US-Wirtschaft stabil - aber Inflationsschock sitzt bei Wählern tief

Trotz stabiler US-Wirtschaft ist die Stimmung vor der Präsidentschaftswahl eher düster.

Trump will nach der Präsidentenwahl wieder ins Weisse Haus einziehen. (Archivbild) - Julia Demaree Nikhinson/AP/dpa

Die Zahlen weisen einen robusten Zustand der US-Wirtschaft aus – dennoch ist die Stimmung bei vielen Wählern wenige Wochen vor der Präsidentschaftswahl am 5. November eher pessimistisch.

Fast die Hälfte der Befragten schätzen in einer kürzlich veröffentlichten Umfrage der «New York Times» und des Siena College die wirtschaftliche Situation als «schlecht» ein – trotz nachlassender Inflation und eines stabilen Arbeitsmarktes.

Aber der Inflationsschock der vergangenen Jahre sitzt noch tief. «Man muss schon in die 1970er und 1980er Jahre zurückgehen, um Vergleichbares zu sehen», sagt der Experte Ryan Sweet von Oxford Economics. «Für viele Wähler ist es das erste Mal, dass sie eine solche Inflation erlebt haben.»

Und eine solche Erfahrung laste «auf der kollektiven Psyche», sagt Sweet. «Das gilt insbesondere für die Haushalte mit niedrigen und mittleren Einkommen.»

Inflationsängste unter Biden

Unter Präsident Joe Biden war die Inflation bis Juni 2022 auf 9,1 Prozent gestiegen, den höchsten Wert seit fast 40 Jahren. Die Ursachen lagen in der Corona-Pandemie und dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine.

Zwar ging die Teuerungsrate danach allmählich wieder zurück – aber de facto sind die Verbraucherpreise derzeit um 20 Prozent höher als Anfang 2020.

Donald Trump hetzt im US-Wahlkampf oft gegen Migranten. - keystone

Der republikanische Präsidentschaftskandidat und Ex-Präsident Donald Trump nutzt dies für seine Kampagne, verweist auf niedrigere Preise während seiner Amtszeit (2017-2021) und erklärt, mit der Demokratin Kamala Harris an der Macht werde die Inflation wieder in die Höhe schnellen.

Er zielt damit direkt auf den Geldbeutel, denn für viele Wählerinnen und Wähler ist die wirtschaftliche Situation das wichtigste Entscheidungskriterium bei der Wahl am 5. November.

Arbeitsmarkt: Positive Zahlen, grosse Unterschiede

Die Expertin Julia Pollak vom Job-Portal ZipRecruiter verweist darauf, dass die recht positiven Zahlen vom Arbeitsmarkt keinen Aufschluss darüber geben, wie gross die Unterschiede zwischen den Branchen sind. Tatsächlich konzentriere sich die Schaffung neuer Jobs auf wenige Sektoren und betreffe nur etwa die Hälfte der Beschäftigten.

Die andere Hälfte erlebe in ihren Industriezweigen «ein ungewöhnlich langsames Wachstum», sagt Pollak. Somit gebe es eine ganze Reihe von Arbeitern, die das Gefühl hätten, «dass ihre Löhne aufholen müssen». Davon zeugen auch die jüngsten Arbeitskonflikte und Streiks, etwa bei den Hafenarbeitern oder den Arbeitern bei Boeing.

Beim Blick auf die wirtschaftliche Lage wird gerne Ex-Präsident Bill Clintons einstiger Wahlstratege James Carville mit seinem berühmten Spruch zitiert: «It's the economy, stupid» («Auf die Wirtschaft kommt es an, Dummkopf»). In vielen Umfragen billigen die Wähler dem New Yorker Immobilienunternehmer Trump mehr Wirtschaftskompetenz zu als der amtierenden Vizepräsidentin Harris.

Wohlstandsentwicklung und Wahlkampf

«Die Tatsache, dass die Leute nicht das Gefühl haben, in der derzeitigen Wirtschaftslage Wohlstand zu entwickeln, ist für die Partei an der Macht ein echtes Problem», sagt die Expertin Joanne Hsu von der Universität Michigan.

Harris hat den Aufbau einer starken Mittelschicht zum Hauptziel ihrer Wirtschaftspolitik erklärt, während sie Trump vorwirft, eine Politik für Superreiche und Grosskonzerne zu betreiben. Carville rät dazu, den Republikaner in seiner Wirtschaftspolitik noch härter anzugehen. «Trump bietet den Leuten wie üblich Quacksalberprodukte und Dinge an, die noch nie funktioniert haben», sagte Carville im Gespräch mit AFP. «Zum Beispiel Zölle – eine wirklich einmalig dumme Idee.»