entscheiden, wer aussteigen muss.

«Somit verstiess er gegen keine Regel, wenn er den Rollstuhlfahrer, der zuletzt einstieg und offenbar keinen Platz mehr fand, wieder aussteigen liess.»

«Freiwilliges Platzmachen scheint zunehmend ein Fremdwort zu werden»

Meyer hält aber fest: «Sicherlich wäre es wünschenswert gewesen, wenn in diesem Fall der Rollstuhlfahrer Vorrang genossen hätte.» Schliesslich weise er eine grössere Einschränkung in seiner Mobilität auf als die Fahrgäste mit Kinderwagen. Die Trambetreiberin appelliere hier stets an den gegenseitigen Respekt der Fahrgäste.

Umfrage

Machst du im ÖV Platz, wenn jemand mit einem Rollstuhl einsteigen will?

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Es hätte sicher genügend Platz gehabt, wenn die Leute etwas enger zusammengerückt wären. «Dann sind eben alle Fahrgäste gefragt, noch etwas enger zusammenzustehen. Das geht in einem Tram immer.»

Viele Leute würden aber die Umgebung nicht mehr wahrnehmen. Weil sie zum Beispiel Kopfhörer tragen oder mit dem Handy beschäftigt seien. Meyer beobachte dies etwa beim Aussteigen. «Freiwilliges Platzmachen scheint zunehmend ein Fremdwort zu werden.»

*Name von der Redaktion geändert