Berner Theologen thematisieren sexualisierte Gewalt in der Kirche

Theologen der Universität Bern veröffentlichen einen Band über sexualisierte Gewalt in den Kirchen, der sich dem Problem wissenschaftlich annimmt.

Die Universität Bern. - Keystone

Ein Theologe und zwei Theologinnen der Universität Bern veröffentlichen einen interdisziplinären Band über sexualisierte Gewalt in den Kirchen, der sich erstmals der Grundlagen des Problems wissenschaftlich annimmt. Unter dem Titel «Sexualisierte Gewalt in kirchlichen Kontexten» haben Prof. Mathias Wirth, Prof. Isabelle Noth und Prof. Silvia Schroer, alle von der Theologischen Fakultät der Universität Bern, im renommierten Verlag «De Gruyter» einen interdisziplinären und interkonfessionellen Band veröffentlicht.

Das Buch entstand in Zusammenarbeit mit einem internationalen Team von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus den Bereichen Geschichte, Medizin, Philosophie, Psychologie und Theologie.

Sexualisierte Gewalt in Kirchen als Problem zentraler Denkweisen

«Die Nachrichten und unser Erschrecken über das Ausmass sexualisierter Gewalt in den verschiedenen Kirchen und ihren angegliederten Institutionen nehmen kein Ende», sagt Mitherausgeberin Silvia Schroer, Professorin für Altes Testament.

Bisher, so Mathias Wirth, Erstherausgeber und Leiter der Abteilung Ethik, fehlten wissenschaftliche Grundlagenarbeiten, die der interdisziplinären Herausforderung des Problems sexualisierter Gewalt im kirchlichen Bereich gerecht würden und sich nicht mit oberflächlichen Antworten und Massnahmenvorschlägen zufriedengäben. Denn: «Es sind theologische Grundannahmen und ein etablierter Habitus in den Kirchen, die sich als Ermöglichungsstrukturen von sexualisierter Gewalt zeigen», führt Wirth aus.

Kritik am Ethos des unbedingten Verzeihens

Im Band werden erstmals zentrale Denkweisen der Kirchen und die damit verbundenen Strukturen als Kontext des Problems der sexualisierten Gewalt wissenschaftlich erörtert. «Konkret fragen die Beiträge des Bandes danach, wie bisher kaum problematisierte theologische Denkweisen und kirchliche Praxen neu als Ermöglichungsstruktur von sexualisierter Gewalt erörtert und kritisiert werden müssen», sagt Mitherausgeberin Isabelle Noth, Professorin für Seelsorge, Religionspsychologie und Religionspädagogik.

Bei Themen wie beispielweise dem Ethos des unbedingten Verzeihens oder der Privilegierung von Maskulinität, Binarität oder Loyalität müsste, so die drei Herausgebenden, stets die Verbindung zu sexualisierter Gewalt mitgedacht und einbezogen werden.

Argumente für Betroffene und konstruktive Vorschläge für ein Umdenken

Der neue Band liefert allen Stakeholdern und betroffenen Menschen Argumente, die für mehr Berücksichtigung der Personen sprechen, die in den Kirchen sexualisierter Gewalt ausgesetzt worden sind. «Kommentierungen von Kirchenleitungen und deren oft zaghafte Interventionen antworten bisher unzureichend auf die moralischen Probleme im Zusammenhang mit sexualisierter Gewalt», sagt Matthias Wirth.

Mit den Beiträgen im Band werde dies kritisch angezeigt. Darüber hinaus werden konstruktive Vorschläge zur Transformation theologischen Denkens und kirchlicher Praxis gemacht. So wollen die Herausgebenden die Perspektive sexualisierter Gewalt als interdisziplinäres und theologisches Problem von höchstem Rang etablieren.