Wieso es fragwürdig ist, Primaten Grundrechte zu geben
Die Veterinärmedizinerin Dr. Maike Heimann hinterfragt in ihrem Gastbeitrag die Argumente von «Sentience Politics» und schreibt über mögliche Konsequenzen.
Das Wichtigste in Kürze
- Basel-Stadt stimmt voraussichtlich im Herbst 2021 über Grundrechte für Primaten ab.
- Dr. med. vet. Maike Heimann ist Veterinärmedizinerin.
- Sie ist Präsidentin der Schweizer Vereinigung Tierärzte in Industrie und Forschung SAVIR.
- Im Gastbeitrag schreibt sie, wieso die Initiative nur schadet.
Brauchen Primaten Grundrechte? Eine kantonale Initiative, lanciert von der Organisation Sentience Politics, fordert genau das.
Die klare Antwort auf diese Frage könnte einfach «Nein, denn es sind keine Menschen!» lauten, aber es lohnt sich, die Fragestellung und die Argumentationen der Initianten gründlicher zu durchleuchten.
Nichtmenschlichen Primaten über anderen Tierarten gestellt
Die Initiative begründet ihr Ansinnen mit gleichen Interessen von nichtmenschlichem Primat und Mensch in Bezug auf Erhalt ihres Lebens, körperlicher und geistiger Unversehrtheit; «gleiche Interessen sollten gleichermassen berücksichtigt und geschützt werden, unabhängig von der Artzugehörigkeit eines Individuums».
Die Initianten bringen damit nichts anderes vor als den bereits bekannten Speziesismus-Vorwurf des australischen Philosophen Peter Singer. Nach Peter Singer resultieren gewisse Rechte nicht aus der Tatsache, einer bestimmten Spezies zugehörig zu sein. Der Mensch habe aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Spezies Mensch nach Singer keine Sonderstellung, stehe nicht über den Tieren. Demnach wäre es nach Singer moralisch nicht zulässig, Tiere zum Beispiel als Nahrungsquelle, als Haustier oder als Versuchstier zu nutzen.
In dieser Art argumentieren auch die Initianten, die eine willkürlich gezogene Linie zwischen nichtmenschlichem Primat und Mensch bei der Vergabe von Rechten vermuten. Aber ziehen sie selbst dann nicht genauso willkürlich eine Grenze zwischen Primaten und anderen Tieren? Auch von anderen Tieren ist bekannt, dass sie leidensfähig sind, dass sie intelligente und empfindungsfähige Wesen sind, dass sie über soziale Intelligenz verfügen, indem sie trauern können und empathisches Verhalten zeigen.
Übrigens: die Erkenntnis, dass das so ist, wurde zum Teil auch durch Tierversuche gewonnen, aber dazu später. Warum werden also hier die nichtmenschlichen Primaten über die anderen Tierarten gestellt? Warum werden überhaupt alle nichtmenschlichen Primaten in einen Topf geworfen?
Zur Gruppe der Primaten zählen die unterschiedlichsten Tierarten, vom etwa mausgrossen Maki bis zum Orang-Utan – Tierarten, die sich sehr wohl z.B. in ihrer Intelligenz und ihrem Sozialverhalten nicht nur deutlich vom Menschen, sondern auch deutlich voneinander unterscheiden.
Vorwurf der Diskriminierung
Gemäss dem Initiativtext dränge sich die Ausweitung des grundrechtlichen Schutzes auf nichtmenschliche Primaten in Anbetracht «des moralischen Fortschrittes in Richtung einer diskriminierungsfreien Gesellschaft» auf. Haben wir es also mit Rassismus und Diskriminierung zu tun?
Es wird unter anderem der Vergleich zu Sklaverei und Erwerb des Frauenwahlrechts gezogen; ein absurder Vergleich, zumal an anderer Stelle behauptet wird, es würden nur bestimmte Rechte für nichtmenschliche Primaten gefordert, aber nicht Menschenrechte. Wirklich? Wieso wird mit Menschenrechten argumentiert (das Verbot der Sklaverei ist zum Beispiel eines gemäss der Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen), an anderer Stelle aber verneint, dass Primaten Menschenrechte zugesprochen werden sollen?
