Wie geht's mit der EU weiter, Claude Longchamp?
Was bedeutet das Nein zum Rahmenabkommen? Wird ein EU-Beitritt zum Thema? Welche Bundesräte müssen nun liefern? Nau.ch liefert die Analyse mit Claude Longchamp.
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Nau.ch - Politologe Claude Longchamp analysiert das gescheiterte Rahmenabkommen mit der EU.
Das Wichtigste in Kürze
- Nach dem Nein zum Rahmenabkommen müssen sich die Parteien europapolitisch neu aufstellen.
- Claude Longchamp zeigt im Nau.ch-Talk mögliche Lösungen zwischen Bern und Brüssel auf.
Schluss, Aus, vorbei: Nach fast sieben Jahren Hin und Her erklärt der Bundesrat das Rahmenabkommen für tot. Die künftigen Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU bedürfen einer grundlegenden Klärung.
Doch wie kam es zum Bruch mit Brüssel? Politologe Claude Longchamp sagt im Nau.ch-Talk : «Nach dem Treffen von Bundespräsidenten Parmelin mit Ursula von der Leyen vor ein paar Wochen war ein Scheitern absehbar.» Offenbar sei im Bundesrat eine 4:3-Mehrheit für ein «Ende mit Schrecken» gewesen. In welchem Verhältnis der Entscheid im Endeffekt gefallen sei, bleibe unklar.
Opposition der Sozialpartner als Sargnagel
«Gekippt» sei dabei wohl Aussenminister Ignazio Cassis selbst. Damit hat er den viel zitierten «Reset-Knopf» am Ende doch nicht gefunden. Zentral sei dabei innenpolitisch gewesen, dass die Sozialpartner das Abkommen nicht vollumfänglich unterstützten.
Vor allem die Gewerkschaften, aber auch der Gewerbeverband betrieben Fundamental-Opposition, womit auch eine Volksabstimmung schwer zu gewinnen gewesen wäre. Mit Ausnahme der Grünliberalen seien auch die Parteien nicht mehr geschlossen hinter dem Abkommen gestanden.
Für einen neuen Anlauf sei deshalb ein tragfähiger Konsens unter Kantonen, Sozialpartnern und Parteien nötig. Longchamp: «Einzelne wie die SVP können ausscheren, aber nicht ganze Gruppen oder Allianzen.»
Longchamp: Sieg für die SVP, aber ...
Für die SVP sei der Verhandlungsabbruch zwar ein Sieg. Schliesslich habe sie «ihre Agenda durchgesetzt», so der Politologe. Allerdings lasse sich dieser nicht mit dem Volksnein zum EWR 1992 vergleichen.
«Damals triumphierte die SVP im Alleingang gegen das Establishment mit Legitimation durch das Stimmvolk. Nun hat sie als Teil des Establishments gewonnen – aber ohne Volksabstimmung», erklärt Longchamp die zentralen Unterschiede.
Die Position der SVP werde bleiben: Ablehnung gegen Brüssel um jeden Preis. Im Gegensatz dazu bringen die Sozialdemokraten einen Beitritt zur EU wieder ins Spiel. In einer Volksabstimmung dürfte ein solcher über Jahre hinweg chancenlos sein – nur schon wegen des Ständemehrs.
Dennoch erachtet Longchamp den Beitritt als eine von drei Optionen neben EWR und Drittstaaten-Behandlung. «Über diese Möglichkeiten wird in nächster Zeit eine intensive Debatte entstehen», ist der Experte überzeugt.
Die Mitte bevorzuge dabei eine «längere Sondierungsphase bis zu den Wahlen 2023», die FDP hoffe auf neue Bilaterale. Die beiden freisinnigen Bundesräte könnten dabei eine Schlüsselrolle einnehmen.
Wird Karin Keller-Sutter zur EU-Schlüsselfigur?
Das Lead übernommen habe im Siebnergremium mittlerweile Karin Keller-Sutter, beobachtet Longchamp. Diese versuche als Bürgerliche, die Sozialpartner - namentlich die Gewerkschaften - verstärkt einzubinden. «Ob sie damit Erfolg hat, ist aber noch schwer zu beurteilen», sagt der Experte.
Grundsätzlich versuche der Bundesrat aktuell, eine Deeskalationsstrategie zu fahren. «Man will nicht viel Lärm und eine gute Mine zum bösen Spiel machen.»
Wenn das nicht funktioniere, würden in verschiedenen Bereich Konsequenzen drohen. Etwa beim Stromabkommen oder im Bildungsbereich. Möglich sei sogar ein «Knall». Es liegt nun am Bundesrat, diesen zu verhindern.