Das muss man zum neuen Patientendatensystem der Insel-Gruppe wissen

Mit gigantischem Aufwand führt die Insel ein neues Patientendatensystem ein. Kommt das gut, und was heisst das für die Patienten?

Das Inselspital, einer der fünf Standorte der Inselgruppe, fotografiert am Donnerstag, 19. Januar 2023. - keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Die Insel-Gruppe führt ein neues Patientendatensystem ein.
  • Weitere Schweizer Spitäler dürften sich ebenfalls für die «Epic»-Software entscheiden.
  • Wie steht es um Kosten, Nutzen und Datenschutz?

So oder so: Es wird eine epische Angelegenheit. Die Insel-Gruppe, zu der das Berner Inselspital gehört, führt ein neues Informationssystem, eine digitale Plattform für alle Patientendaten. Alle – das sind immerhin rund 60'000 akutstationäre Patienten und fast eine Million ambulante Konsultationen pro Jahr. Die Software kommt aus den USA und heisst wie ihr Hersteller: «Epic». «Die Insel» wäre die erste universitäre Spitalgruppe im deutschsprachigen Raum, die sie einführt.

Wird nun alles anders, besser, teurer und sind meine Gesundheitsdaten gut geschützt? Immerhin zeigen auch andere Spitäler Interesse oder haben bereits «Epic» gekauft. Nachfolgend darum die Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Warum macht das Inselspital diese Pionier-Mega-Übung?

Weil das bisherige System veraltet ist und es ja durchaus Sinn macht, nur ein System für alle fünf Standorte und Dutzenden Kliniken zu verwenden. «Epic» soll am 2. März 2024 die mehr als 50 verschiedene Dokumentations-Anwendungen ersetzen, die bislang im Einsatz waren. Der Austausch von Daten wird so einfacher und Doppelspurigkeiten werden vermieden.

Eine medizinische Praxisassistentin (MPA) sucht bei einem Hausarzt nach Patientendaten, am 18. Mai 2009 (Symbolbild). - keystone


Ganz so pionierig ist die Tat indes nicht: Das Kantonsspital Luzern nutzt «Epic» schon seit 2019, ist aber keine universitäre Spitalgruppe. Das Universitäts-Kinderspital Zürich hat sich für «Epic» entschieden, das Unispital Zürich wird wohl demnächst nachziehen. Mit diesen Spitälern sollte zumindest der Austausch von Patientendaten nahtlos funktionieren – ob das auch in andere Systeme hinein klappt, ist offen.

Das Kantonsspital Luzern mit dem Pilatus im Hintergrund anlässlich einer Medienkonferenz zum Neubau des Kinderspital Luzern, am 13. Februar 2019. - keystone

Hingegen soll jeder Patient seine Daten an andere Gesundheitsdienstleister zur Ansicht freigeben können. Sofern der Hausarzt oder die Kardiologin einen Internet-Anschluss hat, stehen Röntgenbilder oder Berichte also zur Verfügung. «Epic» ist derweil nicht gerade berühmt für solche Nutzerfreundlichkeit: Während die Konkurrenten sich für einen gemeinsamen Datenstandard entschieden, verlangte «Epic» Geld für jeden einzelnen Datenaustausch.

Apropos Geld: Wird das nicht sehr teuer und schlägt auf die Gesundheitskosten durch?

Ob es eine günstigere Lösung gegeben hätte, ist als aussenstehender Laie kaum zu beurteilen. Immerhin erhofft man sich von der Vereinheitlichung auch mehr Effizienz, was wiederum auch weniger Kosten heissen sollte. Umgekehrt stimmt aber auch, dass «Epic» teuer ist: 83 Millionen plus Mehrwertsteuer, inklusive Wartung für die ersten acht Jahre.

Die Führung der Inselgruppe während der offiziellen Eröffnungsfeier für das Anna-Seiler-Haus, am 17. August 2023. Das neue Hauptgebäude des Inselspitals Bern hat 670 Millionen Franken gekostet und bietet 3250 modernste Zimmer. - keystone

Das ist mehr als die 80 Millionen Verlust der Insel-Gruppe 2022, die zur Schliessung der Spitäler Münsingen und Tiefenau führte. Es ist aber im Vergleich trotzdem günstig, denn in der Vergangenheit haben Spitalgruppen für «Epic» auch schon mehr bezahlt als der gesamte Wert ihrer Gebäude.

Als indirekte Kosten hinzukommen aber sicher auch interne Schulungen und Umstellungen. Immerhin managt «Epic» nicht nur die Patientendaten, sondern steuert die ganzen Spitalabläufe. Über 11'000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind somit teilweise mit IT- statt Medizin-Fragen absorbiert.

Alle Patientendaten beieinander: Ist das sicher?

