«Arena»: Parteispitzen streiten über Corona-Öffnungen
In der «Arena» wurde über die jüngsten Bundesratsentscheidungen diskutiert. Bei einem Punkt waren sich alle einig: «Es gibt keinen Grund zur Euphorie.»
Das Wichtigste in Kürze
- In der «Arena» wurde am Freitagabend über die jüngsten Corona-Öffnungen diskutiert.
- Zudem waren die Impfstrategie und die Diktatorenvorwürfe der SVP ein Thema.
- Zu Gast im Studio waren die Spitzen der sechs grössten Parteien der Schweiz.
Der Bundesrat wagt einen weiteren Öffnungsschritt: In Innenräumen dürfen sich ab Montag privat bis zu zehn Personen treffen. Auf weitere Lockerungen verzichtet die Regierung jedoch. Die epidemiologische Lage liesse dies nicht zu, begründet der Bundesrat.
Wie schon letzte Woche hat natürlich auch die «Arena» den Entscheid thematisiert. Zu Gast in der Sendung waren alle Parteispitzen der Parlamentsfraktionen. Für die SP war Co-Präsidentin Mattea Meyer anwesend; für die anderen Parteien die üblichen Verdächtigen Marco Chiesa (SVP), Petra Gössi (FDP), Gerhard Pfister (Die Mitte), Balthasar Glättli (Grüne) und Jürg Grossen (GLP).
Diskutiert wurde wegen Tessiner Chiesa in Hochdeutsch. Dieser machte schliesslich auch gleich den Anfang und hielt kaum überraschend fest, dass er von der Entscheidung «enttäuscht» sei. «Ich denke, wir müssen uns auch einmal dazu entscheiden, dass wir unser Leben nicht dem Virus unterwerfen können. Wir brauchen eine Öffnung und eine Perspektive für die Zukunft», so der SVP-Präsident.
Mattea Meyer machte klar: «Auch ich hätte mir Lockerungen gewünscht. Wir sind alle müde, aber die Fallzahlen steigen – und zwar schnell.» Drei von vier Richtwerten würden in die falsche Richtung zeigen, erinnerte die SP-Frau. Wenn man nun vorschnell öffne, dann mache man den Fortschritt, den man als Gesellschaft erarbeitet habe, zu Nichte. Den Ball von Chiesa aufnehmend, sagte sie: «Es gibt eine Perspektive – impfen, testen und die wirtschaftliche Absicherung der betroffenen Menschen.»
Mitte-Pfister: «Es ist ein minimales Öffnungsschrittchen»
Petra Gössi sagte, der Bundesrat habe unter dem Strich mit den Fallzahlen argumentiert und das müsse man – auch wenn man enttäuscht sei – akzeptieren. Die FDP-Präsidentin kritisierte jedoch erneut die Impfkampagne. «Man wusste von Anfang an, dass die Impfungen der einzige Ausweg sind, doch es sind zu viele Fehler passiert. Wir sind zu langsam.» Die Schweiz sei beim Impf-Ranking lediglich auf Platz 20, da müsse man aufholen. Gössi forderte zudem Transparenz bei der Impfstrategie.
Gerhard Pfister hielt sich mit Kritik zurück und sprach von einem «minimalen Öffnungsschrittchen». Wenn man sich die Zahlen anschaue, dann sehe es so aus, als ob eine dritte Welle komme. Viele der Risikopersonen seien nun geimpft – «doch reicht das», fragte der Mitte-Mann. Er machte zudem klar: «Auch ich kann nicht genau nachvollziehen, warum man die Aussenterrassen nicht geöffnet hat. Das wäre vielleicht auch für die Bevölkerung ein kleiner Schritt nach vorne gewesen.»
Balthasar Glättli zeigte sich mit dem Bundesrat im Allgemeinen zufrieden. «Er hat seine Versprechungen wahr gemacht. Er hält sich an die Richtwerte.» Der Präsident der Grünen widersprach zudem Pfister und sagte, dass rund 17 Prozent der Hochrisikopatienten noch nicht zweimal geimpft seien. Und: «Ich finde deshalb, es wäre der falsche Zeitpunkt, ein Risiko einzugehen.» Wenn es klappe, bis im Sommer durchzuimpfen, dann sei er nicht bereit, hunderte potenzielle Todesfälle in Kauf zu nehmen, meinte Glättli.
Auch Jürg Grossen fand, der Bundesrat habe vernünftig reagiert. «Es ist bedauerlich, dass nicht mehr möglich ist, aber ich denke wir haben das auch etwas selbst verschuldet», so der GLP-Präsident. Was er damit meint? «In den letzten Wochen wurde sehr viel Lärm gemacht um die Öffnungen. In der Bevölkerung wurde so viel Unmut geschürt, das hat auch dazu geführt, dass die Massnahmen in der Bevölkerung nicht mehr so akzeptiert sind.»
SVP-Chiesa: «Sogar Marokko impft schneller als die Schweiz»
Intensive wurde in der «Arena» auch über die Impfkampagne diskutiert. Schliesslich, so sind sich alle einig, sind die «Piks» der einzige Ausweg aus der Krise. SVP-Chiesa kritisierte den Bund wegen einer «verpassten Strategie» und meinte: «Sogar Marokko ist schneller als die Schweiz.»
