Coronavirus bei Tönnies: Auch Schweizer Schlachthöfe in der Kritik
In einem deutschen Schlachthof ist das Coronavirus ausgebrochen. Jetzt stehen auch Schweizer Betriebe in der Kritik.
Das Wichtigste in Kürze
- Im Schlachthof von Tönnis ist das Coronavirus ausgebrochen.
- In Deutschland stehen Arbeitsbedingungen und Tierhaltung in der Kritik.
- Auch Schweizer Schlachthöfe müssen Kritik einstecken.
Der Fall Tönnis sorgt weit über die deutschen Grenzen hinaus für Schlagzeilen. Der Schlachtbetrieb verzeichnet einen massiven Corona-Ausbruch: Über 1300 Mitarbeiter wurden positiv auf das Virus getestet.
Im Landkreis Gütersloh kommt es darum zu einem erneuten Lockdown. Ein riesiger volkswirtschaftlicher Schaden für die ganze Region. Der Fleischkonzern muss mit rechtlichen Schritten rechnen, die Fabrik wurde für zwei Wochen geschlossen.
Der Fall wirft ein schlechtes Licht auf die deutsche Fleischwirtschaft. Nicht nur, weil die Corona-Schutzmassnahmen nicht eingehalten wurden.
Die Firma hat zu Tiefstlöhnen Mitarbeiter über Subunternehmen angestellt. Viele stammen aus Osteuropa und leben in Massenunterkünften. Und das Wohl der Tiere bleibt auf der Strecke. Agrarministerin Julia Klöckner liebäugelt darum mit einer künftigen Tierwohl-Abgabe.
«Arbeitsbedingungen sind prekär»
Und wie sieht die Lage in der Schweiz aus? Immerhin ist Fleisch bei uns deutlich teurer als in Deutschland. Kunden erwarten damit bessere Arbeitsbedingungen und mehr Tierwohl.
Doch: «Die Arbeitsbedingungen in Schlachthöfen sind auch in der Schweiz prekär», sagt Philipp Zimmerman, Sprecher der Gewerkschaft Unia.
Oft würde das Arbeitsgesetz nicht eingehalten. Etwa durch kurzfristige Einsatzplanung oder – in Corona-Zeiten besonders problematisch – fehlende Gesundheitsschutz-Massnahmen.
Ob die Covid-Schutzbestimmungen eingehalten werden, überprüften die Kantone. «Aufgrund der Erfahrungen in anderen Ländern sollten Schlachthöfe auf jeden Fall kontrolliert werden», sagt Zimmermann.
Viele Mitarbeiter aus Osteuropa
Auch hierzulande arbeiten viele Temporäre, oft handelt es sich um Migranten. «Diese erhalten häufig tiefe Löhne, weil sie keinen Berufsabschluss haben oder dieser nicht anerkannt wird.»
Die Zustände auf Schweizer Schlachthöfen kennt auch die Tierrechtsorganisation Tier im Fokus. Deren Präsident Tobias Sennhauser bestätigt die Beobachtung der Unia: «Ähnlich wie bei Tönnies setzt die Schachtindustrie auf Temporär-Arbeitende aus Osteuropa.»
Viren würden sich bei kühlen Temperaturen im Schlachthaus besonders rasch verbreiten, warnt Sennhauser. «Zudem erfordert der Lärm lautes Sprechen, was wiederum die Verbreitung von infizierten Tröpfchen begünstigt.»
Unter dem Strich hält Sennhauser die Arbeitsbedingungen in der Schweiz und Deutschland für vergleichbar. «Bei der industriellen Schlachtung können weder das Tierwohl berücksichtigt, noch die Abstandsregel des BAG eingehalten werden.»
Kritik auch vom BLV
Ein schlechtes Zeugnis stellte den Schlachthöfen zu Jahresbeginn auch das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit (BLV) aus. Das Amt registrierte Mängel bei der Unterbringung, wie auch bei der Betäubung und beim Entbluten.
«Viele kleine Schlachthäuser ignorieren systematisch die Auflagen», sagt Sennhauser. Er fordert verbindliche Regeln und Kontrollorgane, die nicht versagen. «Helfen würde auch eine Senkung der Schlachtzahlen sowie des Tierkonsums.»
Dem widerspricht der Schweizer Fleisch-Fachverband (SFF): «In Deutschland werden teilweise gegen 20‘000 Tiere pro Tag geschlachtet. Diesen Wert erreichen die grössten Schweizer Schlachthäuser nicht mal annäherungsweise in einer Woche», sagt Direktor Ruedi Hadorn. Deshalb seien die Verhältnisse der hiesigen Fleischproduktion nicht mit unserem grossen Nachbarn vergleichbar.
Auch den Vorwurf von schlechten Arbeitsbedingungen lehnt Hadorn klar ab: «Wir haben in der Schweiz einen allgemein verbindlichen Gesamtarbeitsvertrag, der für alle Betriebe des Metzgereigewerbes und der Fleischwirtschaft gilt.»
Dass in der Branche in Analogie zu anderen ebenso auf ausländisches Personal gesetzt wird, bestätigt der Direktor. Doch: «Derartige Wohnverhältnisse wie die in Deutschland sind verwerflich. Hierzulande sind die ausländischen Mitarbeitenden für ihre Unterkunft und Verpflegung grundsätzlich selber verantwortlich. Sie haben sich somit selber zu organisieren und benötigen auch eine entsprechende Arbeitsbewilligung mitsamt Wohnsitzbestätigung.»
Verbesserungen in Sachen Tierwohl
Einen Corona-Ausbruch wie in Deutschland hält Hadorn für äusserst unwahrscheinlich. «Das immer wieder an die jeweilige Situation angepasste Muster-Schutzkonzept des Verbands richtet sich strikt nach den Vorgaben des Bundes.»
Einzig beim Tierwohl sieht er auf Anfrage hin in einzelnen Betrieben, aber auch bei den Vollzugsbehörden Verbesserungspotenzial. «Wir sind in laufendem Austausch mit den Behörden, um mögliche Problemfälle zu verbessern.»
Gleichzeitig könne die Schuld aber nicht immer auf die Schlachthöfe geschoben werden. Man müsse auch die unterschiedlichen Verhaltensweisen der Tiere berücksichtigen, was oft vergessen gehe. «Einige Tiere reagieren sensibler auf eine neue, ungewohnte Umgebung als andere, das ist durchaus plausibel.»