Molekulare Energiemaschine als Filmstar
Dazu entwickelten sie eine neue Untersuchungsmethode, die die Analyse von zellulären Vorgängen deutlich effektiver machen könnte als bislang
Forschende des Paul Scherrer Instituts PSI haben mithilfe der Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS eine molekulare Energiemaschine in Bewegung aufgenommen und so aufgedeckt, wie die Energiegewinnung an Zellmembranen funktioniert. Dazu entwickelten sie eine neue Untersuchungsmethode, die die Analyse von zellulären Vorgängen deutlich effektiver machen könnte als bislang. Ihre Ergebnisse veröffentlichen sie nun in der Fachzeitschrift Science. Strukturelle Änderungen in Proteinen sind in allen Lebewesen für vielerlei biochemisch gesteuerte Funktionen verantwortlich, zum Beispiel der Energiegewinnung an Zellmembranen. So kommt das Protein Bacteriorhodopsin in Mikroorganismen vor, die an der Oberfläche von Gewässern leben. Angeregt durch Sonnenlicht pumpt das Molekül positiv geladene Teilchen, Protonen, durch die Zellmembran vom Zellinneren nach aussen. Dabei verändert es fortwährend seine Struktur. Einen Teil dieses Vorgangs konnten Forschende des PSI bereits durch Experimente an Freie-Elektronen-Röntgenlasern (FEL) wie dem SwissFEL aufklären. Nun ist es ihnen gelungen, auch den noch unbekannten Teil des Prozesses in einer Art molekularem Film aufzuzeichnen. Hierfür entwickelten sie eine Methode für die Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS weiter, die vorher nur an den FEL anwendbar war. Die Studie unterstreicht die Synergie zwischen den Analysemöglichkeiten an den beiden Grossforschungsanlagen SwissFEL und SLS am PSI. «Mit der neuen Methode an der SLS können wir nun auch den letzten Teil der Bewegung des Bacteriorhodopsins nachvollziehen, bei dem die Schritte im Millisekundenbereich liegen», erklärt Tobias Weinert, Erstautor der Studie. «Mit Messungen an den FEL in den USA und Japan hatten wir bereits vor der Inbetriebnahme des SwissFEL die ersten beiden Teilprozesse gemessen», so Weinert. «Diese laufen sehr schnell, innerhalb von Femto- bis Mikrosekunden ab.» Eine Femtosekunde ist ein Billiardstel einer Sekunde. Um solche Prozesse beobachten zu können, verwenden die Forschenden die sogenannte «Pump-Probe» oder «Anregungs-Abfrage»-Kristallografie. Mit dieser Methode können sie Schnappschüsse der Proteinbewegungen aufnehmen, die sie dann zu Filmen zusammensetzen. Für die Experimente werden Proteine in Kristallform gebracht. Ein Laserstrahl, der das Sonnenlicht imitiert, löst die Bewegungskette im Protein aus. Röntgenstrahlen, die danach auf die Probe treffen, erzeugen Beugungsbilder, die von einem hochauflösenden Detektor aufgenommen werden. Computer berechnen daraus dann ein Bild der Proteinstruktur zum jeweiligen Zeitpunkt. Der aus den Messungen an der SLS entstandene Film zeigt, was für Strukturveränderungen im Molekül Bacteriorhodopsin in den nächsten 200 Milisekunden passieren, nachdem es durch Licht angeregt wurde. Damit ist nun ein kompletter sogenannter «Photozyklus» des Moleküls aufgeklärt. Bacteriorhodopsin fungiert als biologische Maschine, die Protonen vom Inneren der Zelle durch die Membran nach aussen pumpt. Dadurch entsteht ein Konzentrationsgefälle an der Zellmembran. An ihrer Aussenseite befinden sich mehr Protonen als an ihrer Innenseite. Dieses Gefälle nutzt die Zelle, um Energie für ihren Stoffwechsel zu gewinnen, indem sie den Protonen an anderer Stelle erlaubt, ihre ausserhalb und innerhalb unterschiedlichen Konzentrationen auszugleichen. Dabei produziert sie ATP, einen universellen Energieträger in Lebewesen. Anschliessend stellt Bacteriorhodopsin das Konzentrationsgefälle wieder her. «Bei der neuen Studie konnten wir nun die grössten je in Echtzeit aufgenommenen, strukturellen Veränderungen eines Moleküls sehen», mit «gross» meint der Wissenschaftler neun Ångström, das ist eine Million Mal feiner als ein menschliches Haar dick ist. Durch diese strukturellen Änderungen des Proteins öffnet sich eine Lücke im Protein, in der sich eine Kette von Wassermolekülen bildet, die für den Protonentransport durch die Zellmembran verantwortlich ist. «Diese Wasserkette hat noch niemand vor uns direkt beobachtet», freut sich der Biochemiker. Diese Beobachtungen waren nur dadurch möglich, dass die vorher am SwissFEL angewandte Methode nun auch für die Nutzung an der SLS modifiziert wurde, und dank des neuen hochauflösenden und schnellen "Eiger"-Detektors an der SLS. Die neue Untersuchungsmethode mithilfe von Synchrotrons wie der SLS wird die Forschung weltweit beflügeln, ist sich Weinert sicher. «Forschende können die neue Methode nutzen und so viel effizienter sein, da es weltweit viel mehr Synchrotrons gibt als Freie Elektronenlaser. Ausserdem benötigt man dafür weniger Proteinkristalle als es für Experimente an den FEL bedarf», ergänzt Weinert. Für die sehr schnell ablaufenden, molekularen Prozesse und um besonders scharfe Bilder und genaue Ergebnisse zu erhalten, sind die Forschenden dennoch auf den SwissFEL angewiesen. «Die Abläufe zu Beginn des Photozyklus passieren innerhalb von Femtosekunden. Solche schnellen chemischen Reaktionen zu beobachten ist nur an den FEL möglich.» Zudem können an den FEL Strukturen mit höherer Auflösung aufgenommen werden. Denn dadurch, dass am Linearbeschleuniger so viele Photonen auf einmal auf die Probe treffen, kann der Detektor ein extrem scharfes Bild aufnehmen. Weinert betont die Synergie der beiden Grossforschungsanlagen: «Am SwissFEL steht nur wenig Strahlzeit zur Verfügung. Mit den Messungen an der SLS können wir vorher sicherstellen, dass unser Experiment am SwissFEL erfolgreich sein wird. So wird dessen Effizienz gesteigert». Die Ergebnisse der Studie veröffentlichen die Forschenden nun im Fachjournal Science.
Text: Paul Scherrer Institut/Christina Bonanati
Über das PSI
Das Paul Scherrer Institut PSI entwickelt, baut und betreibt grosse und komplexe Forschungsanlagen und stellt sie der nationalen und internationalen Forschungsgemeinde zur Verfügung. Eigene Forschungsschwerpunkte sind Materie und Material, Energie und Umwelt sowie Mensch und Gesundheit. Die Ausbildung von jungen Menschen ist ein zentrales Anliegen des PSI. Deshalb sind etwa ein Viertel unserer Mitarbeitenden Postdoktorierende, Doktorierende oder Lernende. Insgesamt beschäftigt das PSI 2100 Mitarbeitende, das damit das grösste Forschungsinstitut der Schweiz ist. Das Jahresbudget beträgt rund CHF 407 Mio. Das PSI ist Teil des ETH-Bereichs, dem auch die ETH Zürich und die ETH Lausanne angehören sowie die Forschungsinstitute Eawag, Empa und WSL.