Peter V. Kunz über die Folgen der Konzernverantwortungsinitiative

Über die Konzernverantwortungsinitiative wird heftig gestritten. Wirtschaftsrechtler Peter V. Kunz erläutert im Interview die Folgen einer Annahme.

Wirtschaftsrechtsprofessor Peter V. Kunz von der Universität Bern. - zvg

Das Wichtigste in Kürze

  • Am 29. November stimmt die Schweiz über die Konzernverantwortungsinitiative ab.
  • Peter V. Kunz beobachtet aufseiten der Gegner und Initianten viel Spekulation.
  • Eine Annahme wäre «nicht der Untergang», da Konzerne meistens ihren Pflichten nachkommen.

Nau.ch: Herr Kunz, die Gegner argumentieren, dass auch Schweizer KMU von der Konzernverantwortungsinitiative betroffen seien. Die Befürworter behaupten das Gegenteil. Wer hat recht?

Peter V. Kunz: Das weiss heute niemand. Eine klare Antwort kann erst die gesetzliche Umsetzung der Initiative geben, sofern sie angenommen wird. Eine objektive Wahrheit gibt es nicht, die Zahlen dienen in erster Linie der Propaganda – auf beiden Seiten. Die Befürworter gehen von 1'500 Konzernen, die Gegner von 80'000 Unternehmen aus. Dies alles scheint mir sehr zufällig und spekulativ. KMU werden in jedem Fall betroffen sein, wobei das Parlament sie ohne Weiteres privilegieren könnte.

Die meisten bürgerlichen Politiker, aber auch Wirtschaftsverbände sind gegen die Initiative. - flickr

Nau.ch: Im Initiativtext steht, dass Schweizer Firmen auch für Schäden haften, welche durch sie kontrollierte Unternehmen verursacht haben. Sind also auch Lieferanten und Zulieferer betroffen?

Nein. Die Haftung trifft nach Wortlaut der Initiative ausschliesslich Tochtergesellschaften, nicht aber Lieferanten und Zulieferer, die nicht zum Konzern gehören. Der Konzern und die Konzern-Muttergesellschaft haben zwar Sorgfaltspflichten in Bezug auf «sämtliche Geschäftsbeziehungen», wie es in der Initiative heisst, und damit auch auf die vertraglich verpflichtete Lieferanten und Zulieferer. Doch es erfolgt keine Sanktionierung durch eine Konzernhaftung, sollten diese Pflichten verletzt werden.

Die Konzernverantwortungsinitiative wurde 2016 eingereicht. - Keystone

Nau.ch: Die Gegner behaupten, die Initiative führe zu einer Beweislastumkehr. Ist das korrekt?

Ja. Doch es erscheint mir rechtlich unproblematisch, zumindest im Hinblick auf die eigenen Tochtergesellschaften. Es verhält sich nämlich schon heute so, dass eine Konzern-Muttergesellschaft sicherstellen muss, dass im ganzen Konzern – also auch bei Tochtergesellschaften – Gesetze und Regularien eingehalten werden. Wenn ein Konzern dies korrekt macht, könnte er sich also von einer Konzernhaftung entlasten. Insofern ist diese Thematik wesentlich weniger bedrohlich als von den Gegnern dargestellt.

Nau.ch: Glauben Sie, dass Schweizer Firmen nach Annahme der Initiative mit Klagen eingedeckt werden?

Auch hier wird ein unrealistisches Horrorszenario durch die Gegner aufgebaut. Zwar ginge die Einführung einer solchen Konzernhaftung wesentlich weiter als dies international verbreitet ist. Eine Klagewelle würde jedoch nicht drohen. Insbesondere die mit Klagen verbundenen hohen Kosten – etwa die Kostenvorschüsse bei Gericht – verhindern meist, dass wirklich geklagt wird. Für die Konzerne wären vielmehr der drohende bürokratische Mehraufwand für Sorgfaltsprüfungen ein Problem, gerade auch in Bezug auf Zulieferer und Lieferanten im Ausland.

Justizministerin Karin Keller-Sutter stellt sich gegen die Konzernverantwortungsinitiative. - KEYSTONE

Nau.ch: Gestritten wird in der Debatte oft über juristische Feinheiten. Geht das nicht zu weit? Schlussendlich entscheidet ja das Parlament, wie die Initiative umgesetzt werden soll.

Die Initiative ist tatsächlich juristisch äusserst komplex. Aber es spielen gerade auch Emotionen eine starke Rolle, ganz ähnlich wie vor Jahren bei der Abzocker-Initiative. Die unübliche kirchliche Unterstützung schürt zudem die Emotionalität weiter. Vor diesem Hintergrund rechne ich damit, dass die Initiative deutlich angenommen wird – und obwohl ich sie persönlich ablehne, wäre ihre Annahme nicht wirklich der Untergang für schweizerische Konzerne, weil die meisten Pflichten gemäss Initiative heute bereits gelten.

Die Wirtschaft zeigt Verständnis für das Anliegen der Initiative. - Keystone

Nau.ch: Wird die Initiative abgelehnt, tritt automatisch der Gegenvorschlag in Kraft. Bringt er die Schweizer Wirtschaft bei gesellschaftlicher Verantwortung international an die Spitze, wie Economiesuisse behauptet?

Auch das ist etwas übertrieben. Wir sind heute international wohl etwa im hinteren Mittelfeld. Der indirekte Gegenvorschlag des Parlaments würde die Schweiz ins vordere Mittelfeld bringen. Sollte die Initiative angenommen werden, dürfte ohnehin dieser Gegenvorschlag als Grundlagen zu deren Umsetzung verwendet werden, ergänzt mit Haftungsregelungen, die im heutigen Zeitpunkt noch völlig unklar und offen sind.