Adrian Wüthrich äussert sich zur AHV- und Steuervorlage

Die neue AHV- und Steuervorlage bewegt die Schweiz. Am 19. Mai entscheidet das Volk. Ein Kommentar von SP-Nationalrat Adrian Wüthrich.

Nationalrat Adrian Wüthrich, SP BE, Präsident Travail.Suisse - zvg

Das Wichtigste in Kürze

  • Am 19. Mai findet die Abstimmung zur AHV-Finanzierung und Steuerreform statt.
  • Schweizer Politiker äussern sich in der Rubrik «Stimmen der Schweiz» dazu.

Travail.Suisse, der unabhängige Dachverband der Arbeitnehmenden, hat die Unternehmens-steuerreform III bekämpft. Die neue Vorlage enthält den geforderten sozialen Ausgleich in Form einer substantiellen AHV-Zusatzfinanzierung. Die AHV-Steuervorlage bringt so ab 2020 pro Jahr rund zwei Milliarden Franken Mehreinnahmen und stabilisiert in den nächsten Jahren die AHV-Finanzen. Für die Arbeitnehmenden bedeutet dies zwar eine leichte Erhöhung der Lohnbeiträge, unter dem Strich profitieren die tieferen Einkommen. Travail.Suisse unterstützt deshalb den Kompromiss, der für zwei wichtige Probleme der Schweiz eine Lösung bringt.

Sozial und Solidarisch

Am 19. Mai stimmen wir mit der AHV-Steuervorlage auch darüber ab, ob die AHV gut zwei Milliarden Franken Mehreinnahmen erhalten soll. Das Betriebsergebnis 2018 der AHV hat gezeigt, dass sie es dringend nötig hat. Zu dieser Dringlichkeit hat unter anderem die Ablehnung der Altersvorsorge 2020 im September 2017 beigetragen. Die ständerätliche Wirtschaftskommission hat diesen Fakt bei der Beratung der Unternehmenssteuerreform eingebaut und den Grundsatz gefällt, der schliesslich zum mehrheitsfähigen Kompromiss wurde: Der Betrag, den die Umsetzung der Unternehmenssteuerreform den Staat kostet, soll die AHV als Zusatzfinanzierung erhalten.

Mit einer Verbesserung der Unternehmenssteuervorlage durch die Streichung umstrittener neuer Steuerpraktiken und der Beschränkung der Steuerausfälle wurde so der in der Abstimmung – auch von Travail.Suisse – geforderte soziale Ausgleich eingebaut. Nicht die Erhöhung der Kinderzulagen oder der vierwöchige Vaterschaftsurlaub wurden eingebaut, sondern mit der AHV-Zusatzfinanzierung jene Sozialversicherung, die Garantin ist für ein Altersrente fast aller Bürgerinnen und Bürger der Schweiz. Es darf damit von einer sozialen und solidarischen Lösung gesprochen werden.

Alle müssen ein Interesse haben, dass die AHV auch in Zukunft ausreichend finanziert ist, um künftigen Generationen eine Rente zahlen zu können, unabhängig von der Grösse ihrer Jahrgänge. Die AHV ist also der richtige Ort für den sozialen Ausgleich.

Man kann sagen, dass die Politik aus dem Nein zur Unternehmenssteuerreform III etwas gelernt hat: Einseitige Steuervorlagen sind nicht mehrheitsfähig. Aus dieser Lehre ist mit der AHV-Steuervorlage der Kompromiss entstanden.

Zielgerichtete Massnahmen

Die AHV-Steuervorlage sieht im Bereich der AHV drei Massnahmen vor:

1. Erhöhung des AHV-Beitragssatzes um 0,3 Prozentpunkte, paritätisch verteilt auf je 0,15% für Arbeitnehmende und Arbeitgeber: Bereits ab 2020 ergibt dies zusätzliche Einnahmen für die AHV von rund 1,2 Milliarden Franken.

2. Zuweisung des gesamten Demografieprozent der Mehrwertsteuer an die AHV: 17% dieses «Demografieprozents», das seit 1999 erhoben wird, fliessen heute nicht direkt in die AHV, sondern an den Bund, der damit seinen Beitrag an die Ausgaben der AHV finanziert. Im Jahr 2020 bringt diese Neuzuweisung Mehreinnahmen für die AHV in Höhe von rund 520 Millionen Franken.

