Bundesrat verlangt von EU Klärungen zu institutionellem Abkommen
Der Bundesrat hat am Freitag entschieden, das institutionelle Abkommen mit der EU vorläufig nicht zu unterzeichnen. Er beurteilt das Verhandlungsergebnis zwar insgesamt als positiv, verlangt aber Klärungen.
Das Wichtigste in Kürze
- Den Begriff «Nachverhandlungen» vermeidet der Bundesrat in einem Brief, den er an EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker geschickt hat.
Nachverhandlungen hat die EU-Kommission kategorisch ausgeschlossen. Im Schreiben des Bundesrats ist denn auch von «Klärungen» und «Präzisierungen» die Rede.
Klärungsbedarf sieht der Bundesrat nach Abschluss der Konsultationen in den Bereichen Lohnschutz, Unionsbürgerrichtline und staatliche Beihilfen. «Wenn in diesen drei Bereichen eine Lösung gefunden wird, wird der Bundesrat unterschreiben», erklärte Aussenminister Ignazio Cassis vor den Bundeshausmedien. Offen liess er, ob dafür der Abkommenstext geändert werden muss.
Mit diesem Entscheid legt der Bundesrat die Latte hoch für eine Einigung mit der EU. Besonders schwierig dürfte ein Einvernehmen beim Thema Lohnschutz zu finden sein. Die flankierenden Massnahmen sind der EU seit deren Einführung ein Dorn im Auge. Heute hat sie keine Handhabe dagegen. Wegen dieses Konflikts hat die EU überhaupt erst Verhandlungen über ein institutionelles Abkommen (Insta) mit der Schweiz verlangt.
Hinzu kommt, dass der Bundesrat nicht viel Spielraum für Verhandlungen offenlässt. Im Brief an Juncker verlangt er eine «juristische Absicherung auf dem in der Schweiz geltenden Niveau des Lohnschutzes».
Damit ist das Problem angesprochen, dass bei einer Übernahme von EU-Recht der Europäische Gerichtshof beim Schweizer Lohnschutz mitbestimmen könnte. Welche Regeln in Zukunft gelten würden, wäre damit ungewiss. Die Gewerkschaften verlangen daher, dass die flankierenden Massnahmen vom geplanten Schiedsgericht ausgenommen werden. Auch Parteien, Verbände und Parlamentskommissionen fordern eine Sicherung des Lohnschutzes.
Welche Lösung der Bundesrat anstrebt, liess Cassis offen. Es gehe darum, das Prinzip festzuhalten, sagte er. Das weitere Vorgehen will er zusammen mit den Sozialpartnern erarbeiten. Der vorliegende Abkommenstext enthält bereits einige Garantien. Dazu gehört die auf vier Tage verkürzte Voranmeldefrist, eine Kautionspflicht für fehlbare Firmen oder eine Dokumentationspflicht für Selbstständige.
Präzisieren will der Bundesrat die Regeln zu den staatlichen Beihilfen. Hier hatten vor allem die Kantone Vorbehalte geäussert, weil Kantonalbanken oder Wasserkraftwerke betroffen sein könnten. Sie verlangten, dass das institutionelle Abkommen nicht zu Regeln in Bereichen führt, in welchen die Schweiz keinen vertraglich abgesicherten Zugang zum EU-Binnenmarkt hat.
In den Konsultationen, die der Bundesrat in den letzten Monaten durchgeführt hat, verlangte auch die Mehrheit der Parteien und Verbände eine Klärung zu den staatlichen Beihilfen. Diese Forderung hat der Bundesrat nun an Juncker übermittelt.
Ein besonderes Problem stellt die Unionsbürgerrichtline dar. Aus Sicht der EU gehört diese zur Personenfreizügigkeit und muss von der Schweiz übernommen werden. Der Bundesrat sieht dies anders. Eine Übernahme hätte den Ausbau der Sozialhilfeansprüche, die Ausweitung des Ausweisungsschutzes oder ein Daueraufenthaltsrecht ab fünf Jahren zur Folge.
Die Unionsbürgerrichtlinie wird im Abkommensentwurf nicht erwähnt. Wegen der umstrittenen Geltung ist ein Streitfall vor dem Schiedsgericht und dem EU-Gerichtshof absehbar. In einem solchen Verfahren könnte die Schweiz zur Übernahme der Unionsbürgerrichtline verpflichtet werden. Im Brief an Juncker hält der Bundesrat daher fest, dass das Insta nicht so interpretiert werden dürfe, dass die Schweiz zur Übernahme der Unionsbürgerrichtline verpflichtet werden könnte.
Keinen Klärungsbedarf sieht der Bundesrat hingegen beim Streitbeilegungsmechanismus. Dieser hatte zu Beginn der Verhandlungen vor über fünf Jahren unter dem Titel «fremde Richter» für rote Köpfe gesorgt. Diese Wellen scheinen sich trotz vieler Fragezeichen gelegt zu haben. Die Frage sei in der Konsultation nicht zentral gewesen und gehöre nicht zu den offenen Punkten, erklärte Cassis.
Nach seinen Angaben hat sich der Bundesrat keine Frist gesetzt, wann das Abkommen unterschriftsreif sein muss. Was zähle, sei das Ergebnis. Es hätten jedoch beide Parteien ein Interesse an einer raschen Einigung. Cassis hatte EU-Kommissar Johannes Hahn am Freitag telefonisch über den Entscheid des Bundesrats informiert. Dieser habe bestätigt, dass die EU-Kommission bereit sei für die Klärungen, sagte Cassis.
Ob der Entscheid des Bundesrats die drohenden Nadelstiche aus Brüssel abwenden kann, ist ungewiss. Die EU hat die Schweizer Börsenregulierung nur bis Ende Juni als gleichwertig anerkannt. In den nächsten Wochen muss sie entscheiden, ob die Äquivalenzanerkennung verlängert wird. Falls sie die Verlängerung verweigert, ist Händlern aus der EU der Aktienhandel an der Schweizer Börse verboten.
Zum Schutz der Schweizer Börse hatte der Bundesrat schon Ende 2018 Gegenmassnahmen beschlossen. Laut Cassis ist die Äquivalenzanerkennung der Schweizer Börsenregulierung denn auch ein «untergeordnetes Element der ganzen Europafrage». Der Bundesrat erwarte aber, dass die Börsenäquivalenz verlängert werde, sagte Justizministerin Karin Keller-Sutter. Er habe alles gemacht, was möglich gewesen sei.
Eine erste Reaktion aus Brüssel schliesst eine Verlängerung nicht a priori aus. Auf Twitter erklärte Junckers Sprecherin Mina Andreeva, es handle sich um eine «insgesamt positive Entwicklung». Die EU-Kommission werde den Brief des Bundesrats nun genau studieren und zu gegebener Zeit antworten.
In dem Brief hatte der Bundesrat Brüssel auch daran erinnert, dass in der Schweiz die Bevölkerung ein Wort mitzureden habe. Eine Abstimmung über das institutionelle Abkommen sei so gut wie sicher. «In der Schweiz sitzt das Volk am Verhandlungstisch», betonte Volkswirtschaftsminister Guy Parmelin.
Der Bundesrat hält in dem Brief zudem fest, dass demnächst über eine Initiative zur Kündigung der Personenfreizügigkeit abgestimmt wird. Diese hat der Bundesrat am Freitag zur Ablehnung empfohlen. Das Abkommen und die Initiative bildeten ein Gesamtpaket, sagte Cassis. Mit seinen Entscheiden habe der Bundesrat den bilateralen Weg bekräftigt.