Die Datensicherheit habe nach wie vor höchste Priorität, betont die Insel-Gruppe auf Anfrage. Neu sei bei «Epic», dass die Dokumentation patientenorientiert erfolge. Lies: Der Kunde ist König. Es sei auch nicht etwa so, dass «alle alles sehen» könnten.

Umfrage

Finden Sie es gut, wenn Spitäler mit «Epic» ein einheitliches Patientendatensystem einführen?

Ja, das ist endlich mal zeitgemäss.
61%
Nein, früher ging es auch ohne.
39%

Nur an der Behandlung beteiligte Fachpersonen dürfen auf die jeweilige Patientenakte zugreifen. Das vertrauenserweckende Beispiel dazu zeigt allerdings auch, wie ungemein komplex Spital-Informationssysteme sind: Um der Sicherheit der Patientendaten gerecht zu werden, hat die Insel-Gruppe ein Berechtigungskonzept ausgearbeitet – mit über 350 verschiedenen Rollen.

Kann das gut kommen? Was sind die Erfahrungen mit «Epic» aus nicht-deutschsprachigen Ländern?

Dass es ein Hosenlupf wird und einige Zeit dauern wird, bis sich alles eingespielt hat, ist man sich bei der Insel-Gruppe bewusst: «Die Einführung ist eine Herausforderung, wir sind aber gut vorbereitet», heisst es auf Anfrage von Nau.ch. Unter anderem hofft man, von den bereits gemachten Erfahrungen in Luzern und in anderen europäischen Ländern profitieren zu können.

«Epic» wurde in den letzten Jahren bereits in Spitälern in Grossbritannien, Dänemark, Finnland und Norwegen eingeführt. Eine wissenschaftliche Studie dazu kommt zu nicht sehr beruhigenden Schlüssen: «Erfahrungen, insbesondere aus Dänemark, fliessen in die norwegischen Vorbereitungen ein. Doch diese Erfahrungen deuten auf mehr Herausforderungen als Lösungen hin. Die Implementierung von Epic in Norwegen unterliegt derzeit erheblichen Unsicherheiten.»

Die Website von «Epic» aus Wisconsin (USA) preist die gleichnamige Software in den höchsten Tönen an. - Screenshot epic.com

Und das ist noch nett formuliert. In Cambridge (UK) mussten der Spitaldirektor und der Finanzchef zurücktreten. Angestellte, Patienten und Management verloren das Vertrauen ins System und es brauchte Monate, es wiederherzustellen.

In Dänemark brach wegen mangelhafter Vorbereitungen und Schulungen das Chaos aus. Wegen unsauberer Übersetzungen griffen Ärzte auf «Google Translate» zurück. Unter anderem bot das System als Option an, Angaben über des Patienten linkes oder «korrektes» Bein zu machen – von Englisch «left» und «right».

In Finnland regten sich vor allem Ärzte über das komplizierte System und die verworrene Benutzeroberfläche auf, die die Patientensicherheit gefährde. So wurde zum Beispiel einem Patienten die falsche Chemotherapie verabreicht. Über 600 Ärzte unterschrieben eine Beschwerde und verlangen, dass «Epic» wieder entfernt werde.

Und dann war da noch Norwegen…

Anders in Norwegen, wo «Epic» 2022 man ja eben von den Erfahrungen in Dänemark profitieren wollte. Doch eben, es kam… anders: Fackelzüge des Spitalpersonals durch Trondheim, wo die Abschaffung von «Epic» gefordert wurde. Nach nur zwei Monaten nach der Einführung sagten in einer Umfrage rund ein Viertel der Ärzte, dass sie den Job wechseln wollten. 40 Prozent hatten gesundheitliche Probleme wegen dem Stress mit dem neuen IT-System.

Gefährde die Patientensicherheit: Spitalpersonal fordert bei einem Fackelzug durch Trondheim (NO), dass das IT-System «Epic» wieder abgeschafft werde. - Screenshot Norwegischer Rundfunk

Die Direktorin musste gehen, unter anderem, weil 16'000 Briefe nicht an Patienten verschickt worden waren. In Spitälern, die ebenfalls «Epic» implementieren wollten, gab es Protestaktionen des Personals. Wegen unerwarteter Kosten von einer bis zwei Millionen Franken pro Monat konnte ein Zentrum für psychische Gesundheit nicht gebaut werden.

Auch ein Jahr nach der Einführung sagten über 90 Prozent der Ärzte: «Epic» kann Ihre Gesundheit gefährden.

Dem gegenüber stehen die Erfahrungen in Luzern, wo man einigermassen zufrieden zu sein scheint. Offenbar kann auch die IT also aus gemachten Fehlern lernen – wovon nun die Insel-Gruppe profitieren könnte.