Zudem gehe es auch mit der Testoffensive nur langsam voran, so der Tessiner, der daraufhin gefragt wurde, ob sich inzwischen alle seine Fraktionsmitglieder testen liessen. «Ich schon», meinte Chiesa darauf und fügte lachend an: «Es gibt solche die sagen, sie seien zäh.»
Mattea Meyer schüttelte den Kopf und sagte: «Das ist eine stupide Aussage. Das hat nichts mit zäh zu tun, sondern mit Vernunft.» Wenn alle Parteien sagen, es brauche nun Massentests, dann müsse man sich im Parlament doch auch vorbildlich daran halten.
Die Co-Präsidentin der SP erwähnte zudem, dass die Schweiz, bei den Menschen, die zweimal geimpft wurden, ungefähr weltweit auf Platz sieben liege. «Ausserdem bringt der Impfnationalismus gewisser Länder nicht sonderlich viel. Wir haben die Pandemie besiegt, wenn wir sie weltweit bekämpft haben.» Diese Aussage sorgte bei Gegenspieler Chiesa für einen Schmunzler.
Pfister nahm den Ball der Impf-Spitzenreiter auf und sagte, man müsse etwa im Fall von Israel auch bedenken, dass das Land trotz hoher Impfrate erneut einen Lockdown verhängen musste. «Man muss aufpassen, dass man nicht zu hohe Erwartungen schürt.»
Auch der Mitte-Präsident kritisierte zudem die Parlamentarier, die sich nicht testen lassen wollen. «Das testen wirkt erst, wenn sich 80 Prozent daran halten und da sind wir Parlamentarier mit nur 60 Prozent nicht die besten Vorbilder.» Man könne nicht am Morgen ein entsprechendes Gesetz – «testen, testen, testen» – verabschieden und am Nachmittag die Test-Kits in den Mülleimer werfen.
SP-Meyer zu SVP-Chiesa: «In einer Diktatur wären sie im Gefängnis»
Zur Diskussion stand erneut auch die Wortwahl gewisser SVP-Exponenten als Kritik am Bundesrat. Wiederholt verwendeten einige Nationalräte und Nationalrätinnen bekanntlich in Sessionen, Interviews oder Ansprachen das Wort «Diktatur». Ihr Präsident schien sich in der «Arena» vehement an Kritik der Wortwahl seiner Kollegen und Kolleginnen zu verwehren. Vielmehr drückte er sein Verständnis für deren Unmut aus – auch wenn mit weniger reisserischen Worten.
«Das Epidemiengesetz spricht von einer besonderen Lage und einer ausserordentlichen Lage. In der ausserordentlichen Lage ist klar, dass nur ein Organ entscheidet. Seit Juni befinden wir uns aber in der besonderen Lage, trotzdem gibt es weiterhin nur ein Organ, das eine absolute Macht hat.» Gerade die Entscheidung am Freitag sei eine Bestätigung dafür, so der Tessiner: «100 Prozent der Kantone wollten die Terrassen öffnen, und was entschied der Bundesrat? Nein!»
Mitte-Mann Pfister hielt fest, dass Parteikritik wichtig sei – gerade auch in einer Pandemie brauche es unterschiedliche Meinungen und Strategien. «Aber zu sagen, es herrsche eine Diktatur, das ist eine andere Liga. Das ‹teufelt› Gift in die Gesellschaft hinein, das wird auch Auswirkungen haben und das ist das Gefährliche daran.»
Tatsächlich finden die Worte einiger SVP-Hardliner bei gewissen Kreisen längstens Anklang. Gerade am Donnerstag fuhr ein Corona-Skeptiker mit einer «Rakete» auf dem Anhänger über die Autobahn. Auf Schildern stand unter anderem «Covid ist Diktatur».
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Leserreporter - Auf der A1 wurde am Donnerstagmorgen das Auto mit «Rakete» gesichtet.
Pfister weiter: «Der Bundesrat hält sich ans Recht, das ist ein massiver Unterschied zu einer Diktatur, wo Gesetzlosigkeit herrscht.» Wenn man den Unterschied dazu nicht sehe, dann verändere man hierzulande die Politkultur massiv. «Und das werfe ich denjenigen, die diese Aussage machten vor.»
SP-Meyer setzte noch einen drauf und wandte sich direkt an den SVP-Präsidenten: «Wenn wir wirklich in einer Diktatur leben würden, dann könnten sie nicht diese Aussagen machen und hier in der Runde mitdiskutieren – sie wären stattdessen im Gefängnis.» Die Aussage sei zudem eine Verhöhnung von Millionen von Menschen, die wirklich in einer Diktatur leben, so die SP-Frau.
Jürg Grossen hielt zum Schluss zudem ganz sachlich fest, dass es überhaupt nicht stimme, dass das Parlament die Macht abgegeben habe. «Die Gewaltentrennung funktioniert. Schon seit Mai haben wir in Sondersessionen verschiedene Gesetze verabschiedet. Bestes Beispiel ist die Härtefallregelung, die wollte der Bundesrat nie, die hat das Parlament hinzugefügt und heute ist sie der Anker für die ganze Last, die allen Betroffenen hilft.»