Marianne Schild (GLP): Berner Grossrätin über das neue Polizeigesetz
Im September wird der grosse Rat Berns das neue Polizeigesetz beraten. In diesem Gastbeitrag fragt Marianne Schild nach den Meinungen der Nau.ch-Leserschaft.
Das Wichtigste in Kürze
- An der Herbstsession des Grossen Rates wird in Bern über das neue Polizeigesetz beraten.
- In diesem Gastbeitrag wird speziell auf die automatisierte Fahrzeugfahndung eingegangen.
- Marianne Schild fragt die Leserschaft nach der Meinung zum Polizeigesetz.
Der Grosse Rat ist das Parlament, die gesetzgebende Behörde (Legislative) des Kantons Bern. An der Herbstsession im September 2023 werden die 160 Mitglieder des Grossen Rates das neue Polizeigesetz beraten. Ein Polizeigesetz braucht es, damit die Polizei weiss, was sie tun darf und tun muss.
Als Mitglied der Sicherheitskommission habe ich die Aufgabe, mich vertieft mit dem Gesetzesentwurf auseinanderzusetzen und mir dazu eine Meinung zu bilden. Und ich möchte Sie, liebe Leserinnen und Leser dazu anregen, das auch zu tun. Deshalb werde ich Ihnen die wichtigsten geplanten Änderungen vorstellen und möchte von Ihnen wissen, was diese bei Ihnen für Gedanken und Gefühle auslösen. Wir legen los mit der automatisierten Fahrzeugfahndung (manchmal auch automatische Fahrzeugfahndung genannt).
Änderungen zur automatisierten Fahrzeugfahndung
Die automatisierte Fahrzeugfahndung und Verkehrsüberwachung (AFV) erfasst mithilfe einer Kamera die Kontrollschilder von Fahrzeugen. Eine Anlage zur Erfassung kann stationär (permanent am selben Standort) oder mobil (zeitlich beschränkt an einem Standort) aufgestellt werden. Damit kann die Polizei einerseits auf die Identität des Fahrzeughalters schliessen und Bewegungsprofile des Fahrzeugs erstellen und andererseits kann sie Bildaufnahmen der Fahrzeuginsassen erstellen (und hoffen, dass diese Personen nicht mit Sonnenbrille, Schal und Hut im Auto sitzen).
Unbestritten ist, dass die AFV einen Eingriff in die Grundrechte darstellt, nämlich in das Grundrecht der informationellen Selbstbestimmung. Dieses Grundrecht beinhaltet das Recht, dass jede Person selbst entscheiden kann, wer Zugang zu seinen persönlichen Daten hat, wer diese Daten Nutzen darf und zu welchem Zweck.
Ein Eingriff in die Grundrechte kann jedoch zulässig sein unter bestimmten Voraussetzungen. Zu diesen Voraussetzungen gehört unter anderem, dass der Eingriff einem öffentlichen Interesse dienen und verhältnismässig sein muss. Bei der aktuellen Revision werden auch Artikel gestrichen, die als nicht zulässig beurteilt wurden durch das Bundesgericht.
Wann wir die AFV eingesetzt? Es gibt drei Arten von strafbaren Handlungen: Die Übertretung (die mildeste Variante), das Vergehen (kann schon recht schlimm sein) und das Verbrechen (die schwerste Variante, sehr schlimm).
Wenn Sie sich nun fragen, ob sie schon einmal eine Übertretung begangen haben, dann fragen Sie sich, ob Sie schon einmal eine Busse erhalten (und hoffentlich bezahlt) haben, z.B. wegen einem Verkehrsdelikt. Wenn ja, dann haben Sie damals eine Übertretung begangen und erkennen auch gleich, dass Sie da viel Gesellschaft haben bei Ihren Mitmenschen.
Hier kommt die erste wichtige Abgrenzung, die im der Gesetzesrevision klar präzisiert wird: Die AFV darf ausschliesslich für die Aufklärung (Erkennung, Verhinderung und Verfolgung) von Vergehen und Verbrechen genutzt werden, nicht bei Übertretungen. Bisher haben wir diese Abgrenzung, die inzwischen vom Bundesgericht als nötig festgelegt wurde, nicht im Gesetz.
Die AFV gibt es heute schon. Hauptsächlicher Zweck ist anscheinend der Abgleich des Fahrzeuges resp. Kontrollschilds mit Fahndungsdatenbanken und Fahndungsaufträgen, um gestohlene Fahrzeuge oder Fahrzeuge, deren Halterinnen/Haltern der Ausweis entzogen wurde, zu erkennen.
