Grossbritannien steuert im Brexit-Chaos auf Neuwahlen zu
Nach der erneuten Abstimmungsniederlage von Grossbritanniens Premierminister Boris Johnson im Parlament werden Neuwahlen im Vereinigten Königreich wahrscheinlicher.
Das Wichtigste in Kürze
- EU-Ratspräsident Tusk empfiehlt Zustimmung zu Verlängerung von Austrittsfrist.
Justizminister Robert Buckland sagte am Mittwoch in der BBC, im Gezerre um den Brexit sei eine Neuwahl der «einzige Weg aus der Sackgasse».
«Uns bleiben nur noch Neuwahlen», sagte Buckland, der auch betonte, dass die Entscheidung über die Frist für eine mögliche Brexit-Verschiebung bei den EU-Staats- und Regierungschefs liege. Diese würden überdies wissen wollen, was mit einer Brexit-Verlängerung erreicht werden könnte.
Das britische Unterhaus hatte am Dienstag ein von Johnson beantragtes beschleunigtes Brexit-Verfahren abgelehnt, das eine Einhaltung des Brexit-Termins zum 31. Oktober theoretisch ermöglicht hätte. Johnson kündigte daraufhin an, den Gesetzgebungsprozess auszusetzen, bis die EU über die am Samstag von London beantragte Brexit-Verschiebung entschieden hat.
Der konservative Regierungschef betonte jedoch, er halte am Austrittsdatum 31. Oktober fest. «Lassen Sie es mich klar sagen: Unsere Politik bleibt, dass wir (den Brexit) nicht verschieben sollten, dass wir die EU am 31. Oktober verlassen sollten.» Er kündigte an, die Vorbereitungen für einen ungeregelten Austritt aus der EU voranzutreiben.
Bereits vor der Abstimmung hatte der Premier den Abgeordneten mit Neuwahlen gedroht. Im Falle einer Ablehnung seines straffen Zeitplans durch das Unterhaus könne die Regierung nicht weitermachen wie bisher. «Wir müssten dann eine Neuwahl abhalten.» Er werde in dieser Neuwahl mit der Forderung «Lasst uns den Brexit umsetzen» antreten.
Sollte die EU der Regierung in London eine Fristverlängerung von drei Monaten für die Umsetzung des Brexit gewähren, wäre eine Neuwahl noch in diesem Jahr möglich. Allerdings benötigt Johnson, der eine Minderheitsregierung anführt, für das Ansetzen von Neuwahlen die Unterstützung von zwei Dritteln der Parlamentsabgeordneten. Die oppositionelle Labour-Partei hat Neuwahlen bereits zwei Mal zurückgewiesen. Aktuellen Umfragen zufolge würden derzeit 35 Prozent Johnsons Tories ihre Stimme geben, 25 Prozent der Labour-Partei.
EU-Ratspräsident Donald Tusk kündigte an, den EU-Mitgliedstaaten eine Fristverlängerung bis Ende Januar empfehlen zu wollen - dies vor allem auch, um einen harten Brexit ohne Abkommen zu verhindern.
EU-Parlamentspräsident David Sassoli plädierte am Mittwoch ebenfalls für eine Fristverlängerung bis Ende Januar. «Ich halte es für ratsam, wie von Präsident Donald Tusk gefordert, dass der Europäische Rat diese Verlängerung akzeptiert», erklärte Sassoli.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zeigte sich offen für eine Brexit-Verschiebung. «An Deutschland scheitert eine Verlängerung nicht», sagte ihr Sprecher Steffen Seibert in Berlin. Er wollte sich aber nicht festlegen, ob eine solche Verschiebung nur kurz oder auch länger sein könnte.
Bundesaussenminister Heiko Maas (SPD) stellte am Mittwoch Bedingungen für eine Brexit-Verschiebung bis Ende Januar. Bevor die EU eine Entscheidung über eine Brexit-Verlängerung treffen könne, müsse sie wissen, «was die Briten vorhaben und was Johnson vorhat». Grossbritannien müsse etwa darlegen, ob in einem Zeitraum bis zu einem möglichen neuen Austrittstermin Neuwahlen geplant seien, forderte Maas bei RTL/n-tv.
Die Botschafter der EU-Mitgliedstaaten werden sich am späten Mittwochnachmittag mit der Brexit-Verschiebung befassen. Eine Entscheidung wird dabei aber noch nicht erwartet.
Die Botschafter müssten sich zunächst ein «erstes Bild» machen, sagte ein EU-Diplomat in Brüssel. «Es wäre hilfreich zu wissen, wie London weiter verfahren will», sagte er. Für die EU-Entscheidung sei zentral, ob in Grossbritannien Neuwahlen geplant seien oder ob lediglich eine kurzfristige Verschiebung nötig sei, damit Grossbritannien genügend Zeit für die Ratifzierung des Austrittsabkommens habe.
Frankreichs Europa-Staatssekretärin Amélie de Montchalin hatte sich zuvor offen für eine «rein technische Verlängerung» um wenige Tage gezeigt. Ausgeschlossen sei aber eine Verschiebung «um Zeit zu gewinnen oder erneut über das Abkommen zu diskutieren».