Zürich: Behinderten-Betreuerin wegen fahrlässiger Tötung verurteilt

Das Zürcher Obergericht hat die 59-jährige Behinderten-Betreuerin wegen fahrlässiger Tötung zu einer bedingten Geldstrafe verurteilt.

Blick auf das Zürcher Obergericht. - Keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Die Frau hatte in einem Heim einen behinderten Mann beim Baden ungenügend überwacht.
  • Dabei war der 30-Jährige ertrunken.
  • Nun muss sie eine Geldstrafe von 260 Tagessätze zu 30 Franken leisten.

Das Zürcher Obergericht hat am Montag eine 59-jährige Frau der fahrlässigen Tötung schuldig gesprochen. Es verhängte eine bedingte Geldstrafe. Die Frau hatte als Betreuerin in einem Heim einen behinderten Mann beim Baden ungenügend überwacht. Der 30-Jährige ertrank.

Mit seinem Urteil bestätigte das Obergericht vollumfänglich das Urteil des Bezirksgerichts Hinwil ZH vom November 2019. Die Geldstrafe beträgt 260 Tagessätze zu 30 Franken. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Der Verteidiger hatte einen vollumfänglichen Freispruch gefordert.

Dem Vater des Verunfallten muss die Beschuldigte Schadenersatz von rund 10'000 Franken entrichten. Beiden Eltern sprach das Gericht Genugtuungen von je 35'000 Franken zu. Zudem muss sie die Verfahrenskosten tragen.

Vorfall ereignete sich Anfang August 2017

Zum tragischen Vorfall kam es an einem Samstagabend Anfang August 2017 in einem Behindertenheim im Zürcher Oberland. Ausnahmsweise verbrachte der 30-Jährige das Wochenende im Heim statt bei Mutter oder Vater, die beide ausgerechnet an jenem Wochenende nicht verfügbar waren.

Die Betreuerin arbeitete damals gerade erst einen Monat in der Institution. An jenem Abend war sie allein mit zwei Bewohnern und einem rollstuhlabhängigen Besucher. Nach dem Abendessen wünschte der 30-Jährige, ein Bad zu nehmen.

Aufgrund seiner Behinderungen entsprach sein Entwicklungsstand etwa dem eines drei- oder vierjährigen Kindes. Zudem war er Epileptiker. Aus diesen Gründen musste eine lückenlose Beaufsichtigung sichergestellt sein, was die Betreuerin wusste.

Weil die beiden anderen zufrieden vor dem Fernseher sassen und Trickfilme schauten, erachtete die Beschuldigte es als möglich, den Badewunsch zu erfüllen. Während der Mann im Wasser sass und spielte, sass sie auf einem Stuhl jenseits der leicht geöffneten Tür und beobachtete ihn von schräg hinten, wie sie vor Gericht ausführte.

Position ausserhalb des Badezimmers war Vorschrift

Die Position ausserhalb des Badezimmers war Vorschrift im Team. Sie sei damit zwar nicht einverstanden gewesen, habe sich aber daran gehalten, sagte sie. Bewusst habe sie kein Buch, keinen Laptop oder dergleichen mitgenommen, damit sie die volle Aufmerksamkeit dem Badenden habe zuwenden können.

Nach etwa zehn Minuten habe sie den Badenden zum Aussteigen aufgefordert, er habe aber noch im Wasser bleiben wollen. Sie habe ihm noch ein Weilchen zugestanden und sei auf ihren Stuhl zurückgekehrt. Und wie zuvor habe sie ihn plantschen und plaudern gehört.

Was dann geschah, ist unklar. Auf einmal habe sie nichts mehr gehört. Als sie nachgeschaut habe, sei der 30-Jährige reglos unter Wasser gelegen. Das Zürcher Institut für Rechtsmedizin stellte fest, dass der Mann ertrunken war, möglicherweise habe er einen epileptischen Anfall erlitten. Das Ganze habe wohl etwa drei bis fünf Minuten gedauert.

«Kann mir nicht erklären, wie das passieren konnte»

Sie sei nie weggegangen von ihrem Beobachtungsposten, beteuerte die Beschuldigte. «Ich kann mir nicht erklären, wie das passieren konnte.» Sie habe alles Mögliche getan, um keine Ablenkung zu haben.

Auch für das Gericht blieb offen, weshalb die Beschuldigte den Vorfall nicht bemerkt hatte - klar sei aber: Sie habe es nicht bemerkt und der ihr anvertraute Heimbewohner sei ertrunken. Es habe zu ihren Pflichten gehört, ihn zu überwachen. Sie habe ihre Sorgfaltspflicht verletzt, was zum Ertrinkungstod des jungen Mannes geführt habe.

Auch das Gericht sei von dem Fall «ergriffen», sagte der vorsitzende Richter. Das Vorgefallene sei von «erschütternder Tragik» für die Familie des Verstorbenen. Aber «auch die Beschuldigte hat schwer zu leiden darunter». Seit dem Unglück ist die Frau arbeitslos und benötigt psychiatrische Behandlung.