Jetzt kommt ein pikantes Detail: Bisher wurden die Daten sofort gelöscht, falls sich kein Treffer zwischen der Aufnahme aus dem AFV und den Fahndungsdatenbanken ergab. Gab es hingegen einen Treffer, wurden die Daten natürlich aufbewahrt und verwendet.
Im neuen Gesetzesentwurf wird vorgeschlagen, dass die Daten gespeichert werden dürfen und erst nach 30 Tagen gelöscht werden müssen, falls sich bis dahin kein Treffer ergibt. Man soll also die Daten neu speichern dürfen und dann 30 Tage lang schauen, ob man sie braucht. In welchem Umfang dieser gesetzliche Rahmen denn auch genutzt wird durch die Kantonspolizei, ist eine ganz andere Frage. Zum Beispiel eine Frage der Ressourcen, die dafür zur Verfügung stehen.
Die Begründung leuchtet ein: Kriegt Polizistin Sandra heute einen Fahndungsauftrag für eine Sache oder eine Person, kann sie ihre Arbeit besser machen, wenn sie nicht zuerst einmal abwarten und hoffen muss, sondern wenn sie 30 Tage zurück nach dem Fahrzeug suchen darf und im Idealfall ein Bewegungsprofil erstellen kann. Es leuchtet auch ein, dass Sandra auf Daten aus anderen Kantonen, dem Bund und der Polizeibehörden aus dem Schengenraum zugreifen können möchte, um Ihren Auftrag möglichst gut zu erfüllen.
Denn Kriminalität ist nun einmal global und nicht kantonal organisiert. Sandra soll solche Daten einholen dürfen, so steht es im Gesetzesentwurf («im Abrufverfahren beschaffen»). Ob sie etwas erhält, können nicht wir Bernerinnen und Berner festlegen, sondern die jeweilig zuständigen Behörden legt das in Ihren Gesetzesgrundlagen fest.
Muss denn die Kantonspolizei Bern, also muss Sandra auch Daten liefern, wenn ein anderer Kanton oder ein Nachbarland wie Lichtenstein sie darum bittet? Hierzu steht im Entwurf: «Die Kantonspolizei kann den Polizeibehörden des Bundes, der Kantone und der Gemeinden sowie der Landespolizei Lichtenstein und dem Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit (BAZG) automatisierte Abgleiche ermöglichen, sofern diese über gleichwertige Rechtsgrundlagen verfügen».
Was unter «gleichwertig» genau zu verstehen ist und wer das beurteilt, ist mir noch nicht klar, werde ich jedoch bald erfahren. Es scheint jedoch nicht vorgesehen zu sein, dass die Kantonspolizei Daten direkt an andere Staaten ausser Lichtenstein liefert. Und Lichtenstein ist ja so etwas wie der 27. Kanton.
Umfrage
Was halten Sie von der automatisierten Fahrzeug- und Verkehrsüberwachung per Kamera?
Anlässlich der Medienkonferenz zum neuen Polizeigesetz erwähnte der zuständige Regierungsrat Philipp Müller als möglichen Anwendungsfall der neuen, ausgeweiteten Kompetenzen der AFV den Fall einer Kindesentführung in Folge eines Sorgerechtsstreits.
So ein emotional aufgeladenes und tatsächlich sehr tragisches Beispiel zu wählen, macht die Regierung vielleicht sympathisch resp. verdeutlicht, dass es nicht um Bagatellen geht, aber es ist auch etwas praxisfern. Denn im Falle eine Kindesentführung könne man noch ganz andere Register ziehen, z.B. Kontrollen an Grenzübergängen und Flughäfen. Im Zentrum sollten die täglichen Anwendungsfälle, das Daily Business der Verbrechensbekämpfung, stehen. Daran wird sich der Nutzen so eines Systems messen müssen.
Welche Aspekte Selbstbestimmung über die persönlichen Informationen und Daten kommen Ihnen dazu in den Sinn? Oder haben Sie konkrete Befürchtungen, wie die Kantonspolizei diese Daten missbräuchlich nutzen könne? Sandra darf übrigens nicht aus Eigeninteresse mal nachschauen, wo ihr Ehemann sich so rumtreibt mit dem Familienauto. Ausser es würde vermutet, dass er in Verbindung mit einem Vergehen oder einem Verbrechen steht und das wäre dann nicht eigenes, sondern öffentliches Interesse.
*Marianne Schild ist Grossrätin GLP im Kanton Bern und Mitglied der Sicherheitskommission.