3. Erhöhung des Bundesbeitrags an die AHV von 19,55% auf 20,2% der Ausgaben der AHV: Im Jahr 2020 führt diese Massnahme zu Mehreinnahmen für die AHV in Höhe von rund 300 Millionen Franken.

Diese Massnahmen ergeben Mehreinnahmen von über zwei Milliarden Franken an die AHV. Sie sind aber noch mehr wert: Gemäss aktuellsten finanziellen Perspektiven des Bundesamtes für Sozialversicherungen wird der AHV-Fonds Anfang 2031 leer sein.

Das Gesetz besagt aber, dass der AHV-Fonds als Reserve rund eine Jahresausgabe enthalten sollte. Letztes Jahr wären das etwa 44 Milliarden Franken gewesen. Diese Reserve wird durch Compenswiss als Verwalter des AHV-Fonds aktiv und professionell bewirtschaftet. In guten Jahren kann aus dieser Reserve ein Gewinn von zwei Milliarden Franken erwirtschaftet werden (technisch als Anlageresultat bezeichnet). Im guten Börsenjahr 2017 war dies der Fall, 2018 gab’s ein Verlust. Aus den zwei Milliarden können als auch gut vier Milliarden werden. Insgesamt ergibt sich aus der Reserve ein Gewinn, der als Zusatzeinnahme hochwillkommen ist und der nicht möglich ist, wenn der AHV-Fonds leer ist. Seit ein paar Monaten verkauft der AHV-Fonds monatlich Anlagen im Wert von über 100 Millionen Franken, um die geforderten Mittel zur Zahlung der Renten bereitstellen zu können.

Die Zusatzfinanzierung ist dringend nötig. Sie deckt rund 40 Prozent der Mehrausgaben bedingt durch die grossen Jahrgänge der Babyboomer-Generation (30 von rund 53 Milliarden Franken).

Als Vertretung der Arbeitnehmenden sagen wir auch überzeugt Ja zur minimalen Erhöhung der Lohnprozente. Sie sind seit 1975 nicht mehr angepasst worden. Dies ist umso erwähnenswerter, als dass im Umlageverfahren die Aktiven das Geld erwirtschaften zur Zahlung der Renten der Pensionierten und die Zahl der Aktiven pro Person in AHV immer kleiner wird. Die 0,15 Lohnprozente machen pro 1‘000 Franken Lohn im Monat 1.50 Franken aus. Dazu kommt, dass die Finanzierung der Zusatzeinnahmen sozial verträglich ist: Die Lohnprozente werden auch von denjenigen mit hohen Löhnen bezahlt, die Renten allerdings sind gedeckelt. Zudem werden die Bundessteuern auch von den höheren Einkommen bezahlt. So erhalten rund 93 Prozent der Leute mehr als sie einzahlen oder anders: Wer mehr verdient, zahlt auch mehr.

JA zur Stabilisierung

Mit einem Ja zur AHV-Steuervorlage werden nicht alle Probleme der AHV gelöst sein. Es wird eine weitere Reform brauchen. Der Bundesrat hat mit der Vorlage „Stabilisierung der AHV (AHV21)“ bereits einen Vorschlag in die Vernehmlassung geschickt und für den Erhalt der Rentenhöhe, eine Mehrwertsteuererhöhung von 1,5 Prozent vorgeschlagen.

Mit einem Ja zur AHV-Steuervorlage würde die Mehrwertsteuererhöhung nicht so hoch ausfallen. Der Bundesrat geht in diesem Fall von 0,7 Prozent aus. Travail.Suisse erachtet aber einen höheren Prozentsatz als notwendig. Das AHV-Frauenrentenalter soll bei 64 Jahren behalten bleiben, solange die Lohngleichheit nicht gewährleistet ist.

Während ein Ja zur AHV-Steuervorlage die AHV im letzten Moment vor einer Schuldenspirale bewahren kann, führt ein Nein unmittelbar zu Problemen. Die Politik würde getrieben durch schnell anwachsende Schuldenberge nicht nur über eine Zusatzfinanzierung diskutieren, sondern sofort über die Leistungen und andere Parameter der AHV. Rentensenkungen, Rentenalter-Erhöhungen und die Abschaffung des Mischindexes (mit dem die Renten an die Teuerung und die Lohnentwicklung angepasst wer-den) kämen zusammen mit einer starken Mehrwertsteuererhöhung aufs Tapet.

Ein Ja zum vorliegenden Kompromiss bringt der AHV die mittelfristige Stabilität und verdient die Unterstützung aller bei der Abstimmung vom 19. Mai!