Konsequenzen in Basel
Was aber hat die Forderung nach dem Grundrecht auf Leben und auf geistige und körperliche Unversehrtheit für nicht-menschliche Primaten praktisch für Konsequenzen in Basel? Um die Frage zu beantworten, muss man zuerst einmal wissen, dass es in Basel keine Primaten in der akademischen und industriellen Forschung mehr gibt – betreffende Tiere finden sich nur noch im Zoo Basel.
Angenommen, einer der dort lebenden Orang-Utans würde unheilbar krank werden – dürfte sein Leiden durch eine/n behandelnden Tierarzt/Tierärztin vorzeitig beendet werden? Oder müsste er qualvoll sterben, weil er ja ein Grundrecht auf Leben hat, aber selbst nicht einer Euthanasie zustimmen kann? Welchen Nutzen haben dann für ihn die ihm zugesprochenen Grundrechte?
Initianten zielen vermutlich auf Tierversuche
Die Initianten zielen aber vermutlich weniger auf die Affen im Zoo, als auf die wenigen nicht-menschlichen Primaten, die in der Schweiz (aber eben nicht in Basel) in Tierversuchen eingesetzt werden. Der Text enthält diverse Unterstellungen und Unwahrheiten. Die Schweizer Tierschutzgesetzgebung schützt sehr wohl die Rechte und Belange von Tieren; die Vorgaben sind nach wie vor strenger als in anderen (auch europäischen) Ländern.
Tierversuche werden regelmässig unangekündigt kontrolliert. Überhaupt muss man sich bewusstmachen, dass Tierversuche eigentlich in der Schweiz verboten sind – erst die von den Behörden ausgestellte Tierversuchsbewilligung erlaubt, Tiere in Versuchen einzusetzen. Ohne diese Bewilligung darf also kein Tierversuch durchgeführt werden.
Im Antrag dazu muss sehr detailliert erklärt werden, was mit den Tieren warum passiert und welche Belastungen dies für die eingesetzten Tiere bedeutet. Ob ein Versuch ethisch vertretbar und aus wissenschaftlicher Sicht notwendig ist, ist dabei immer eine Einzelfallentscheidung unabhängig davon, ob ein Versuch belastend für das Tier ist oder überhaupt nicht.
Geprüft wird dies von den Veterinärämtern sowie von kantonalen Tierversuchskommissionen, die sich aus Forschenden und Mitgliedern von Tierschutzverbänden zusammensetzen. Es ist also keinesfalls so, dass Forscher und Forscherinnen unbegrenzte Befugnisse über ihre Versuchstiere haben, wie die Initianten behaupten. Die Schweizer Tierschutzgesetzgebung setzt klare Regeln und dient dem Schutz der Tiere.
Forschung fände in Ländern mit weniger hohen Tierschutzstandards statt
Im Jahr 2019 wurden gemäss Statistik des Bundesamts für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen 234 Primaten für Versuche in der Schweiz eingesetzt. Keine davon aber in Basel. Warum dann diese Initiative? Dahinter steckt der Versuch, bei einem etwaigen Erfolg an der Basler Wahlurne ähnliches in anderen Kantonen zu versuchen. Bei einem Erfolg dieser Salamitaktik würden dann Primatenversuche in der Schweiz nicht mehr möglich.
Was wäre die Folge? Primaten werden z.B. in der neurologischen Forschung eingesetzt, beispielsweise bei der Erforschung derzeit noch unheilbarer Erkrankungen wie Parkinson. Darunter leidende Patienten könnten fortan nicht mehr auf eine Verbesserung ihrer Behandlung und ihrer Heilungschancen durch die Forschung in der Schweiz hoffen. Diese fände dann ausserhalb der Schweiz statt, in anderen Ländern unter weniger hohem Tierschutzstandard. Aus Sicht des Tierschutzes ein fragwürdiger Erfolg. Und ein weiterer Grund, diese Initiative keinesfalls zu unterstützen.
Was die Primaten im Zoo betrifft - die verantwortungsvolle tierärztliche Versorgung dieser Tiere wäre auch nicht mehr möglich. Diese Initiative hilft ihnen nicht, sie schadet ihnen.