Prag vom Sofa entdecken: Ein Palast und die Familie Mann

Zwei neue Bücher machen die Geschichte der «Goldenen Stadt» Prag lebendig. Das eine beschreibt einen Palast, das andere blickt auf die Mann-Dynastie. Eine Lesereise in Corona-Zeiten.

Blick auf die Villa Otto Petschek im Prager Stadtteil Bubenec, die heute als Residenz des US-Botschafters in Tschechien dient. Foto: Eva Heyd/US-Botschaft in Prag/dpa - dpa-infocom GmbH

Das Wichtigste in Kürze

  • Wegen der Corona-Krise ist Prag mit seiner malerischen Altstadt in weite Ferne gerückt.

Hotels und Gaststätten sind geschlossen. In den Strassen an der Moldau, die vor Beginn der Pandemie zu den beliebten Zielen deutscher Touristen zählte, herrscht gähnende Leere.

Vielleicht ist das ein günstiger Moment, um vom Sofa aus zu reisen: Zwei in letzter Zeit erschienene BüCher lassen den Leser in die Geschichte der «Goldenen Stadt» eintauchen.

Der Rechtsanwalt Norman Eisen kam vor einiger Zeit für dreieinhalb Jahre als US-Botschafter nach Prag. Seine neue Residenz im Villenviertel Bubenec übte von Anfang an eine enorme Faszination auf den Studienfreund von Ex-Präsident Barack Obama aus. Eisen stiess überall auf Geheimnisse - von Hakenkreuzen auf den Inventarzeichen der Möbel, über jüdische Schriften in der Bibliothek bis hin zu einem 50 Meter langen Schwimmbad im Keller.

In seinem Buch «Der letzte Palast von Prag», das auf Deutsch im Propyläen-Verlag erschienen ist, geht Eisen der Geschichte der Villa auf den Grund. Mit grossem Elan beschreibt er ihren Erbauer, den jüdischen Bankier Otto Petschek. Mit der zum Garten hin geschwungenen Front erfüllte sich der Kunstinteressierte einen Traum, der an Versailles erinnert. Eisen schreibt: «Jedes Land und jede Kunst und jedes Handwerk waren repräsentiert; die Arbeiten der flämischen Gobelin-Weber und der französischen Teppichhersteller; holländische Ölmalerei und englische Buchkünstler; deutsche Porzellanfabrikanten und böhmische Glasbläser.»

Vielleicht war es ein Glück, dass Petschek den Einmarsch der Nationalsozialisten in seine geliebte Tschechoslowakei nicht mehr erlebte. Er starb schon im Juni 1934. Während des Zweiten Weltkriegs besetzte die Wehrmacht den Palast. Neuer Villenbewohner wird General Rudolf Toussaint, der den Ballsaal als Atelier für seine Malleidenschaft nutzt. Eisen stellt ihn als jemanden dar, der auf Distanz zu den Nazis gestanden habe - vielleicht nicht immer zu Recht. Die Tschechoslowakei verurteilte den General nach dem Krieg zu einer lebenslangen Haftstrafe. Jedenfalls überstand der Palast die Kämpfe um Prag ohne grössere Schäden.

Am authentischsten wirkt es, wenn Eisen von seiner eigenen jüdischen Familiengeschichte erzählt. Seine Mutter Frieda wuchs im Osten der Tschechoslowakei in ärmlichen Verhältnissen auf, ein Kontrast zum Leben der reichen Petscheks. Sie überlebte das deutsche KZ Auschwitz und emigrierte später über Israel in die USA. Eisen will, dass sie zu ihm nach Prag zieht. Er ist voller Freude über seine neue Aufgabe. Doch sie reagiert zunächst skeptisch: «Optimismus kann in Prag sehr gefährlich sein...», sagt sie mit Blick auf ihre eigenen Erfahrungen. Ob sie ihre Meinung im Laufe des Buches noch ändert, soll hier nicht verraten werden.

Auf andere Art nähert sich der Hörfunkjournalist Peter Lange der «Goldenen Stadt». In einem neuen Buch spürt er den Verbindungen der deutschen Literaten-Familie Mann zu Prag nach. «Prag empfing uns als Verwandte» heisst der Band, der im Prager Vitalis-Verlag erschienen ist. Wer weiss schon, dass zwischen der Vertreibung der Manns aus München und der Emigration in die USA eine weitere Etappe lag: die Erlangung der tschechoslowakischen Staatsbürgerschaft.

Lange zeichnet akribisch nach, wie es dazu kam, dass zuerst Heinrich und später auch sein Bruder Thomas Mann den Eid auf den noch jungen Staat ablegten. In einer Zeit, als die Nationalsozialisten in Deutschland ihre BüCher verbrannten, half die Tschechoslowakei (CSR) den Schriftstellern unbürokratisch mit einem Pass weiter. Grosse Verdienste darum machte sich Rudolf Fleischmann, ein Textilunternehmer aus der kleinen Stadt Prosec. Er vermittelte den beiden das Heimatrecht in seinem Ort, obwohl er sich damit selbst in Gefahr brachte.

Während sich der Faschismus in Europa ausbreitete, war die Tschechoslowakei zu einer Insel der Demokratie in Europa geworden. «Nie war ich stolzer und dankbarer, mich einen Bürger der CSR nennen zu dürfen, als gerade in dieser Zeit», schrieb der Nobelpreisträger Thomas Mann 1938 in einem Zeitungsartikel. Doch insgeheim ahnte er bereits, dass die Nazis im März 1939 in Prag einmarschieren würden.

Ausführlich widmet sich Lange zwei gebürtigen Tschechinnen im Schatten der berühmten Brüder: Heinrich Manns erster Ehefrau Maria «Mimi» Kanova und Thomas Manns Schwägerin Klara Pringsheim, geborene Koszler. Kanovas Enkel Jindrich Mann lebt bis heute in Prag und hat ein Vorwort geschrieben. Der Leser teilt mit ihm das Erstaunen, wie vielfältig die deutsche Familie Mann «mit den für sie fremden und kleinen böhmischen Ländern» verbunden war.