Coronavirus: So bremste der Bundesrat Selbstständige aus

Das Leben ist zurück, die Wirtschaft läuft wieder an. Viele Selbstständige stehen aber vor dem Ruin, weil der Bundesrat sie im Stich lässt. Wie es dazu kam.

Der Bundesrat will nicht über eine weitere Unterstützung von Selbstständigen diskutieren. Um das Geschäft in der Sommersession zu thematisieren, soll die Zeit gefehlt haben. - Keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Selbstständige stehen im Nachgang zu den Corona-Massnahmen massenweise vor dem Aus.
  • Der Bundesrat bestand darauf, in der aktuellen Sommersession nicht darüber zu reden.
  • Nau.ch zeichnet nach, warum nun Tausende Betroffene in finanzielle Nöte geraten.

Während viele Arbeitnehmer diese Woche ins Büro zurückkehren, machen sich bei anderen Sorgenfalten breit. Selbstständige mit ihren kleinen Firmen haben weiterhin hart an Corona-Massnahmen der letzten Monate zu kauen.

Für sie bedeutet das Ende des Lockdowns keineswegs die Rückkehr zum Normalbetrieb. Hochzeiten wurden verschoben, Festivals sind abgesagt und viele Menschen bleiben nach wie vor zu Hause. Fotografen, Tontechniker und Event-Veranstalter haben Corona-bedingt kaum Aufträge. Und damit fliesst auch kein Geld aufs Konto.

Praktisch alle Hochzeitsfeiern in diesem Sommer wurden abgesagt. Darunter leiden etwa Fotografen, Caterer und Event-Veranstalter. - Keystone

Doch seit Ende Mai kommen sie nicht mehr in den Genuss staatlicher Unterstützung. Der Bundesrat hat Anspruch auf Erwerbsersatz und Kurzarbeit komplett gestrichen. Stand heute werden Selbstständige mindestens bis im September auf sich alleine gestellt sein. Viele von ihnen werden sich verschulden, andere Konkurs anmelden. Doch wie kam es dazu?

Der Bundesratsentscheid

Am 20. Mai beschliesst der Bundesrat die Aufhebung der Unterstützungsmassnahmen. Dies «in Abstimmung mit der schrittweisen Öffnung der Wirtschaft», begründet die Landesregierung den Entscheid.

Das sorgt nicht nur bei Betroffenen, sondern auch im Bundeshaus für Entsetzen. Die zuständige Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit (SGK) des Nationalrats reagiert umgehend.

Wirtschaftsminister Guy Parmelin stoppt die Unterstützung für Kleinunternehmer und Selbstständige. Auch seine SVP hat sich klar dagegen ausgesprochen. - keystone

Das Parlament appelliert an den Bundesrat

Am 26. Mai – keine Woche nach dem Bundesratsentscheid – reicht die SGK auf Antrag von Mattea Meyer (SP) eine Kommissionsmotion ein. In dieser beauftragt sie den Bundesrat, den Erwerbsersatz für direkt und indirekt betroffene Selbstständige weiterzuführen. Mit einem weiteren Vorstoss verlangt die Kommission, dass Kleinstunternehmer weiterhin Kurzarbeit beziehen können.

Mit 14 zu 7 Stimmen fällt der Entscheid dazu deutlich, fast nur die SVP sagt Nein. Doch nützlich ist der Druck aus dem Parlament nur, wenn National- und Ständerat bereits in der Sommersession vom Juni darüber befinden können. Wird das Geschäft in den Herbst verschleppt, ist es für viele wohl schon zu spät.

Deshalb wendet sich Kommissionspräsidentin Ruth Humbel (CVP) gemäss Nau.ch-Informationen schon am 27. Mai schriftlich an Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga (SP) sowie den Gesamt-Bundesrat. Und bittet die Landesregierung, die Motion an ihrer Sitzung vom 5. Juni – dem Freitag der ersten Sessionswoche – zu behandeln.

CVP-Nationalrätin Ruth Humbel präsidiert die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit. In dieser Funktion wendet sich die Aargauerin direkt an den Bundesrat. - Keystone

Die Bitte an die höchste Schweizerin

Einen Tag später, am 28. Mai, schreibt die Kommissionspräsidentin offenbar auch einen Brief an das Büro des Nationalrats und an Isabelle Moret (FDP). Die Nationalratspräsidentin soll die Kompetenz erhalten, das Geschäft noch im Juni zu traktandieren.

So könnte – politischer Wille vorausgesetzt – den Betroffenen rasch Hilfe zugeführt werden. Das ist zumindest die Idee einer Mehrheit der Sozialkommission – auch wenn ein gleichlautender Antrag in der Kommission des Ständerrats knapp scheitert. Doch es kommt anders.

Nationalratspräsidetnin Isabelle Moret sollte die Möglichkeit eingeräumt werden, die Rettung der Selbstständigen noch im Juni zu traktandieren. - Keystone

Bundesrat bockt wegen Bürokratie

Eine Woche lang herrscht Funkstille. Erst am ominösen Freitag, dem 5. Juni, folgt eine offizielle Rückmeldung seitens des Bundesrats. Und die ist für die Mehrheit der SGK ernüchternd. Simonetta Sommaruga schreibt in dem Brief gemäss Nau.ch-Informationen, dass man auf die Bitte nicht eintrete.

Dem Vernehmen nach begründet die Bundespräsidentin die Absage damit, dass nicht genügend Zeit für die Ämterkonsultation und das Mitberichtsverfahren zur Verfügung stehe. Kurz: Mit bürokratischen Ausreden wurde ein Entscheid über die Unterstützung für Tausende Selbstständige verunmöglicht.

Brisant: Ausgerechnet Sommaruga selbst sagte noch am 27. Mai auf eine entsprechende Frage, dass eine «Lösung gefunden» werden müsse. «Parlament und Sozialpartner haben sich klar in Richtung einer Verlängerung der Unterstützung geäussert. Man ist sich bewusst, dass man hier nicht einfach einen Schnitt machen kann», so die Bundesrätin.

Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga am 27. Mai in Bern: Da zeigte sie sich noch offen für eine weitere Unterstützung der Selbstständigen. (KEYSTONE/Peter Klaunzer) - keystone

Der «SonntagsBlick» schreibt, dass auch Gesundheitsminister Alain Berset weiterer Hilfe wohlwollend gegenübersteht. Doch SVP-Bundesrat Guy Parmelin hatte offenbar eine Mehrheit im Gremium auf seiner Seite.

Die Betroffenen setzen nun vorerst auf eine Onlinepetition. Ob sie aus Bundesbern noch auf Hilfe zählen können, scheint höchst fraglich.