Ärzte hamstern wegen Coronavirus für Babys bestimmten Impfstoff
Die primär für Kleinkinder vorgesehene Pneumokokken-Impfung ist kaum mehr verfügbar. Die Vermutung: Ärzte hamstern diese wegen falschen Corona-Informationen.
Das Wichtigste in Kürze
- Engpass bei Pneumokokken-Impfungen in der Schweiz: Das BAG warnt vor Falschinformation.
- Die Impfung nütze nichts gegen schwere Verläufe bei Coronavirus-Erkrankten.
- Ärzte impfen trotzdem, wohl auch sich selbst, doch jetzt fehlen die Impfdosen für Babys.
Mit einem Pneumokokken-Infekt der Lunge ist nicht zu spassen: Gerade bei Kleinkindern kann das tödlich enden. Mit dem Coronavirus hat das Ganze aber eigentlich nichts zu tun. Trotzdem fehlt der Impfstoff gegen Pneumokokken plötzlich. Im Verdacht stehen Ärzte, die wider besseren Wissens sich selbst und andere Erwachsene impfen, nach dem Motto: Nützt’s nüt so schadt’s nüt.
Selbst Kanzlerin Merkel als «Vorbild»
Die einzige Gemeinsamkeit zum Coronavirus ist, dass auch Pneumokokken die Lunge besiedeln. Dass die Pneumokokkenimpfung einen komplizierten oder schweren Verlauf einer Covid-19-Erkrankung verhindern könnte, sei aber falsch, schreibt das BAG. Im Merkblatt für Fachleute stellt das Bundesamt für Gesundheit deshalb klar: Pneumokokken-Impfung nur gemäss Impfplan 2020. Ein schwerer Verlauf einer Covid-19-Erkrankung entstehe durch Covid-19: «Diese Entwicklung kann durch eine Pneumokokkenimpfung NICHT verhindert werden.»
Das scheint bei ebendiesen Fachleuten nicht angekommen zu sein, bestätigt Enea Martinelli, Chefapotheker am Spital Interlaken und Experte für Arzneimittel-Engpässe. «Ich habe auch gehört, dass sich Hausärzte eindecken wollen – für sich selber.» Auch der Arzt von Bundeskanzlerin Angela Merkel sieht das leicht anders und hat seine «Patientin» geimpft. Mit kontraproduktiven Folgen: Er selbst war bereits an Corona erkrankt, die Kanzlerin musste wegen ihm in Selbstquarantäne.
Kleinkinder-Impfstoff Mangelware
«In Österreich wurde ein ganzes Spital geimpft mit Pneumovax», weiss Martinelli. Dies ist der eine zugelassene Impfstoff gegen Pneumokokken. Er ist in der Schweiz bis Ende August nicht mehr verfügbar, teilt das Bundesamt für Wirtschaftliche Landesversorgung BWL mit. Der andere, Prevenar, steht bis dann ebenfalls nur aus Pflichtlagern zur Verfügung und wäre explizit für Kleinkinder gedacht.
Mit 2, 4 und 12 Monaten werden die Babys gemäss Impfplan geimpft. So wird verhindert, dass sie wegen Pneumokokken an Mittelohrentzündugen, Lungenentzündungen, Blutvergiftungen oder Hirnhautentzündungen erkranken. Letztere können tödlich enden und eine Behandlung ist schwierig, weil der Erreger zunehmend resistent gegen Antibiotika ist.
Impfstoff ist das WC-Papier der Ärzte
Zwar ist der Impfstoff Prevenar auch für Erwachsene zugelassen, das BAG betont aber in seinem Merkblatt noch einmal: In erster Linie brauchen wir ihn für die Babys. Das BWL wiederum schärft den bestellwütigen Medizinern ein: «Keine Hamsterkäufe tätigen.» So wie das die Detailhändler zurzeit am Eingang ihrer Läden tun, damit die WC-Papier- und Teigwaren-Regale nicht dauernd leergeräumt werden.
«Auch Ärzte schauen manchmal für sich selber… es sind auch nur Menschen», meint dazu Martinelli. Nur: Ein verunsicherter Kunde in der Non-Food-Abteilung ist nicht das gleiche wie eine medizinische Fachperson, die sich nach Experten-Vorgaben richten sollte. Zwar ist Prevenar in zweiter Linie auch für Erwachsenen-Risikogruppen empfohlen. Das sind Personen mit chronischen Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Leukämie oder HIV-Infektion – also eher nicht praktizierende Ärzte.